Aktualisiert am 20. Oktober 2024.
Seit knapp drei Jahren reist Walter Aigner kreuz und quer auf den Spuren der Schafwolle durch Europa, von Norwegen bis Portugal und von Frankreich bis Rumänien. Der daraus entstehende Dokumentarfilm wird voraussichtlich 2025 ins Fernsehen kommen. In der heutigen Folge erzählt Walter vom Nutzen, den die Schafe für die Erhaltung von freien Landschaften und Biodiversität haben, und dass die Wolle nur gerettet werden kann, wenn die Schäfer und Schäfer:innen (wieder) von den Produkten ihrer Tiere leben können. Sprich: Wenn Konsument:innen Produkte aus heimischer Wolle auch kaufen.
Walter Aigner hat früher ein kleines Unternehmen mit mehreren Standorten geleitet, in dem in der Schweiz, in Tunesien und in Österreich handgewebte Wollteppiche aus eigenen Garnen herstellt wurden. Diese Produktionen hat er nach einem großen Umbruch im Markt nach Rumänien verlegt. 20 – 30 % der verwendeten Schafwolle stammte aus Europa, der Großteil aus Neuseeland.
Vor ein paar Jahren hat Walter seine Anteile an dieser Firma verkauft, und seit 2021 reist er kreuz und quer durch Europa, immer auf der Suche nach Geschichten rund um die scheinbar unscheinbare lokale Schafwolle. Sein Ziel? Eine Dokumentation über die kulturellen und ökologischen Einflüsse der Schäferei zu drehen. Alles begann, als ein Freund ihm von einem Schäfer erzählte, der keine Verwendung für seine Wolle hatte – ein Schicksal, das viele Schäfer teilen. Angespornt von dieser Geschichte, entschied sich Walter, die Kamera in die Hand zu nehmen, um den Wert der Wolle und der Schafe, die sie liefern, ins Rampenlicht zu rücken.
Doch warum ist Schafwolle heutzutage ein solches “Problem”? In Europa gibt es rund 600 heimische Schafrassen, und jede hat ihre eigene, einzigartige Wollqualität. Anders als in Australien, wo riesige Herden von Merinoschafen weiden, sind die Herden in Europa meist klein und vielfältig. Diese Vielfalt ist zwar ein kultureller Schatz, aber aus industrieller Sicht eine Herausforderung. Die Verarbeitung von Wolle ist teuer, während synthetische Fasern, die aus überschüssigem Rohöl hergestellt werden, den Markt überschwemmen und billig sind. Hinzu kommt die Fast-Fashion-Industrie, die auf Massenproduktion setzt und damit die Nachfrage nach natürlichen Fasern dämpft.
Walter Aigner zeigt in seiner Dokumentation, dass es um weit mehr geht als nur um Mode: Schafe spielen eine essentielle Rolle im Erhalt der Kulturlandschaften, fördern die Biodiversität und helfen sogar, Waldbrände zu verhindern.
Was braucht es also, um der europäischen Wolle wieder mehr Bedeutung zu verleihen? Walter ist überzeugt, dass es vor allem an uns Konsumenten liegt. Wir müssen bereit sein, hochwertige Wollprodukte zu kaufen und die Geschichten dahinter zu schätzen. Einige Unternehmen in Europa machen es vor: Sie setzen auf regionale Wolle, erzählen die Geschichten der Schafe und Schäfer und verarbeiten die Wolle zu einzigartigen Produkten. Walters Dokumentation soll nicht nur die Probleme aufzeigen, sondern auch den Blick für die Möglichkeiten schärfen.
Also, das nächste Mal, wenn du einen Pullover aus Schaf-Schurwolle kaufst, denk daran: Du könntest nicht nur ein Kleidungsstück erwerben, sondern ein Stück Kultur und Nachhaltigkeit unterstützen.
Jede Entscheidung gegen Plastik und für Schaf-Schurwolle ist jedenfalls eine gute Entscheidung – außer wir sprechen von High-Performance Kleidung für extreme Outdoor-Situationen, aber wie oft brauchen wir die im Alltag schon. Falls du mehr darüber wissen möchtest, hör dir gerne die Podcastfolge Nummer 20 über Funktionskleidung an.
Schafwolle macht gerade mal 1% der weltweiten jährlichen Faserproduktion aus. Es gibt – nicht nur, aber auch – in Europa immer mehr Initiativen, die natürlich gewachsenen Fasern wie der Schafwolle wieder mehr Wert geben möchten. Eine dieser Initiativen ist unser Projekt AUTwool. Am Sonntag den 24. November 2024 um 15:00 Uhr präsentieren wir unser erstes Produkt, die #WollWeste2024 im Museum Ebensee erstmals der Öffentlichkeit (Link zur Veranstaltung). Wir erzählen unsere Projektgeschichte und bringen Westen zum Anprobieren mit.
Walter Aigner wird den Trailer zu seinem Dokumentarfilm zeigen, und auch der vorher schon erwähnte Schauspieler Harald Krassnitzer, der diesem Film seine Stimme leiht, wird da sein.
Falls du in der Nähe von Ebensee wohnst, freuen wir uns, wenn du zur Präsentation kommst. Ansonsten folge gern dem AUTwool Projekt auf Instagram oder per Newsletter (Anmeldung auf der Webseite), um vom Verkaufsstart der Jacke informiert zu werden. Und folge natürlich auch Walter Aigner auf Instagram oder LinkedIn, wo er immer wieder tolle Beiträge mit wunderbaren Bildern postet.
