Aktualisiert am 23. März 2025.
Gert Rücker ist ein Textil-Unternehmer mit einem großen sozialen Herzen. In seiner Firma, dem JMB Fashion Team in der Oststeiermark, wurde die AUTwool #WollWeste2024 genäht. Wir sprechen darüber, wie wichtig es ist, dass noch mit Herz, Hirn und Hand Kleidung in Österreich hergestellt wird, und über die zentrale Rolle der Mitarbeiter:innen in so einem Betrieb.
In dieser Podcastfolge diskutieren Gert Rücker und Gabriele Brandhuber über die Erfolge und Herausforderungen der Firma „JMB Fashion Team““, die – mit einer kurzen Unterbrechung – seit 1966 besteht. Trotz der Abwanderung vieler Textilbetriebe und Vergabe textiler Produktionsaufträge ins Ausland behielt die Firma ihren österreichischen Standort.
Der Wert jedes Unternehmens sind die Menschen. Das Fachwissen im Hirn, im Herz und in den Händen jeder Näherin ist gewaltig.
gert Rücker, JMB Fashion Team
Gutes Wirtschaften bedeutet verantwortungsbewusstes Wirtschaften, auch im Miteinander von Unternehmer:innen und Arbeitnehmer:innen. Rücker betont die zentrale Bedeutung der Mitarbeiter:innen, ihres Know-hows und die soziale Verantwortung als Schlüssel für den Erfolg von JMB Fashion.

Das JMB Fashion Team fokussiert sich auf qualitativ hochwertige Produkte. Es setzt sich vom internationalen Wettbewerb ab, indem es einzigartige Dienstleistungen bietet, wie die Unterstützung bei der Entwicklung von Kollektionen. Die #WollWeste2024 des AUTwool Projektes haben wir bei JMB Fashion Team nähen lassen.
Der Mensch ist Quelle und Ziel jeder Produktion. Und wenn man sich mit diesen Gedanken ernsthaft beschäftigt, dann sieht man auch, dass immer der Mensch im Mittelpunkt steht.
gert Rücker, JMB Fashion Team





In der Podcastolge diskutieren wir auch die Rolle von Konsum und Mode sowie die Auswirkungen von Fast Fashion auf Menschen und Umwelt. Zum Abschluss werfen wir einen Blick auf die Zukunft des JMB Fashion Team.
- Den Film „Die Gebliebenen„, eine Dokumentation über das JMB Fashion Team, kannst du die hier anschauen: https://www.vodclub.online/film/die-gebliebenen/
- Rebecca Burgess: Was steckt in unserer Kleidung? (ISBN: 978-3706629614) Rebecca Burgess hat die Fibershed-Bewegung gegründet: Fibershed.org und auch fibershed-dach.org
- Firmen, die bei JMB produzieren lassen: Susanne Spatt, Consches, Tostmann Trachten, Frauenschuh, Urban, Lenai Linai, DeLin
- Die am AUTwool Projekt beteiligten Betriebe: Ötztaler Schafwollzentrum Regensburger, Wollgarnspinnerei Ferner, Strickerei Heratex, Gottstein und JMB Fashion Team
- Fashion Revolution setzen sich für regionale Textilproduktion und bessere Arbeitsbedingungen von Textilarbeiterinnen ein. Jedes Jahr im April findet die „Fashion Revolution Week“ mit zahlreichen Veranstaltungen in vielen europäischen Städten statt.
- Im Buch „Brückenleben„ portraitiert Sabine Dariusz 11 Personen, die in unsere negativen Welt positive Ansätze leben. Gert Rücker ist einer der Portraitierten, und ich (Gabi Brandhuber) bin eine weitere portraitierte Person. Das Buch ist über den normalen Fachhandel als Hardcover (ISBN 978-3-903574-62-5) und auch als Hörbuch erhältlich (EAN 9783903579194).
- [00:00:42] Firmengeschichte von JMB Fashion Team
- [00:05:30] Das Erfolgsrezept von JMB Fashion Team: Know-how und Gemeinschaft
- [00:12:33] Wertschätzung der Mitarbeiter:innen bei JMB Fashion Team
- [00:14:14] Kritik an Fast Fashion und Konsumverhalten. Der Wert von langlebiger und kombinierbarer Kleidung
- [00:22:19] Was bedeutet gutes Wirtschaften? Verantwortungsbewusstsein, ein Miteinander von Unternehmer:innen und Arbeitnehmer:innen
- [00:29:01] Auswirkungen billig produzierter Kleidung auf Menschen und Umwelt. Wo sind wir falsch abgebogen? Positiver Ausblick auf die Zukunft
- [00:33:11] Welche Firmen sind Kunden von JMB?
- [00:38:36] Wichtige Rolle von Gert Rücker beim Start des AUTwool-Projektes
- [00:46:59] Verlust von Gemeinschaft durch Schließung von Betrieben
- [00:50:04] Hoffnung auf neue Initiativen in der Textilindustrie
- [00:52:20] Wie es mit JMB Fashion weitergeht
- [00:56:16] Abspann
Gabriele Brandhuber
Lieber Gert, vielen Dank, dass du dir heute die Zeit nimmst für unser Gespräch heute. Wir sind hier in Rohr an der Raab, das ist bei Feldbach in der Oststeiermark, in deinem Büro im Produktionsgebäude von JMB Fashion. Diese Firma, also deine Eltern haben ja eigentlich die Firma „Jeder Mann Bekleidung“ im Jahr, weiß jetzt nicht wann genau.
Gert Rücker
Zirka ’66.
Gabriele Brandhuber
’66 gegründet. Und diese Firma hat eine durchaus wechselvolle Geschichte auch gehabt. Erzähl uns doch bitte einfach mal von der Firmengeschichte und auch, wie du da hineingewachsen bist.