- Jährlich ein Zuwachs von 4000 Hektar Wald in Österreich (ORF)
- Waldbrandgefahr in Oberösterreich (ORF)
- Rosa Pomar, Portugal, mit dem Slogan #softnessisoverrated
- Lodenwalker in der Steiermark
- WoolDreamers in Spanien
- Cañadas Reales, die alten Schaftrieb-Wege (Wikimedia)
- Swiss Wool
- Firma Klippan, schwedische Wolldecken
- CC Wool, Wollsammler für Klippan Yllefabrik
- Lanificio Paoletti in Italien
- Textile Exchange, eine Non-Profit Organisation
- Die Schneider-Gruppe, italienischer Wolle-Großhändler, Authentico-Label
- Segard Masurel, französischer Wolle-Großhändler seit 1846, “Abelusi” Zertifikat
- Chargeurs PPC, französische Weltmarktführer für luxuriöse Kammwolle, Siegel “Nativa Regen”
- Laines Paysannes in Frankreich
- Chandam, französisches Modelabel, vorwiegend Pullover und Gestricktes aus Wolle und Leinen
- 00:01:46 Wie es zu Walters Filmprojekt gekommen ist
- 00:07:52 Schafe, Klima und Landschaftsschutz
- 00:13:13 Schafe fördern Pflanzenvielfalt, Schafe im Wald
- 00:18:01 Faire Preise für Schafbetriebe statt Subventionen
- 00:21:44 Problem: Kleine Herden, viele Schafrassen
- 00:25:52 Problem: Synthetische Fasern
- 00:31:53 Es braucht Konsumenten, die Produkte aus Wolle kaufen
- 00:35:34 Beispiele von erfolgreichen Woll-Projekten und -Betrieben
- 00:35:35 – Rosa Pomar: #softnessisoverrated
- 00:38:12 – Lodenwalker Ramsau: schmutzige Wolle kaufen wir nicht
- 00:40:22 – Wooldreamers: Teppichgarne
- 00:42:02 – Swiss Wool: Vliesstoffe für viele Zwecke
- 00:47:05 – Klippan: schwedische Schafwolldecken
- 00:51:14 – Lanificio Paoletti: seltene Schafrassen für internationale Modehäuser
- 00:53:10 Wool Standards
- 00:57:00 Erfolgsfaktoren von erfolgreichen Projekten: Geschichten erzählen, Wertschöpfung kontrollieren
- 01:03:27 Aufruf: Arbeitet zusammen!
- 01:06:30 Einladung zur Präsentation der #WollWeste2024 am 24.11.2024 in Ebensee
- 01:07:55 Abspann
Gabriele
Servus Walter. Schön, dass du heute da bist und dass du dir die Zeit nimmst für unser Gespräch.
Walter
Hallo Gabi. Schön, da zu sein.
Gabriele
Seit fast drei Jahren reist du jetzt auf den Spuren der Schafwolle durch Europa, von Norwegen bis Portugal und von Rumänien nach Frankreich, um einen Dokumentarfilm zu drehen. Du verbringst mehrere Wochen am Stück im Auto und in abgelegenen Gegenden, reist mit Schäfern und besuchst wollverarbeitende Betriebe. Ich finde das total spannend. Ich kriege immer Gänsehaut, wenn ich das jemandem erzähle, weil ich das so ein tolles, tolles Projekt finde! Was war denn eigentlich der Auslöser dafür und wieso machst du das?
Walter
Der Auslöser dafür war, dass mich vor gut drei Jahren der österreichische Schauspieler Harald Krassnitzer angerufen hat, und mich gefragt hat, was ich tue. Ich kenne den Harald, weil er mir einmal geholfen hat, in meiner früheren Firma. Und habe ihm dann so erzählt, an was ich arbeite. Und dann sagt er: „Walter, ich war gerade spazieren, letzte Woche, in Norddeutschland, in einer Drehpause. Und treffe einen Schäfer mit seiner Herde. Frage den Mann/ Weil ich immer wieder an dich denke, frage ich ihn: „Was machst du mit der Wolle?” Und der mustert mich von oben bis unten und sagt: „Wegwerfen, was sonst?” Als ob es das Normalste der Welt ist. Und dann hat der Harald gesagt: „Und dann habe ich an dich gedacht. Walter, du musst etwas machen!” Das hat mich natürlich einmal einen Lacher gekostet, und ich habe gesagt: „Harald, ich werde sicher nicht mehr operativ mit der Wolle. Ich habe das fast 25 Jahre lang gemacht. Und alles, was ich mit der Wolle mache, würde in Konkurrenz zu meinen bisherigen Partnern stehen. Das will ich nicht.” Aber wir haben dann über eine Stunde lang telefoniert und am Schluss vereinbart, dass ich einmal ein Konzept mache für eine Doku, und er mit seiner Produktionsfirma spricht. Also habe ich acht Wochen recherchiert damals, bis Anfang Juni 2021 ein Konzept geschrieben, ihm geschickt, und dann zwei Jahre lang nichts mehr von ihm gehört. Weil Harald extrem beschäftigt ist und ich das gut verstehen kann. Aber dann bin ich da gestanden mit einem Thema, das mich fasziniert, zu dem ich natürlich einen Zugang habe, auch weil ich bereits 2017 einen Schäfer in Rumänien kennengelernt habe. Ich habe damals einen FAZ-Journalisten zu ihm gebracht. Und der Mann und seine Familie, seine Arbeit haben mich fasziniert. Und da habe ich mir gedacht: Okay, ich kenne einen rumänischen Fotografen, der filmt. Ich habe selber davor einige YouTube-Videos gemacht. Wie wäre es denn, wenn dieser rumänische Fotograf und Kameramann mir die Szenen mit dem Schäfer in Rumänien filmt, und ich drehe die Interviews quer durch Europa? Ein Interview zu drehen ist, ähnlich wie jetzt so eine Podcast-Folge aufzunehmen, ein Standardvorgang. Das kann man lernen. Man braucht das Licht, man braucht den Ton, man braucht die Kameras. Man muss lernen, Fragen zu stellen, wie du das machst. Und man muss danach lernen, das zu bearbeiten. Und man braucht natürlich die sogenannten Schnittbilder von der jeweiligen Location dazu. Was halt der Mann, die Frau, die ich jeweils interviewe, machen. Und das habe ich mir zugetraut. Und so habe ich dann einfach angefangen, es zu tun.