Gert Rücker
Zum Ersten, liebe Gabi, bedanke ich mich herzlichst für das Interesse und für den Besuch. Mir ist jede Gelegenheit sehr recht, das Tun dieser wunderbaren Menschen hier in meinem Betrieb, die das Handwerk noch im Kopf, im Herz und in den Händen haben, die dieses wunderbare Handwerk hier leben. Auf jeden Fall: Die Firma wurde 1966 als JMB, oder damals „Jedermann Bekleidung“ gegründet, von den Eltern. Was war der Grund? Damals war es eben eine Betriebsübernahme von einer Schneiderei, die hier in Rohr an der Raab für die Weberei meines Vaters schon seit Jahren gearbeitet hat. Und diese Weberei, dieser kleine Gewerbebetrieb, hat Stoffe von der „Ebreichsdorfer Mechanischen Weberei“, Regen und Rücker, meines Vaters, hier verarbeitet, weil mein Vater die gottsseidank richtige Idee hatte – was sich ja mittlerweile allgemein herausstellt – insoferne vollstufig zu sein, dass er seine Webware nicht nur als Meterware verkauft, sondern als fertiges Bekleidungsstück. Diese Firma hat er dann gemeinsam mit meiner Mutter übernommen. Und ich sage es so: Es war richtig, es zu tun, aber es ist nicht sonderlich gut gelaufen, weil meine Mutti nicht die ganz große Unternehmerin war, und mein Vater mit der Ebreichsdorfer Mechanischen Weberei eben in Ebreichsdorf bei Wien, zeitmäßig ausgelastet war. Somit war 1971 der Ruf an den Junior, nach der Matura, nachdem der damalige Betriebsleiter gekündigt hatte – wie er gemerkt hat, es kommt jetzt eh der Junior nach – war der Ruf meiner Mutter an mich, ihr zu helfen. Ich als alter ’68er habe alles andere vorgehabt, als in ein Wirtschaftsunternehmen einzusteigen. Habe mir aber gedacht: „Okay, ein bis zwei Jahre kannst du der Mutti schon helfen?“ Das sind also meine textilen Wurzeln. Ich bin wirklich in einer Weberei aufgewachsen. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass ich das miterleben durfte, wie es ist, eine Unternehmerfamilie zu sein und als Kind in einer Unternehmerfamilie, in einem Unternehmen aufwachsen zu dürfen. Das war eine wesentliche Grundlage für mich. Und aus diesen „zwei Jahren, maximal“ wurden mittlerweile über 50.
Gabriele Brandhuber
Gut, das heißt, deine Mutter hat gesagt: „Komm, unterstütz mich da, wir brauchen dich. Steig ein.“ Okay, verstehe. Es ist, ich glaube letztes Jahr, 2023, ein Dokumentarfilm über euch herausgekommen. Ist der eigentlich schon öffentlich verfügbar? Kann man den schon irgendwo öffentlich sehen? Oder noch nicht?
Gert Rücker
Es ist so, dass er über Cinema Next in deren Videothek bereits zu sehen ist.
Gabriele Brandhuber
Okay, sehr gut. Jedenfalls, dieser Film heißt: „Die Gebliebenen. Und zwar die Gebliebenen im Sinn von: Weil alle anderen Textilbetriebe in Länder des Ostens, des nahen oder fernen Ostens abgewandert sind. Da stellt sich mir die freche Frage: Wieso seid ihr eigentlich immer noch da? Wieso seid ihr noch hier? Wo alle anderen abgewandert sind vom Produktionsstandort Österreich? Was ist euer Erfolgsrezept, oder wie geht das?
Gert Rücker
Ergänzend muss ich sagen, die Produktionen in Österreich sind ja nicht deswegen entweder gestorben oder geschlossen worden, weil alle woanders hin gewandert sind. Für viele war dieser Transformationsprozess der letzten Jahrzehnte im Textilen und im Bekleidungsbereich, war de facto wirklich das Ende. Sie haben schlicht und einfach die Aufträge verloren, weil von den zigtausend Arbeitsplätzen, die in der Textil- und Bekleidungsindustrie vor Jahrzehnten beschäftigt waren, mittlerweile wirklich der Großteil vollkommen unbemerkt leidergottes verloren gegangen ist. Was war unser Erfolgsrezept? A) Das Wissen um den Wert, der in einer Produktionsfirma steckt. Nämlich der Wert in Form von Wissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es war mir vollkommen klar, wie man auch an mich … – Wir sind Dienstleister, also wir sind das Produkt und nicht die Kollektion – Wie man an mich herangetreten ist und gesagt hat: „Herr Rücker, produzieren Sie doch das, was Sie hier für uns „so teuer“ herherstellen, doch bitte gerne in Ungarn. Wir lasten Sie aus. Meine Antwort darauf war: A) Müsste ich dann selbst nach Ungarn ziehen. Ich lebe aber sehr gerne in Österreich. So wie meine Kunden, meine damaligen Kunden ja auch. Ich lebe auch deswegen gerne in Österreich, weil ich hier ein funktionierendes Sozialsystem habe, wo ich weiß, dass wir eine Krankenversicherung, eine Pensionsversicherung, dass wir auch Schulen haben und so weiter. Ich bin froh, dass mein Sohn in eine Schule hier gehen kann. Und deswegen bleibe ich auch hier und zahle in dieses System ein.
Gabriele Brandhuber
Und auch für deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nicht?
Gert Rücker
Das war mal Punkt Numero eins. Punkt Numero Zwei war: Was passiert dann bitte mit dem Know-how? Ich habe es einmal so kundengerecht aufbereitet. Es ist jetzt keine Wertung an Wichtigkeit, sondern ich habe es einfach auf die Art und Weise strukturiert. Das Zweite ist: Was passiert mit dem Know-how, das hier ist? Und das Dritte, und wirklich last but not least, und ich habe täglich die Bestätigung, wie richtig das war: Was passiert bitte mit den Menschen, die sich auf mich verlassen? Die hier ihr Geld verdienen und hier eine soziale Gemeinschaft, das ist auch ein Gefüge, aufgebaut haben. Und somit habe ich mich einfach konkret auf das konzentriert. Dadurch Firmen verloren. Ich muss auch sagen, im Zuge dieses Transformationsprozesses, dieser Abwanderung, ist die Firma auch 1993 insolvent gewesen, und hat sich dadurch sehr stark verkleinert. Aber gottseidank habe ich mich wirklich entschieden, weiterzumachen. Und dann war mir vollkommen klar: „Ich muss mich vom Mitbewerb im Ausland abgrenzen und muss schlicht und einfach etwas bieten, was man – wenn man es sucht, das ist immer das Wesentliche – – woanders nicht bekommt. Und es war für mich klar: Wir sind ein vollstufiger Betrieb. Wir entwickeln Schnitte. Wir können Prototypen nähen, Vervielfältigungen. Also wir können Kollektionen auch nähen. Wir können Kleinserien nähen und Großserien nähen. Wir sind ein wirklich flexibler, motivierter Betrieb, haben auch die entsprechenden Fähigkeiten im Betrieb. Haben dann schrittweise auch das Produktangebot erweitert. Da hat mir wiederum geholfen, dass meine fachliche Ausbildung kein Schneiderei-Gesellenbrief ist, sondern ein Tischlerei-Gesellenbrief. Ich weiß also, wie Handwerk tickt. Aber ich verstehe unter Anführungszeichen „vom Nähen nichts“. Und deswegen bin ich jedes Produkt einmal vollkommen wertfrei angegangen. Es hat mich einfach interessiert. Wir haben vorher nur Damenhosen hergestellt. Dann haben wir zu den Damenhosen plötzlich die Jacken dazugenommen. Kleider dazugenommen und so weiter. Dann waren wir mit den Damen fertig, dann habe ich mir gedacht: „Aber eigentlich hätte ich gerne einen coolen Anzug aus meiner Firma!“ Dann sind wir in die Herrenbekleidung reingegangen. Dann ist zwischendurch die Anfrage vom Theater gekommen, ob wir nicht auch Kostüme nähen können. Habe ichr sagt: „Okay, probieren wir.“ Langer Rede kurzer Sinn: Wir sind wirklich ein absoluter Allrounder. Wir leben Tag für Tag Handwerk. Also unser Motto ist tatsächlich: Garantiert und mit Liebe handgemacht in Österreich. Und ich möchte noch einmal betonen: Der Wert jedes Unternehmens sind die Menschen. Und das Fachwissen, das in den Köpfen aller, und wie gesagt: Köpfen, Hirn, im Herz und in den Händen jeder Näherin ist, das ist gewaltig.
Gabriele Brandhuber
Und ich habe das, also letztens, wie wir da waren und auch in dem Film, den ich angeschaut habt, auch mitgekriegt, wie sehr dir deine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Herzen liegen, und wie sehr du auch drauf schaust, dass es denen gut geht. Und dass die auch Erholungsphasen haben. Und das heißt, wie soll ich das jetzt sagen? Ja, das hat mir einfach sehr gut gefallen, wie du da sehr gut drauf schaust, dass es allen gut geht in deinem Betrieb. Also dass du nicht um jeden Preis die Kollektion jetzt noch rauspressen musst. Da muss man halt flexibel sein, und dann müssen auch die Kunden flexibel sein. Und dann geht halt nicht alles so, wie man das unbedingt vielleicht manchmal durchpressen will, sondern es braucht einfach seine Zeit. Und die Zeit gibst du den Dingen auch. Das mag ich sehr gern bei dir.
Gert Rücker
Vielleicht ergänzend nur dazu: Wir haben in der Blütezeit in den 80er Jahren eine Lehrlingsgruppe von 14 Beschäftigten gehabt. Da war der Betrieb auch wesentlich größer als jetzt. Und um eine wirklich umfassende Ausbildung anbieten zu können, habe ich ein sehr schönes Projekt mit Herrn Matissen, einem Waldorfpädagogen und Künstler, Beuys Schüler, gestartet. Und da ist ein ganz wesentlicher Ansatz von ihm gekommen, den ich Tag für Tag versuche zu leben: Der Mensch ist Quelle und Ziel jeder Produktion. Und wenn man sich mit diesen Gedanken ernsthaft beschäftigt, dann sieht man auch, dass immer der Mensch im Mittelpunkt steht. Und das ist aus meiner Sicht in den letzten Jahrzehnten, im Zuge dieser Entwicklung verloren gegangen. Dass man übersehen hat: Wie geht es den Menschen dabei? Die entweder im Prozess sind, im Arbeitsprozess. Oder: Wie geht es eigentlich mir mit diesem Konsum, der mir offensichtlich – wenn ich jetzt bei der Bekleidung bleibe – der mir offensichtlich so wenig Befriedigung schafft, der einzelne Kauf, dass ich das Gefühl habe, ich brauche immer wieder was Neues?
Gabriele Brandhuber
Ja, der einzelne Kauf, wenig Befriedigung.
Gert Rücker
Im Moment! Ich ergänze: im Moment! Bringt er kurz Befriedigung, aber vielleicht.
Gabriele Brandhuber
Also da bin ich die Falsche. Weil ich finde Kleidung einkaufen gehen furchtbar. Sowieso furchtbar, weil ich nie das kriege, was ich haben möchte. Weil ich mit einer bestimmten Vorstellung reingehe, was ich gerne hätte an Produkt. Und aber wenn das in der derzeitigen Kollektion, oder bei den derzeitigen Modefarben nicht dabei ist, dann gehe ich wieder heim und bin frustriert. Shoppen hat mir persönlich noch nie Spaß gemacht. Ich kenne Leute, denen das Spaß macht, sich Neues zu kaufen und sich neu zu erfinden und so weiter. Ich bin eher so die, die sagt: „Ich möchte gern so eine Hose, genau das. Und mit der bin ich dann auch die nächsten fünf Jahre zufrieden, bis sie halt ausgefärbt ist, dann muss sie wieder mal neu färben oder so. Aber mir ist wichtiger, dass das Kleidungsstück mir passt und zu den anderen Kleidungsstücken passt, dass ich es gut kombinieren kann, und dass es möglichst lange hält. Und dann bin ich halt auch eher bereit dafür, mehr Geld auszugeben für das einzelne Stück.
Gert Rücker
Aber genauso sollten wir aus meiner Sicht Konsum, Modekonsum auch sehen. Dass ich mir wirklich überlege: Was brauche ich? Was suche ich konkret? Wenn ich es auch nicht genau weiß, in welche Richtung? Das ist nur verloren gegangen, weil durch dieses Mainstream-Angebot, diese Fast Fashion, ist das ja irgendwie verloren gegangen.
Gabriele Brandhuber
Ja, und auch vor der Fast Fashion: Wenn es da zwei Kollektionen im Jahr gibt, und ich dann jedes halbe Jahr mir was Neues kaufen muss, um modisch aktuell zu bleiben. Modisch gekleidet zu sein. Wenn mir das wichtig ist, dann muss ich einfach jedes halbe Jahr was Neues kaufen, weil es ist ja dann was anderes. Zuerst waren die Hosen schmal, dann sind sie weit. Dann sind plötzlich wieder Schlaghosen „in“. Zuerst ist ein eng anliegendes Oberteil, dann „baggy“ oder dann brauche ich es wieder sehr weit auf einmal. Und dieses, wie soll ich sagen? Also wenn mir daran was liegt, an diesem modisch gekleidet zu sein, dann bin ich auch quasi gezwungen, mir die ganze Zeit was Neues zu kaufen, um am Puls der Zeit zu bleiben. Und das führt ja die Fast Fashion dann komplett ad absurdum, wenn ich nicht mehr vier oder zwei Kollektionen im Jahr habe, sondern 8 oder 52.
Gert Rücker
Ergänzend sage ich, nur, dass der Rhythmus früher – weil ich war ja auch Teil … zum Beispiel in den 80er-Jahren war ich ja Teil dieser Kollektion, zwei Kollektionen, vier Kollektionen und so weiter. Aber das weiß ich aus eigener Erfahrung, die Abläufe waren wesentlich langsamer.
Gabriele Brandhuber
Ja, das glaubd ich auch.