Gabriele
Hast dir ein Kamera-Equipment besorgt, und ins Auto gepackt, und bist losgefahren?
Walter
Ja, nicht ganz so. Ich habe natürlich erst einmal einen Filmkurs gemacht. Ich habe mir von dem rumänischen Kameramann einiges erklären lassen, einiges zeigen lassen. Aber dem war das dann nach elf Monaten schon zu viel, und er ist ausgestiegen wieder aus dem Projekt. Und dann bin ich vor der Tatsache gestanden, dass ich/ Also bis auf die Aufnahmen, die er geliefert hat und ein Interview, das ich im Mai 2022 in Deutschland gemacht habe, war mir klar, dass ich nichts von all dem, was ich bis dahin gefilmt habe, verwenden möchte, verwenden kann. Weil einfach die Qualität nicht so ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Und habe dann angefangen, ernsthaft filmen zu lernen, auch bei den Schäfern in Rumänien zu filmen. Es hat sich dann herausgestellt: Ich kann bei dem einen Schäfer, den ich so gut kenne, auf dem Berg oben nicht filmen, weil der Grundeigentümer die Erlaubnis dazu nicht gibt. Also musste ich mir einen anderen Schäfer suchen für die Sommerarbeit. Und habe aber dem Schäfer, den ich gut kenne, die Treue gehalten, weil der etwas Einzigartiges macht: Der macht eine lange Transhumanz. Und dann habe ich angefangen. Habe natürlich bis dahin schon einige Reisen absolviert gehabt: nach Italien, nach Deutschland, nach Schweden, nach Dänemark, viele Leute getroffen. War in Frankreich bis dahin schon und habe dann halt die meisten Leute, die in der Doku sind, mindestens zweimal besucht und das Interview beim zweiten Mal erst aufgenommen, wenn das entsprechende Vertrauensverhältnis da war.
Gabriele
Das klingt fein, ja. Gleich an dieses Thema anschließend: In deinen Vorträgen – also ich habe einmal einen Vortrag von dir gehört, den du in Schweden gehalten hast. Und ich denke auch mal, später im Film geht es ja nicht nur die Schafe als Lieferanten für Fleisch, Milch und Wolle, sondern, wie du jetzt schon anklingen hast lassen, auch ganz stark um ihren Einfluss auf Landschaft und das Klima, um die Schäfer und die kulturellen Praktiken, die eben mit der Weidewirtschaft und mit der Schäferei zusammenhängen. Eben diese Wanderschäferei oder Transhumanz, was eben bedeutet, dass die Schäfer mit ihren Schafen Hunderte von Kilometern zurücklegen, auf ihrem Weg hin und wieder retour. Magst du uns ein bisschen in dieses Thema einführen, was die Schafe mit dem Klima und mit dem Landschaftsschutz zu tun haben?
Walter
Ja, wenn wir heute in Europa aus dem Fenster schauen, auf dem Land draußen, wenn wir auf der Alm sind, dann glauben wir immer, wir sehen Natur. Wir sehen aber eine Kulturlandschaft. Eine Kulturlandschaft, die geprägt ist durch jahrtausendelange Beweidung und Kultivierung der Landschaften. Eine Kultivierung, die mit Hilfe von Wiederkäuern erfolgt ist, überwiegend. Wiederkäuer, wie Rinder, Schafe haben die hervorragende Eigenschaft, dass sie das im Gras enthaltene Protein, die Eiweißstoffe, in für den Menschen leicht verdauliches und verwertbares Eiweißprotein umsetzen können. Und wir brauchen Proteine für unsere Ernährung, und das tierische Protein ist dem Protein, das wir Menschen benötigen, sehr, sehr ähnlich. Schafe sind eines der frühesten Haustiere, nach den Hunden, die die Menschen domestiziert haben. Somit begleiten uns Schafe sicher schon seit 10.000 Jahren.
Und diese Folgen auf die Kulturlandschaft sind besonders extrem zu sehen zum Beispiel in England. England ist ein Land, das quasi eine unsinkbare Schaffarm darstellt. Im 14. Jahrhundert wurden durch Bezahlung großer Prämien die Wölfe auf den britischen Inseln ausgerottet. Was die Behirtung der Schafherden, die immer größer wurden/ Es gab im 14. Jahrhundert schon Klöster, die 30.000 Schafe und mehr gehalten haben in England. Weil die englischen Wollen so begehrt waren und man so viel Geld damit verdienen konnte. Das hat dann das Extrem gefunden im 18. Jahrhundert mit den durch Gesetz legitimierten Highland Clearances, wo Kleinpächter von ihren genutzten Ackerbauparzellen vertrieben wurden, in Schottland, und in die Auswanderung gezwungen wurden. Teilweise wurde gebrandschatzt, teilweise wurden Menschen ermordet, nur um mehr Platz für Schafe zu schaffen. Was dazu geführt hat, dass die Highlands und Schottland insgesamt, diese grasartigen Hügellandschaften ausgebildet haben, die wir heute kennen.