Gert Rücker
Und damals hat es auch wesentlich mehr Alternativen, also andere Anbieter gegeben. Es war vielleicht im einzelnen Geschäft nicht so zu finden, aber es hat doch wesentlich mehr Anbieter gegeben zur damaligen Zeit. Da hat sich wirklich seit damals etwas etwas geändert, aber Gott sei Dank hat sich insgesamt auch unsere Einstellung wiederum geändert, dass wir genau sagen: Ein Bekleidungsstück soll keine Jahreszahl drauf haben. Wir haben eine eigene Kollektion gehabt, VIO Mode für die selbstbewusste und anspruchsvolle Frau. Das habe ich durch zehn Jahre mühsamst versucht, um meinen Leuten eine permanente Beschäftigung zu bieten, dass wir immer für uns was produzieren, wenn gerade die Aufträge nicht so da waren. Habe zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Wert des „made-in [Austria]“ hier – auch wenn Kundinnen in das Geschäft, das in die Firma integriert war, gekommen sind – dass der Wert ist, dass man mit seinem eigenen Einkauf die Arbeitsplätze hier erhält, das wurde zu wenig geschätzt. Ganz im Gegenteil, wir wurden eher mit Charles Vögele verglichen. Und es gibt dann, auch so wie damals schon, immer jemanden der billiger ist. Das Produkt war absolut nicht vergleichbar. Und ich habe damals schon – und wir sprechen über Anfang der 2000er-Jahre – ich habe schon damals den Standpunkt vertreten: Es muss modisch sein, aber es darf keine Jahreszahl draufstehen. Und glaubt mir, ich habe eine Riesenfreude. Ich bin Teil einer wunderbaren kleinen Pfarrgemeinde der Ruperti-Gemeinde in Graz, Ende der Waltendorfer Hauptstraße. Die Ruperti-Kirche ist eine nette Einheit. Und ich sehe immer noch, weil ich habe sehr treue Stammkundinnen damals gehabt, ich sehe immer noch am Sonntag im Gottesdienst Kleider oder Jacken oder Hosen von damals. Das muss man sich vorstellen! Weil für mich war es klar: Es muss so ausschauen, dass es modisch wirkt, aber es darf nicht so sein, dass ich es nicht nach drei Jahren … Weil es ist so: Ich möchte nicht immer das Gleiche anhaben. Also von Zeit zu Zeit geht es jedem gleich, fühlt man sich ganz wohl, wenn man dann in irgendeiner Form mal was anderes versucht. Aber halt nicht alle 14 Tage oder drei Wochen, sondern von mir aus alle zwei bis drei Jahre oder wie auch immer. Aber dann sage ich halt: „Gut, dann hänge ich dieses Kostüm jetzt einmal in den Kasten. Es ist aber so gut und so schön, dass ich es nicht wegwerfe, was der große Unterschied ist zwischen der Fast Fashion. Und siehe da, irgendwann einmal, vielleicht zwei oder drei Jahre später, denke ich mir: „Boah, das probiere ich!“ Und wenn es mir noch passt, was in vielen Fällen so ist, dann kombiniere ich das neu mit einer anderen Hose oder wie auch immer oder umgekehrt. Kleid ist wieder etwas anderes im Sommer. Also diesen Beweis, dass das möglich ist, den habe ich Anfang der 2000er-Jahre mit einer eigenen Kollektion schon erbracht.
Gabriele Brandhuber
Dass es möglich ist, eine Kollektion zu produzieren, die so hochwertig ist und so gut gemacht, und so zeitlos auch, dass man sie auch 20 Jahre später noch gut tragen kann. Ein bisschen ist es jetzt schon angeklungen und hast du schon ein bisschen darüber gesprochen. Meine nächste Frage wäre nämlich: Was verstehst du unter „gutem Wirtschaften“? Was ist für dich gutes Wirtschaften?
Gert Rücker
Verantwortungsbewusstes Wirtschaften. Es ist vielleicht in Österreich, aus welchem Grund auch immer – das wäre eine eigene Diskussion, ein eigenes Gespräch – im Grunde kein unbedingt unternehmerfreundliches Klima entstanden. Das war bei mir auch aufgrund der 68er-Gedanken auch vorhanden. Nachdem ich aber aus einer Unternehmerfamilie gekommen bin, habe ich es genau richtig erwischt. Ich habe auf der einen Seite die Kritik am rein kapitalistischen Wirtschaften, die Kritik habe ich verstanden, und ist auch zum Teil in meine Lebensgrundlagen eingeflossen. Auf der anderen Seite bin ich aber in ein Unternehmen hineingeboren und bin dann auch in das Unternehmen eingestiegen. Und habe es einmal die ersten 10 bis 20 Jahre so betrieben, dass ich versucht habe, beide Welten getrennt sehend, aber doch unter einen Hut zu bringen. Was hat mir dabei geholfen? Ich sage das so direkt: Meine christliche Einstellung. Weil dass es um den Menschen geht – weil das war ja auch Teil der 68er-Bewegung, den Menschen wieder nicht nur als Produktionsfaktor wahrzunehmen, sondern als wesentlichen Teil jedes Produktionsprozesses. Aber ich habe sehr wohl gesehen, wie wesentlich es ist, dass es Betriebe gibt. Weil damals, in den 70er-Jahren, sind noch gerne Menschen gekommen und waren dankbar. Über die Zeit zuvor, nach dem Krieg, will ich gar nicht reden, wo Arbeit ein ganz wesentliches, kostbares Gut war. Die froh waren, eine Stelle zu bekommen und ein fixes Einkommen zu bekommen. Und das, was ich auch gelernt habe: Mein ganzes soziales Denken endet dann, wenn ich zum Jahresende die letzte letzte Faktura gestellt habe, somit an den Steuerberater alle Einnahmen und alle Ausgaben liefere und dann feststelle: Bin ich in Plus oder bin ich in Minus? Da wird aus meiner Sicht übersehen, dass für jedes Unternehmen das Gleiche gilt wie für jeden privaten Haushalt, und wie ich mittlerweile auch sage, für den Staatshaushalt. Ich muss immer darauf achten, dass ich nicht mehr ausgebe, als ich einnehme. Dass es nicht jedes Jahr funktioniert, das war bei mir auch so, logischerweise. Aber dann musst du wissen: Wie lang hältst du dieses aus? Was mir aber immer klar war: Es braucht einen Unternehmer und es braucht einen Mitarbeiter. Wir brauchen uns gegenseitig. Und dann hat sich bei mir das genau zu schließen begonnen. Ich sage es jetzt grob: Meine Kapitalismus-Kritik auf der einen Seite, und aber auf der anderen Seite mein Verstehen von sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Und das ist dann besonders deutlich zum Ausdruck gekommen, wie richtig mein Denken ist und dass es in die Richtung geht. Ich habe natürlich auch viel auf mich genommen. Du musst dann damit rechnen, dass du für dich selbst weniger herausbekommst. Aber das ist für mich nie ein Problem gewesen. Auch wiederum als 68er. Wir waren ja auch Konsumkritiker damals.
Gabriele Brandhuber
Also war es für dich einfach genug, was für dich rausgekommen ist?
Gert Rücker
Es war genug. Man muss halt: Was ist das richtige Maß? Und auf die Art und Weise war es mir immer ein Anliegen, auf der einen Seite das Unternehmen so zu führen, dass wir nicht ins Minus rutschen und auf der anderen Seite, wenn ich meine Mitarbeiter:innen brauche, das Ganze so ausgewogen zu machen, dass das Optimale für alle Bereiche möglich ist.
Gabriele Brandhuber
Schwierig, oder?
Gert Rücker
Es ist schwierig, aber es ist möglich. Es ist nur eines passiert, dass man leider Gottes den Faktor Arbeit in Österreich nicht in diesem Wert gesehen hat, den er tatsächlich darstellt und sich deswegen zu wenig Gedanken macht: Mit welchen Zusatzbelastungen zu den Löhnen und Gehältern kann ich die Unternehmen/ Immer diese Diskussionen: Mit welchen zusätzlichen Belastungen, die ja notwendig sind für die Transferleistungen, kann ich die Unternehmen belasten? Und da würde ich mir wünschen, dass es endlich nicht mehr eine Diskussion gibt: Da [auf der einen Seite] sind die Unternehmer, mit dem entsprechenden Bild und da [auf der anderen Seite] sind die Arbeitnehmer, mit dem entsprechenden Bild. Sondern dass genau das gemacht wird, was hier praktiziert wird: Wir brauchen uns gegenseitig. Wie machen wir es am besten?
Gabriele Brandhuber
Also mehr ein Miteinander.
Gert Rücker
Es geht sowieso nur so. Dass der Wettbewerb international dann ausgeartet ist, da ist etwas einfach aus dem Ruder gelaufen, und da nehme ich alle in die Verantwortung. Aber auch die Konsumentin und den Konsumenten. Wir müssen wieder dahinterschauen.
Gabriele Brandhuber
Hinterher schauen, hinter Produktionsbedingungen, hinter: Wie leben die Leute dort? Kriegen die genug für ihre Arbeit, sodass sie überhaupt leben können? Und so weiter.
Gert Rücker
Was passiert mit der Umwelt dort vor Ort? Und zusätzlich: Was passiert mit der Umwelt durch die Transporte, die Wege, die Bekleidung in diesem Wahnsinn nimmt, und was passiert dadurch mit dem Klima? Und dann sind wir schon wieder dort. Da merke ich eigentlich, dass mein billiges Produkt eine ganz schöne Auswirkung auf mich selbst hat. Über die Chemie, die hier [bei uns] Gott sei Dank verboten ist und überall anders problemlos eingesetzt wird. Über die Chemie möchte ich gar nicht mehr reden, aber jeder kann sich vorstellen, dass das nicht alles gesund ist, was ich an meine – nach der Nahrung ist die Bekleidung am nähesten am Menschen – was ich da über meine Kleidung zu mir nehme. Oder über die Haut aufnehme.
Gabriele Brandhuber
Ja, das ist ziemlich krass. Jetzt muss ich nachdenken, wie das Buch heißt von Rebecca Burgess. Woher kommt unsere Kleidung? Ich muss es noch mal nachschauen. Rebecca Burgess ist die Gründerin von Fibershed, einer Organisation oder eine Bewegung, die sich einsetzt für regionale Produktion. Also die Textilproduktion wieder regional zu machen, und zwar aus einer regenerativen Landwirtschaft. Die Fasern selber zu produzieren und dann regional zu verarbeiten, um regionale Kleidungsstücke [zu produzieren], die dann wieder dem Boden zugeführt werden können. Also ein bisschen ist das diese Idee, die wir auch mit dem AUTwool-Projekt verfolgen. Und in diesem Buch zitiert sie Studien, die zeigen, was uns einfach so gar nicht klar ist: Mit wie vielen Schadstoffen und Chemikalien oft Kleidung belastet ist, die wir über unsere Haut, das ja auch ein Riesen-Organ ist, in den Körper aufnehmen. Und was das dann mit uns Menschen macht. Ganz abgesehen von den Flüssen in Südostasien, die pinken Schaum daherbringen, wenn halt gerade Pink die Modefarbe, und in der nächsten Färberei.
Gert Rücker
Und natürlich auch ganz abgesehen von unseren Flüssen. Weil irgendwo hin – so gut kannst du unser Abwasser aus den Waschmaschinen gar nicht klären, was wir dann auf die Art und Weise wiederum über unsere Flüsse, zum Beispiel an Mikroplastik, wiederum in die Meere einspeisen. Es ist leider Gottes meine Wahrnehmung, dass wir irgendeinmal in dem Bereich, wie Georg Danzer in der „Wiener Trilogie“ so schön fragt: „Du, sind wir irgendwo falsch abgebogen?“ Und am Schluss sagt sein Duettpartner: „Du, Schurli, ich glaube, wir sind wirklich irgendwo falsch abgebogen.“ Gabi,irgendwo sind wir falsch abbogen, aber ich bin ein positiver Mensch. Wir sind intelligente Wesen mit Herz. Es ist zwar schon ein bisschen spät, aber es ist nie zu spät.
Gabriele Brandhuber
Es ist nie zu spät, es auch anders zu versuchen. Genau. Und ein Unternehmen und ein Unternehmer und seine Mitarbeiter brauchen ja auch Kunden beziehungsweise Auftraggeber, die sagen: „Das ist eine klasse Firma, die finde ich großartig. Da will ich meine Kollektion produzieren lassen. Daher meine nächste Frage: Wer lässt denn bei euch nähen, oder umgekehrt auch: Mit welchen Kundinnen und Kunden arbeitet ihr denn gerne zusammen?
Gert Rücker
A: Wirklich mit allen. Das ist jetzt keine unternehmerische Vorsicht. Weil das war wirklich das Spannende. Jeder, der vielleicht diesen Podcast hört, wird bestimmt spüren, dass wir da über eine sehr persönliche Herzensangelegenheit sprechen. Und ich bin ja nicht nur der Geschäftsführer dieses Unternehmens, sondern ich bin ja auch mein eigener Außendienst. Also ich bin für die Kundenakquise, Kundenbetreuung und so weiter zuständig. Also wenn es Probleme gibt, dann [mache ich] Kundenbetreuung, weil ansonsten betreuen meine Mitarbeiterinnen sehr selbstständig die Kunden. Aber das ist natürlich genau mein Job. Und das ist interessant. Wenn jemand nicht zu JMB passt, oder JMB nicht zu jemandem passt, weil wir haben , klare Vorstellungen, was wir von unseren Mitarbeiterinnen maximal verlangen können und welche Auswirkungen das unter Umständen auf den Liefertermin haut. Abgesehen davon, dass ich generell jeden Liefertermin sausen lasse, nicht extrem, aber wenn wir im Zuge der Endkontrolle – und bei mir wird jedes Teil kontrolliert – feststellen, dass die Ware nicht ganz einwandfrei ist, bin ich derjenige, der den Kunden anruft und sagt: „Sorry, es verzögert sich um einen oder zwei oder drei Tagen, aber wir müssen nachbessern. Ich kann so nicht ausliefern.“ Das heißt also, durch diese sehr persönliche Art und Weise, die auch selbstbewusst ist. Ich habe den Kunden nie oder schon sehr lange nicht mehr als König gesehen, sondern wir sind ein Partner. Wir haben uns gemeinsam einer sehr ehrgeizigen wirtschaftlichen Variante verschrieben. Weil jeder, der in dem Bereich, auf die Art und Weise produziert, bezahlt mit Erträgen. Weil dadurch [durch die Produktion in Österreich] wird es [ein Produkt] automatisch ertragsschwächer. Und mit einem persönlichen Einsatz, hat aber den Riesenvorteil einer engagierten Firma, die an seine Themen auch denkt, und sich als Partner fühlt, und deswegen auch die Schwierigkeiten des Gegenübers, nicht als Belastung [empfindet], oder dass man da in ein Machtspiel hineinkommt. Sondern wir denken dann nur lösungsorientiert und sagen: „Okay, jetzt ist das Thema beim Kunden aufgetaucht. Wie können wir es lösen? In meiner Produktion?Was fällt Ihnen ein? Was fällt mir ein?“. Und dann kommen wir mit einem Angebot zum Kunden, wie wir sein Problem – es ist ja nur indirekt unseres – lösen können. Und wir haben immer eine Lösung gefunden. Also deswegen nur gute Kunden. Und alle, die auf ein ehrliches „Made in Austria“ Wert legen – das sind Gott sei Dank doch einige –, finden sich bei mir.