Bei uns war der Druck in den Tälern irgendwann so groß, dass sie angefangen haben, Sommerweiden in den Bergen zu nutzen. Die Baumgrenze war ja vor 1000 Jahren höher, als wir sie erlebt haben als Kinder. Ich habe immer gelernt, die Baumgrenze bei uns liegt bei 1.800 Meter. Die wurde durch die Beweidung teilweise künstlich gedrückt. Jetzt mit der Klimaerwärmung wandert die Baumgrenze, befördert durch den Rückgang der Almwirtschaft in Österreich. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben in Österreich ungefähr 400.000 Schafe. Davon werden aber nur noch 110-120.000 Tiere im Sommer auf die Alm getrieben.
Gabriele
Okay, also ein Viertel, ja.
Walter
Ja, ein bisschen mehr als ein Viertel. Das sind 30% maximal. Und das ist eigentlich ein unheimlicher Verlust für unsere Alpwirtschaft. Für diese Flächen und diese offenen Bereiche in den Bergen, die offenen Gehölz- und Weidebereiche in unserer Naturlandschaft, im Waldviertel, im Weinviertel: Es ist dort am schönsten, wo der Blick schweifen kann. Und das ist etwas, was wir im Moment zu verlieren drohen, weil wir einerseits intensiv genutzte Wiesen haben, die fünf Mal in der Vegetationsperiode gemäht werden. Oder auf Ackerbauflächen setzen. Oder der Wald kommt zurück. Gerade heute [12.08.2024]war auf ORF zu lesen, dass im Jahr in Österreich 4.000 Hektar zusätzlich an Waldfläche entstehen.
Gabriele
Wow! Das ist ganz schön viel, ja.
Walter
Man redet von der “Zubetonierung” Österreichs und von der Verdichtung der Flächen, aber man redet kaum negativ, weil Wald so positiv besetzt ist im öffentlichen Image. Man redet kaum davon, dass wir in den letzten 50 Jahren jährlich ungefähr einen Waldwachstum von 1% in Österreich haben. Also der Rückgang der Beweidung hat viele Effekte. Es geht einher damit ein Rückgang der Biodiversität. Die Erosion in steilen Lagen, in gefährdeten Lagen nimmt zu. Schafe belasten den Boden nicht, verletzen aber den Boden ausreichend, um Samen, die sie in ihrem Kot mit sich tragen, Platz zu geben um Wurzeln zu schlagen.
Gabriele
Und auch im Fell teilweise, oder?
Walter
Ja, natürlich.
Gabriele
Ich glaube, das ist in Biella, diese Wollwäscherei. Ich habe gehört, dass bei dem Fluss unterhalb von Biella ein ganzer Haufen Pflanzen vorkommen, die dort sonst nicht vorkommen würden, wenn sie nicht aus den Fellen der Schafe rausgewaschen würden.
Walter
Das ist mir neu, aber das ist eine sehr schöne Information und absolut glaubhaft. Die Offene Universität Madrid hat 1992 eine Studie gemacht, als die Transhumanz in Rumänien beinahe ausgestorben war. Die sind einer Schafherde – ich glaube, 1.000 Tiere – gefolgt und haben jedes Kotkügelchen aufgehoben. Und analysiert. Und die haben herausgefunden, dass eine Herde mit 1.000 Schafen in 24 Stunden 5 Millionen Samen transportieren und wieder ausscheiden über den Kot. Und dass die Keimquote über den Kot natürlich wesentlich höher ist als bei den von dir angesprochenen Samen, die im Fell herumgetragen werden. Und der Kot fällt natürlich genau dorthin, wo das Schaf gegangen ist. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es wieder genau in ein Trittloch hineinfällt und keimen kann. Wir brauchen diesen Austausch. Es dauert ja drei Tage, bis das Gras den Verdauungstrakt der Schafe passiert hat. In drei Tagen können Schafe auf der Transhumanz 60 bis 100 Kilometer wandern, wenn sie extrem getrieben werden. Das heißt, ich verfrachte damit einheimisches Saatgut über relativ lange Distanzen und befruchte wirklich die Landschaft. Gestern auf ORF konnte ich lesen, dass große Waldbrandgefahr besteht in Oberösterreich, und im Bildbericht dazu war zu sehen, die Waldbrandgefahr: als Beispiel wurde trockenes, hohes Gras gezeigt. Und man hat vor dem offenen Feuer gewarnt, aber kein Mensch sagt, dass dieses trockene, hohe Gras nur deshalb da ist, weil nicht mehr beweidet wird. Wir könnten also brennbares Material aus den Wäldern [entfernen] – in Spanien, Portugal macht man das mittlerweile – durch das Bezahlen von Beweideprämien gezielt dafür, die Waldbrandgefahr zu reduzieren. Bei uns ist das Bewusstsein dafür nicht da.
Gabriele
Das ist aber spannend, weil Schafe ja durchaus eingesetzt werden, zum Beispiel unter Solaranlagen, wenn Felder oder Wiesen mit Solaranlagen, Solarpaneelen vollgestellt sind, werden ja immer wieder Schafe eingesetzt, um da drunter zu weiden und das freizuhalten.
Walter
Genau, weil dafür müsste man Maschinen einsetzen sonst, und die Maschinen kosten Geld und brauchen Diesel.
Gabriele
Ja, genau. Und die Schafe können sich da drunter weiden und haben sogar noch Schatten und das taugt denen vielleicht sogar. Und das andere, was du gesagt hast, mit dem Wald, das geht ja in Richtung, wie heißt das? Silvikultur? Oder Hortikultur? Wie heißt das?