Gert Rücker
Ich weiß nicht, ob jetzt einen Namen nennen soll oder nicht. Ich nenne gerne, so quer durch den Gemüsegarten, nenne ich gern eine Firma Susanne Spatt oder eine Firma Consches. Oder auch gerne eine Firma Tostmann, oder eine Firma Frauenschuh, zusätzlich auch die Firma Urban, oder Lena Linei, oder DeLin in Wien. Wir haben einige größere Kunden, aber auch sehr viele kleine, also um jetzt alle aufzuzählen. Weil wir sind der Spezialist, wir entwickeln gerne Kollektionen gemeinsam, mit und für unsere Kunden. Also bei mir rufen Designer an und sagen, sie starten jetzt gerade mit dem. Und dann sind wir gerne mit dabei. Nicht, weil wir nur im in kleinen Bereichen produzieren wollen, sondern weil wir gerne mit unseren Kunden mitwachsen. Und ein vielleicht wachsender Kunde könnte ja auch AUTwool werden.
Gabriele Brandhuber
Könnte vielleicht auch AUTwool werden, schauen wir mal.
Gert Rücker
Nein, ich bin davon überzeugt.
Gabriele Brandhuber
Dankeschön. Ich werde dir ja ewig, ewig, ewig! dankbar sein, dass du dabei warst in Sankt Lambrecht, bei unserer was sich dann im Nachhinein als Gründungssitzung herausgestellt hat. Weil du hast ja erst mittags kommen können, da war am Vormittag ein anderer Termin, und warst aber dann am Nachmittag da. Und ich werde das echt nie vergessen, wie ich dann so gegen Ende dieses Workshop-Tages abschließende Worte gesprochen habe, und mich bei allen bedankt habe, wie toll das war, dass jetzt alle da waren, und dass wir uns so konstruktiv ausgetauscht haben, und so weiter. Und dann sitzt Gert Rücker da und sagt: „Ja, und wie geht es jetzt weiter?“ Und ich sage: „Ja, also schauen wir mal. Weil das werden wir dann sehen. Und es wird ja vielleicht einmal und so weiter.“ Einfach auch aus meiner, wie soll ich sagen: Ich habe das sehr stark gehofft, aber nie zu glauben gewagt, dass da vielleicht irgendwas Konkretes sich ergeben könnte, aus dem Tag. Also ich war ein bisschen am Abschwächen und am Abwiegeln. „Jetzt schauen wir dann einmal, und dann werden wir schon sehen.“ Und du sagst: „Bringen wir ein Kleidungsstück zusammen, so wie wir da sitzen?“ Und das war echt dieser Funke, dieser Zünder, wo alle gesagt haben: „ Na klar bringen wir das zusammen?“ Und ich weiß nicht, ob es das Projekt gäbe, wenn du nicht da gewesen wärst und gesagt hättest: „Bringen wir ein Kleidungsstück zusammen?“ Und das war so eine einfache Frage, die einfach das aufgegriffen hat, was an diesem Tag in diesem Raum mit diesen ganzen Gewerbetreibenden, die mit Wolle zu tun haben, eh schon in Pausengesprächen, im Mittagsgespräch, haben die einen mit den anderen und schauen wir mal, wie wir kooperieren können. Aber es hat sich dann, wie soll ich sagen, kristallisiert an deiner Frage, und jeder hat gesagt: „Jaja!“ Der Roland vom Bundesverband [für Schafe und Ziegen] bringt die Wolle. Und Ferner war da, der gesagt hat: „Ja, das spinne ich euch.“ Und Heratex war da, der gesagt hat: „Ich stricke euch das.“ Oder Gottstein.
Gert Rücker
Ein wunderbarer Schäfer war da.
Gabriele Brandhuber
Der auch, genau. Und die Designerin, die zufällig, weil sie ja eigentlich eine Leinen-Kollektion entwickelt hat. Und jemand, der super Video machen kann und schneiden, nämlich die Hannah.
Gert Rücker
Walter Aigner, der einen wichtigen Beitrag geleistet hat.
Gabriele Brandhuber
Der Walter Aigner, der uns einen finanziellen Startschuss oder eine finanzielle Startspritze gegeben hat. Und eben die Hannah, weil der Walter gesagt hat, er hat keine Zeit, das zu filmen, aber wir haben ja die Hannah, die gut Videos machen kann. Und es war einerseits ein glückliches Zusammentreffen von genau den richtigen Leuten zum genau dem richtigen Zeitpunkt. Und gleichzeitig auch: Also ich glaube, ohne deine Frage wären wir da rausgegangen und hätten alle gesagt: „Ja, vielleicht machen wir mal was.“ Und [deine Fragen] hat diesen Stein ins Rollen gebracht.
Gert Rücker
Ich unterschreibe das. Es wäre ganz sicher nicht zustande gekommen. Weil jeder der dort Anwesenden, das muss man auch dazu sagen, hat so viel zu tun! Dass er sich plötzlich in die Rolle bringt und sagt: „Jetzt müssen wir uns wieder alle zusammenrufen“, und so weiter. Ich bin sehr dankbar, dass du das nach wie fort noch so siehst, und dass alle so mitgetan haben. Ich muss aber die Anerkennung deswegen etwas relativieren, weil ich hatte eine absolut negative Erfahrung mit einer Veranstaltung in Wien gehabt, einer sehr groß aufgezogenen, europaweit angesetzten Veranstaltung. Die war so großartig, dass ich den Titel gar nicht mehr genau weiß. Ich weiß aber, wie glücklich ich war, dass es darum gegangen ist, dass man ernsthaft versuchen wird, Produktion wieder nach ganz Europa zu bringen. Also nicht irgendwo hin, weil „Made in Europe“ sagt ja noch nicht unbedingt alles, was wir derzeit schon haben. Da müssten wir uns auch genauer beschäftigen damit. Auf jeden Fall, da wurden über, glaube ich, drei oder wie viele Tage, bestimmt auch für sehr, sehr viel Geld, wurden namhaft – und das meine ich jetzt nicht ironisch – namhafte Menschen aus ganz Europa nach Wien gekarrt. Und mich hat man als Produzent in Österreich zu einem Panel eingeladen, als Sprecher. Und ich war natürlich wirklich glücklich, weil ich mir gedacht habe: „Boah! Jetzt geht es los!“ Dass überhaupt die Aufmerksamkeit da ist, und so hochkarätig. Habe Gott sei Dank vorher mit einem Kunden gesprochen, der in Paris sitzt. Wir haben einen sehr guten Kunden in Paris, der seine Kollektion weltweit wunderbar macht. Und ich erzähle ihm das ganz stolz, sagt er darauf – er kann Gott sei Dank gut Deutsch, weil er Südtiroler ist: „Herr Rücker, ich halte von diesen Dingen nicht viel.“ Sage ich: „Sie, das kann ich mir jetzt nicht vorstellen. Ich finde das doch cool!“ Sagt er darauf: „Meine Erfahrung ist: Die Leute kommen zusammen, es wird geredet, es gibt eine „Agenda“. Aber wenn man sich anschaut, was außer Spesen dann wirklich herauskommt, dann wird es schon sehr dünn.“ Und diese Erfahrung, Gabi, weil das ist erst ein paar Wochen her gewesen, mit dieser Erfahrung kam ich Gott sei Dank dorthin. Deswegen muss ich meine Leistung etwas mindern, weil ich habe mir gedacht: „Um Gottes Willen! Nicht schon wieder!“ Im Februar ein Protokoll? Weil du hast auch viel zu tun. Ich habe gesagt: „Bitte!“ Das war eine Eingebung. Danke. Aber dass dann alle so mittun, da möchte ich wirklich auch an dieser Stelle dir einmal danken. Dem Roland danken. Unbedingt auch …
Gabriele Brandhuber
Nein, allen Firmen, die da mit dabei sind!
Gert Rücker
Allen Beteiligten.
Gabriele Brandhuber
Allen, weil die ja gesagt haben: „Ja, das machen wir!“ Und auch in Vorleistung gehen, und das ist das Großartige an dem Projekt. Wir hätten das überhaupt nicht gestemmt, wenn nicht alle gesagt hätten: „Genial! Ja, da machen wir! Das rechnet ihr dann ab, wenn ihr die Jacken verkauft habt.“ Weil wir haben ja im Endeffekt mit null Startkapital angefangen, und es gehen alle in Vorleistung, auch wir selber. Wir ja haben auch noch alle, die wir in dem Kernteam sind, keinen Groschen gesehen. Und wenn wir die Westen verkaufen, was wir sehr stark hoffen, dann werden wir allen Firmen anteilsmäßig auch alles ausbezahlen. Aber ohne diese Vorleistung wäre es nicht gegangen. Und ohne dieses: „Wir sitzen alle an diesem Tisch“, also ohne dieses Commitment zu an einem Projekt, von dem im November [2023] – also vor einem knappen Jahr, muss man dazusagen – noch nicht klar war, was es werden wird, das ist tatsächlich etwas, das denke ich selber auch immer: Es ist einfach großartig, dass wir das so auf den Boden bringen. Aber eben nicht allein, sondern gemeinsam. Da bist du dabei, da ist eben Ferner Wolle dabei, da ist Heratex dabei, da ist Gottstein dabei. Jeder, der was beitragt zu diesem Projekt. Und Regensburger, der die Wolle gewaschen hat.
Gert Rücker
Zwei Dinge geschwind dazu. Das eine möchte ich ausdrücklich sagen: Bisher ohne jeden Euro Förderung. Man muss es dazu sagen! Weil es wird für so viel – Entschuldigung – Schwachsinn Geld ausgegeben. Aber das ist eben interessant: Für dieses Projekt, bis jetzt, vielleicht ändert sich noch etwas. Vielleicht hört das ein Politiker, eine Politikerin und sagt: „Bist du gescheit? Das ist gut. Da müssen wir unbedingt auch einen Beitrag leisten.“
Und das zweite ist, was noch wesentlich wichtiger ist. Jeder, der das hört, muss sich darüber im Klaren sein, dass das nur möglich ist, weil es eben die genannten Betriebe noch gibt. Und ich muss wirklich über diesen Podcast ausdrücklich noch einmal sagen: Bitte, es sind nicht nur JMB „Die Gebliebenen“ [Referenz auf den Dokumentarfilm], sondern wenn wir uns das anschauen, wie wenig Betriebe wir überhaupt noch haben, gerade in diesem Bereich. Aber die Problematik, die sich hier aufzeigt, die gilt auch für so viele Klein-und Mittelbetriebe, wo es vielleicht noch wesentlich mehr gibt, wie in der Landwirtschaft zum Beispiel. Da gibt es noch sehr viele. Aber wenn wir uns anschauen, wie viele Betriebe Jahr für Jahr schließen. Entweder weil es sicht nicht mehr ausgeht. Oder, was genauso gravierend ist, weil sie keine Nachfolge finden. Wie viele Handelsbetriebe das betrifft, Gewerbebetriebe, wurscht ob Handwerk oder Handel oder kleiner industrieller Mittelstand. Gasthäuser. Wie viele Dörfer verlieren ihre Identität, weil kein Gasthaus mehr drinnen ist? Wir sind hier in Rohr an der Rab das beste Beispiel. Gott sei Dank gibt es dann noch die Feuerwehren, die dann wenigstens/ das ist wirklich so. Ich habe in Oberösterreich miterlebt, da ist mir das erstmals bewusst geworden, was die im Grunde noch allein durch das Angebot, das sie für die jungen Menschen haben, plus die Musikschulen, auch ganz wichtig! Die auf diese Art und Weise dort wirklich Gemeinschaft leben. Dann haben sie dieses Fest und jenes Fest und so weiter. Also das sind wirklich noch … Und wir brauchen ja unbedingt diese Stellen, wo wir uns vernünftig sozial begegnen können. Das wollte ich unbedingt noch anfügen. Danke!