Walter
Silvopastoralismus oder so irgendwie heißt das.
Gabriele
Ja genau. Wo auch im Wald beweidet wird. Wo nicht nur so, wie man es vielleicht so allgemein sich denkt: grüne Wiese, da stehen die Schaferl, sondern eben auch Schafe in den Wald. Und Wäldern nicht nur als Holzlieferanten, sondern auch für andere Bewirtschaftungen genutzt werden. Da gibt es so Mischdingens.
Walter
Die Waldweide war ja das Normale. Wir haben ja erst ab dem 17. Jahrhundert die Situation in Österreich gehabt, dass die Wälder übernutzt waren, weil wir sie als Brennstoff, als Baumaterial, für die Eisenerzgewinnung und so weiter gebraucht haben. Erst das Aufkommen der Kohlewirtschaft im 18. Jahrhundert hat dazu geführt, dass der Druck auf den Wald zurückgenommen wurde. Nachdem diese Industrieanlagen natürlich wichtig waren für die Armee, für die Wirtschaft, für die Einkünfte der Obrigkeit – damals der Adel, König-, Kaiserreich und was immer war, die Kirchengüter. Und die, die Waldflächen großteils auch besaßen, haben die strengen Gesetze zum Schutz des Waldes vorgesehen. Darunter eben auch ein bis heute bestehendes Weideverbot von Tieren, zum Beispiel in Österreich. Österreich ist also eines der Länder, wo Tiere die Waldflächen nicht beweiden dürfen. Es gibt in Spanien, in der Extremadura das System der Dehessa. Das sind die immergrünen Korkeichen und Steineichen, Baumbestände, wo die Weidewirtschaft mit der Bewirtschaftung dieser Korkeichen Hand in Hand geht. Die Eicheln dienen im Winter zur Mast der Schweine, die dann wieder dieses speziell aromatische Fleisch geben, das wir alle sehr schätzen, in den geräucherten und getrockneten spanischen Fleischspezialitäten. Und alles das… Wenn wir weiter Druck machen auf die Schäfer, auf den Beruf, der heute schon sehr bürokratisch geworden ist, dann sehe ich schwarz für die Zukunft der Schäferei. Ein spanischer Wollverarbeiter hat mich gefragt: „Walter, was ist der faire Preis für die Wolle?” Und ich habe gesagt: „Ramón, du musst die Frage erweitern: Was ist der faire Preis für Produkte, die ein Schäfer herstellt?” Und diese Produkte sind ja die Wolle, das Fleisch, die Milch, der daraus produzierte Käse, aber auch – was wir heute kaum noch verwenden – die Felle und das Leder. Das Horn, der Kot als wertvoller biologischer, ökologischer Dünger. Wir haben dann einen fairen Preis erreicht, wenn die Kinder des Schäfers sagen: „Wir wollen den Beruf fortsetzen, den unser Vater begonnen hat, weil er ist in der Gesellschaft respektiert – was heute Schäfer nicht sind in unserer Gesellschaft – und er verdient gutes Geld. Ich sehe das Problem der Wolle wirklich im Zusammenhang mit dem Niedergang der Schäferei und unserer falschen Ansicht, dass Landwirtschaft uns um billiges Geld Nahrungsmittel zu liefern hat. Und dafür werden Subventionen bezahlt.
Gabriele
Also eigentlich eine sehr eingeschränkte, monetarisierte Sicht auf die Landwirtschaft, die in ganz vielen Bereichen sich durchsetzt. Und weniger diese umfassende: Was sind die Vorteile von dieser Form der Beweidung, der Bewirtschaftung, nicht nur jetzt für die Schäfer, sondern auch für die Umwelt, und für die kommenden Generationen, und die Erhaltung von Kulturflächen oder Kulturlandschaften. Das ist eigentlich ein sehr umfassendes Bild und ein sehr ganzheitliches Bild, was du da gerade zeichnest von, wie das sein könnte oder wie das früher war.
Walter
Ja, und wenn man sich die Landwirtschaftsförderung innerhalb der EU ansieht: Nachdem es der einzig wirklich vergemeinschaftete Bereich bei den Förderungen, bei den Agrarsubventionen ist – immer noch den größten Teil des EU-Budgets ausmacht, dann bedeutet das: Wir finanzieren mit unseren Steuern und Abgaben zwischen 20 bis zu 80% des Einkommens der Schäfer, der Schafbauern, der gesamten Landwirtschaft. Wenn ich aber Bekannte, Freunde, Menschen, die ich treffe, frage, welche Art von Landwirtschaft sie haben möchten für ihr Geld – es ist ja unser Geld, das wir den Landwirten als Subvention geben. Das sind ja auch keine Almosen. Die arbeiten ja sehr hart dafür. –, dann bekomme ich nicht die Landwirtschaft, die wir haben, als Antwort. Und die EU hat gewisse Anstrengungen unternommen, aber die Landwirtschaftslobby, diese übliche Landwirtschaftspolitik, die fördert halt die großen Flächen. Die fördert den großen Einsatz von Düngemitteln, von Pestiziden, Fungiziden, Herbiziden. Die fördert die Massentierhaltung in Großanlagen. Alles das, was wir eigentlich nicht wollen als Konsumenten, als Bürger, als Steuerzahler. Also es ist der Bereich, wo wir wahrscheinlich am wenigsten das bekommen für unser Geld, was wir uns wünschen. Das ist ein Widerspruch für mich. Und in der Doku möchte ich auch ein bisschen darauf hinweisen.
Gabriele
Sehr spannend. Lass uns jetzt ein bisschen von der Schäferei allgemein kommen zu dem Thema Wolle. Was ist eigentlich das Problem mit der lokalen Wolle in Europa, oder die Probleme?
Walter
Historisch gesehen war Wolle sicher die wichtigste Faser in der Menschheitsgeschichte bis Anfang der 1950er-Jahre. Wolle war im Mittelalter in Arbeitsstunden pro Ausstoß die am einfachsten zu verarbeitende Faser. Andere Fasern damals waren natürlich Leinen, war Hanf, war ein wenig Baumwolle und war Seide. Aber von all diesen Fasern war Wolle am einfachsten zu verarbeiten. Und wir sehen, quer durch Europa haben sich – zuerst zu Hause, später in größeren Einheiten – Verarbeitungsstrukturen aufgebaut, um die Wolle zu verarbeiten. Seit den 1950er-Jahren ist die synthetische Faser so im Vormarsch, dass die Verarbeitung von Wolle verhältnismäßig immer teurer geworden ist, zum Weltfaserangebot an synthetischen Fasern, aber auch an Lyocell und den anderen Fasern, an Baumwolle. Und Wolle ist heute wahrscheinlich eine der Fasern, die verhältnismäßig teuer zu verarbeiten ist. Ich muss das Schaf scheren, das muss ich so oder so aus hygienischen Gründen. Ich muss die Wolle sammeln, ich sollte sie klassifizieren. Ich muss sie waschen – das ist in Europa auch gesetzlich vorgeschrieben. Ich darf rohe Wolle nicht einmal im eigenen Garten verwenden. Wolle muss entweder hygienisiert werden, das heißt, über einen bestimmten Zeitraum erhitzt sein, oder sie muss gewaschen sein, bevor ich sie verwenden darf. Offiziell. Und dann geht es natürlich in die Spinnerei, in die Kämmerei, in Weberei, Strickerei und was immer.
Warum ist das in Europa so schwierig? Wir haben weltweit ungefähr 1.000 Schafrassen. Davon sind in Europa 600 heimisch. Das heißt, wir haben im Vergleich zu einem Schäfer, der in Australien eine Schafherde hat – mit 12.000 Merinos, einheitliche Genetik, einheitliche Rasse, einheitliche Wollqualität, weil er das Nahrungsmittelangebot für die Schafe sehr gut kontrollieren kann – in Europa eine sehr kleinräumige Landwirtschaft im Schafbereich, mit vielen unterschiedlichen Rassen mit teilweise sehr kleinen Herdengrößen. Teilweise sogar verschiedene Rassen in der Herdengröße. In Schweden liegt die durchschnittlichen Herdengröße im Moment bei 31 Tieren, zum Beispiel. Das heißt, ich habe ganz kleine Mengen von teilweise sehr unterschiedlichen Fasern, und das widerstrebt natürlich jedem industriellen Prozess, jeder Effizienz.
Gabriele
Ja, das kommt dazu, weil du vorher gesagt hast, dass Schafwolle relativ teuer ist in der Anschaffung. Das ist spannend. Ich habe nämlich gerade vor einer halben Stunde ein bisschen recherchiert, wie viel gerade die Weltmarktpreise sind für ein Kilogramm Und da haben wir: Baumwolle kostet … Oder war das jetzt für Pfund? Genau. Us Cent per Pound. Also ein halbes Kilo, ein Pfund Baumwolle kostet 60 US Cent. Und ein Kilo feine Wolle kostet um die 9,30 $. Und die grobe Wolle kostet nicht viel weniger als die feine Wolle.
Walter
Ja klar, weil die Verarbeitung so teuer ist!
Gabriele
Ja. Und das hat mich jetzt gerade ziemlich, so bäm! Ich habe nicht gewusst, dass Baumwolle so billig ist pro Kilo. Also 60 Cent versus neun Dollar irgendwas. Also ist Wolle einfach, wie du gesagt hast, relativ teuer in der Anschaffung.
Walter
Ja, und jetzt kommt das ganz große Problem. Wir dürfen eines nicht vergessen: Es gibt die synthetische Faser. Und die synthetische Faser gibt es ja nicht, weil jemand synthetische Fasern herstellen möchte. Die synthetische Faser gibt es, weil wir so viel Rohöl in den Raffinerieprozess einleiten. Und dieses Rohöl ist das Ausgangsprodukt für ganz viele unterschiedliche Dinge. Das heißt, nicht einmal, wenn wir morgen aufhören, alle Auto zu fahren, wird deshalb weniger Rohöl gefördert. Das ist ein Irrglaube. Weil wir einige dieser Rohstoffe, die wir brauchen, noch wesentlich dringender brauchen als den Treibstoff. Das Rohöl ist der Ausgangsstoff für Chemikalien, die wir zur Arzneimittelherstellung unbedingt brauchen. Da gibt es Chemikalien, die die Arzneimittelindustrie braucht, seit gut 100 Jahren, die wertvoller sind als alle anderen Materialien. Und wenn ich Rohöl cracke, aufspalte, aufteile, dann entstehen automatisch die Ausgangsprodukte für die chemische Industrie. Und ein ganz kleiner Teil davon geht in die Herstellung von textilen Fasern. Das heißt, der Ölindustrie ist es vor allem wichtig, diese Mengen in den Markt zu bringen. Weil das Geld verdienen sie nicht mit den Fasern. Das Geld verdienen sie mit den Treibstoffen, mit dem Mengengeschäft, mit den Ausgangsstoffen für die chemische Industrie, die wertvoll sind, mit den Ausgangsstoffen für die Arzneimittelindustrie. Mich fragen immer wieder Faserhersteller: „Wie kann es sein? Ich habe jetzt lange Polyethylenfasern gekauft, bei meinem üblichen Hersteller, für 1,80 Dollar das Kilo. Jetzt bekomme ich plötzlich ein Angebot aus Südkorea für 1,40 Dollar, für genau die gleiche Faserqualität. Da hab ich ihm gesagt: Weil wahrscheinlich in Südkorea so viel Öl raffiniert wird, und lokal diese Faser im Moment weniger nachgefragt wird. Also schauen sie, dass sie diese Überschussmengen irgendwo auf dem Weltmarkt losbringen, weil die müssen ihre Lager leeren. Und damit kann Wolle als natürliche Faser nie mithalten.