Gabriele Brandhuber
Danke. Das ist eine interessante Sache. Ich habe Verwandtschaft im Burgenland, in einem kleinen Ort, wo es früher drei Gasthäuser gegeben hat. Die haben alle nach der Reihe zugesperrt. Und eine Cousine von mir hat jetzt eins dieser Gebäude dort gekauft. Eigentlich macht die beruflich ganz was anders, die ist im Bankwesen. Aber sie hat als junger Mensch eine Tourismusfachschule besucht, und hat jetzt dieses Gasthaus wieder eröffnet. Halt immer am Freitag und Samstag, weil sie lebt in Wien und fährt am Wochenende raus. Und am Freitagabend, Samstag und Sonntag gibt es jetzt wieder ein Gasthaus, wo die Leute nach der Kirche hingehen und sich die Alten und die Jungen treffen. Das finde ich schön.
Gabriele Brandhuber
Also ich habe dieses Gefühl: Ja, es geht so viel [verloren]… Ich mag nicht … Wie soll ich sagen? Ich bin ein grundsätzlich positiver Mensch und ich tue wahnsinnig ungern jammern. Immer wenn ich mich beim Jammern erwische, höre ich sofort auf, weil ich mir denke: „Ich will mich nicht in diese Opferrolle begeben.“ Dann kommt sofort bei mir der Gedanke: „Aber was kann ich denn tun? Was kann ich tun, um nicht in dieses: „Es ist eh alles [so schlecht]!“ Um nicht in dieses Jammern reinzugehen. Was kann ich tun? Und dann finde ich meistens, oder sehr häufig einen Weg, das dann doch positiv zu sehen oder positiv zu wenden. Und ich habe auch das Gefühl, dass wieder neue Leute nachkommen, die wieder Schwung reinbringen, und die Sachen auch wieder neu denken und anders denken. Und da sind wir jetzt wieder beim Textilen auch, gerade mit der Fibershed Bewegung, oder auch Fashion Revolution. Es gibt so viele Organisationen, die sich darum bemühen, Bildungsarbeit zu machen. Und ich glaube halt, Bildungsarbeit ist auch immer viel einfacher, wenn man ein Produkt hat, das man angreifen kann und sagen kann: „Schau, diese Weste. Wenn wir die nicht gemacht hätten, wäre diese Tiroler Bergschaf-Wolle am Kompost gelandet.“ Und so nehmen wir ein Rohmaterial, das total großartig ist und machen daraus ein hochwertiges Produkt, das hoffentlich lang – sofern man es vor Motten schützt – ganz lang man tragen kann, und das auch zeitlos ist und nicht aus der Mode kommt.
Gert Rücker
Ich hoffe, dass keine meiner Aussagen bisher als Jammern geklungen haben. Ich wollte es nur der Ordnung halber dazu sagen.
Gabriele Brandhuber
Nein, das habe ich jetzt so nicht verstanden. Nein, gar nicht.
Gert Rücker
Und wenn ich diese Hoffnung nicht hätte. Obwohl der Intellekt manchmal, wenn ich mir so das anschaue, der sagt dann manchmal: „Vergiss es! Weil Polykrise, und wie soll denn das gehen, und so weiter.“ Aber! Der Wille, der sagt: „Ja!“ Und wenn ich die Hoffnung nicht hätte, dann hätte es ja auch keinen Sinn, die Firma mit mit so viel Einsatz weiter zu betreiben.
Gabriele Brandhuber
Weil du gesagt hast: So viele sperren zu, und die Nachfolge und so weiter. Im Grunde bist du auch in einem Alter, wo du sagen könntest: „So, danke, ich gehe jetzt in Pension. Mir ist das alles …“
Gert Rücker
Nein, ich bin noch viel zu jung.
Gabriele Brandhuber
Und trotzdem bist du eben jeden Tag…
Gert Rücker
Ich bin schon in Pension! Aber zum Aufhören bin ich eindeutig noch zu jung.
Gabriele Brandhuber
Und trotzdem bist du eben jeden Tag in der Firma und …
Gert Rücker
Oder beim Kunden.
Gabriele Brandhuber
Oder beim Kunden, genau. Und schaust darauf, dass es hier weitergeht. Wie siehst du die Zukunft deiner Firma?
Gert Rücker
Positiv, über mich hinaus. Also damit auch dieser Eindruck nicht entsteht. Gert Rücker kann auch ohne das wunderbare JMB Fashion Team leben. Abgesehen davon, dass du als Unternehmer ja nie davor gefeit bist, dass irgendetwas passiert. Dass du mit deinem Unternehmen nicht mehr über die Runden kommst. Ein ganz wichtiger Punkt, muss jeder wissen, der sich kritisch mit Unternehmern beschäftigt. Der Unterschied ist: Mit deiner Firma kannst du in Konkurs gehen. Trauriges Beispiel jetzt Lena Hoschek. Und die hat wirklich sehr viel, sehr gut gemacht. Hintergründe kenne ich nicht, aber da sieht man, was Unternehmertum an Risiko mit sich trägt. Das heißt: Die Firma wird es weiter geben, aber nicht, weil der Gert Rücker sich nichts Besseres zu tun weiß. Weil dann hätte ich mehr Zeit zum Schlagzeug üben. Oder mich mit Kunst, Kultur, Lesen und so weiter zu beschäftigen. Ganz wesentliche Dinge für mich. Aber so, wie ich vor zwei Jahren noch eigentlich resignierend festgestellt habe: Einen Lehrling, das wird es bei uns nicht mehr spielen. Und siehe da, jetzt haben wir einen wunderbaren Lehrling. Marie ist seit Anfang September Teil unserer Firma. Unglaublich, wie viel sie in der kurzen Zeit [gelernt hat]. Wie die Nähte, diese Nähmuster, die sie am Anfang genäht hat und das, was sie jetzt schon kann [unterschiedlich sind]. Mit wie viel Freude und Energie sie sich da entwickelt, und wie sie auch in dem Arbeitsprozess drinnen steht. Und genauso, wie ich immer letzten Endes daran geglaubt habe, JMB bekommt einen Lehrling. Und jeder, der das hört, und sich ein bisschen auskennt, weiß, wie schwer es ist, Lehrlinge überhaupt zu bekommen. Und wenn so etwas möglich ist, Gabi. Dann weiß ich eigentlich … Ich weiß es. Ich habe es auch schon visualisiert, wie dieser letzte Tag in meinem Unternehmen aussehen wird: Wie viel Freude, Tränen natürlich auch, in den Gesichtern steht. Ich weiß ganz genau, da steht etwas derartig Komplexes, auch Selbstständiges – das funktioniert ja nicht nur wegen mir, sondern in erster Linie auch wegen dieses gut zusammengespielten Teams – wird es jemanden geben, der sagt, in welcher Form auch immer: „Das mache ich.“
Gabriele Brandhuber
Das übernehme ich. Diese Firma ist so gut eingespielt, dass ist großartig. Mit denen möchte ich.
Gert Rücker
Diese Firma brauche ich! Ohne die kann ich nicht glücklich werden!
Gabriele Brandhuber
Das wünsche ich dir.
Gert Rücker
Danke.
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