Gabriele
Das ist die eine Seite, dass die wahrscheinlich ihre Überschussproduktionen da absetzen müssen. Und die andere Seite ist halt die Fast Fashion. So viel, wie Fast Fashion jährlich produziert und wieder rausgehaut wird an Produkten, so viel kann man überhaupt nicht anbauen, weltweit, an natürlichen Fasern, dass das jemals gedeckt werden könnte. Also hat schon die Fast Fashion-Industrie auch ein Interesse daran, auf Erdöl basierende Fasern zu verwenden, einfach um diese unglaublichen Mengen, die die produzieren, überhaupt machen zu können. Würde ja anders gar nicht gehen.
Walter
Wenn ich heute einen Wollpullover trage: Wolle muss man ja nur ganz selten waschen, das reicht ja, wenn der ausgelüftet wird. Aber wenn ich ihn wasche, kommt aus dem Wollpullover nicht heraus, was die Umwelt schädigt. Wenn ich heute den Wollpullover – gehen wir mal davon aus, er wird nicht gefärbt oder es werden umweltfreundliche Farbstoffe verwendet, wie das in der EU vorgeschrieben ist – auf den Komposthaufen werfe, ist nach sechs Monaten im Normalfall nichts mehr davon zu sehen. Das heißt, durch einen Wollpullover schädige ich die Umwelt im Gebrauch nicht. Wenn ich einen Pullover aus synthetischen Fasern trage: Bei jedem Waschen, bei jedem Tragen, verliere ich Mikroplastik. Sollte ich ihn nachher draußen liegen lassen, braucht es Hunderte von Jahren, bis er wieder in Mikroplastik zerlegt wird. Und dieses Mikroplastik verschwindet nicht. Wir finden es in Fischen, wir finden es im Eis der Antarktis, wir finden es auf unseren Gletschern, wir finden es in unserer Leber und in unserer Lunge. Ohne, dass wir heute abschätzen können, was die langfristigen Folgen davon sind. Das heißt, die synthetischen Fasern, im Gegensatz zur Wolle, die ja praktisch harmlos ist, tragen überhaupt nicht die Folgeschäden, die ihr Gebrauch, ihre Verwendung, ihre Produktion mit sich bringt, auch nur im Ansatz. Der erste Schritt wäre also, die Leute, die die Umweltprobleme, die durch synthetische Fasern und durch Fast Fashion hervorgerufen werden, die diese Umweltprobleme erzeugen, auch dafür bezahlen zu lassen.
Gabriele
Ja, genau. Diese ganzen Umweltfolgen mit einzurechnen in den Preis. Und die Transportkosten für das Ganze und die Umweltschäden, die bei der Produktion entstehen und so weiter. Dann kommen wir vielleicht auf angemessene Preise auch für Kleidungsstücke aus synthetischen Fasern, die jetzt zu Schleuderpreisen verkauft werden.
Walter
Ja, es wäre dann einfach vorbei, dass ich Polos oder T-Shirts für 2,99 € irgendwo kaufen kann. Und es wäre hoffentlich irgendwann vorbei, dass chinesische Internetgiganten täglich 5.000 bis 8.000 Tonnen Bekleidung per Luftfracht aus China hinausfliegen lassen. Täglich!
Gabriele
Ja, genau. An solchen Regulatorien und so weiter wird gearbeitet, gerade auf EU-Ebene. Ich bin gespannt, was sich da in den nächsten Jahren tatsächlich tut, auch mit der Verordnung, dass Textilkonzerne keine Überproduktion mehr auf den Markt werfen dürfen. Dass die auch für das Recycling wieder zuständig sind und so weiter. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt. Lass uns jetzt einmal ein bisschen weitergehen zur nächsten Frage: Was braucht es denn in Europa und speziell in Österreich, damit wieder mehr heimische Wolle genutzt wird oder werden kann? Was braucht es bei uns konkret? Und vielleicht können wir gleich die nächste Frage dann dazunehmen. Es gibt ja einige Firmen, die bereits mit der Verarbeitung regionaler Wolle erfolgreich sind.
Walter
Was braucht es? Der Geschäftsführer der Firma Swisswool, die erfolgreich ist mit der Verarbeitung regionaler Wollen – nicht nur aus der Schweiz, sondern auch aus Österreich, aus Deutschland, aus Schweden, aus Norwegen – sagt: „Wir brauchen nur Leute, die Produkte aus Wolle kaufen.” Europa produziert ja nicht viel Wolle. Wir haben innerhalb der EU ungefähr 60 Millionen erwachsene Tiere. Das ist immer die Zahl vom Dezember, weil da die Lämmer verkauft sind, bis auf die Lämmer, die behalten werden zur Erneuerung der Herde. Und diese 60 Millionen Tiere produzieren, sagen wir jetzt einmal 100 Millionen Kilogramm Wolle. Bei 500 Millionen Einwohnern in der EU sind das also 200 Gramm Wolle. Du weißt genau, mit 200 Gramm Wolle stricke ich vielleicht einen Pullunder, aber keinen Pullover. Also wir brauchen ganz wenig. Wir brauchen einen Konsumenten, der sagt: „Ich will das kaufen!” Das ist das Wichtigste. Wir müssen dem Konsumenten nur erklären, warum er das kaufen soll. Das ist etwas, was ich in der Doku versuchen werde. Und ich glaube, wir brauchen dazu aber Druck von der gesetzgeberischen Seite. Einerseits um die Konkurrenz durch synthetische Fasern zu verteuern, nicht zu verbieten. Es gibt synthetische Fasereinsatzzwecke, wo das absolut sinnvoll ist. Aber wir brauchen ein anderes Bewusstsein der Wolle. Dieses Bewusstsein soll über das hinausgehen, was wir bisher erzählen: Dass Wolle eine Wunderfaser ist. Das ist sie unbestreitbar. Aber wir müssen Wolle einbetten in einen größeren Kontext, in die Schafbeweidung, in die Offenhaltung der Landschaften, in die Verhinderung von Waldbrandgefahr. In Norddeutschland, Holland sieht man, die Schafe die Deiche hüten und beschützen. Diese Dinge brauchen wir, und das muss der Konsument auch verstehen. Kein Mensch will ewig von Subventionen leben, außerhalb der wissenschaftlichen Blase. Aber das ist ein ganz anderes Thema, weil die von den Forschungsgeldern leben, die man auch in Subventionen sehen könnte. Aber die Landwirtschaft lebt heute zu einem guten Teil von den Subventionen und degradiert die Landwirte zu Empfängern von quasi Hilfszahlungen. Das ist kein schönes Dasein. Und mit jeder Budgetdiskussion droht immer – wir haben das jetzt im Winter in Deutschland gesehen – droht immer die Gefahr, dass eine Subvention gestrichen wird.
Gabriele
Und dass aber dann die Landwirtschaft nicht weiter betrieben werden kann, weil man ja abhängig ist von diesen Subventionen. Also Ziel wäre eigentlich für die Landwirte, mit ihren landwirtschaftlichen Produkten wieder so viel Einkommen zu erzielen, aus eigener Kraft, dass sie von den Subventionen unabhängig werden. Das wäre eigentlich großartig.
Walter
Und dazu braucht es einen Konsumenten, der bereit ist, das Geld auch auszugeben.
Gabriele
Genau. Und vielleicht nicht fünf Pullover, sondern halt nur einen, der dafür fünfmal so viel kostet zu kaufen. Erzähl uns doch einmal ein paar Beispiele. Du warst ja wirklich in ganz Europa unterwegs und hast ganz viele Betriebe gesehen, die mit der Verarbeitung regionaler Wolle erfolgreich sind. Erzähl uns doch einmal ein paar Fallbeispiele. Wer ist das? Und warum funktioniert das bei denen? Was sind auch die Erfolgsfaktoren von solchen Betrieben?
Walter
Ich fange mal ganz weit weg an, bei der Rosa Pomar in Portugal. Rosa ist eine Historikerin, die vor so ungefähr 15-20 Jahren begonnen hat, mit lokaler portugiesischer Wolle Strickgarne erzeugen zu lassen und heute sehr erfolgreich über das Netz und ihren eigenen Job in Lissabon, diese Garne aus portugiesischer Wolle – und zwar wirklich von der feinen Merino-Wolle, die es im Südportugal, also im Alentejo, gibt, bis zur ganz groben portugiesischen Wolle von aussterbenden Schafrassen in den Bergen – diese Wolle anzubieten und die Geschichte zu erzählen. Und das funktioniert. Sie ist super im Storytelling. Sie hat einen ausgezeichneten Social-Media-Auftritt. Sie ist einfach überzeugend von A bis Z. Und jetzt einmal ganz ehrlich: Es spielt keine große eine große Rolle, ob das Ausgangsmaterial für einen Pullover, den ich selber stricke, weil ich Freude am Stricken habe und am Selbstgemachten habe: Ob dann die Wolle für den Pullover 60 oder 80 Euro kostet, spielt keine große Rolle. Ich kann es ja immer auch aus Synthetik stricken, dann kostet es nur 12 Euro.
Gabriele
Ich glaube, Rosa Pomar hat auch den Hashtag gegründet „Softness is overrated”, also: „Weichheit wird überbewertet”. Diesen Hashtag hat sie, glaube ich, geprägt und den werden wir auch, dazu kommen wir dann noch, in unserem Projekt auch einsetzen.
Walter
Ja, ich bin da ganz bei dir, weil wir haben ja oft Kleidungsstücke, die nicht auf unserer Haut aufliegen. Warum können diese Kleidungsstücke nicht aus gröberer Wolle produziert werden? Es spielt bei einem Wintermantel keine Rolle, ob ich 36er-Mikron Schafwolle verwende oder 21er.
Gabriele
Nein, im Gegenteil sogar, weil ja eigentlich die gröberen Wollen durchaus mehr Wärme speichern können. Also die sind ja auch dafür gemacht, dass sie die Schafe in kälteren Klimazonen warmhalten. Deswegen halten sie auch uns besser warm, wenn wir die gröberen Wollen verwenden für äußere Kleidungsschichten. Das macht eigentlich total Sinn.
Walter
Jetzt kommen wir zu weg zu jemand, der mit europäischer Wolle arbeitet, aber weil es dazu passt: Die Firma Lodenwalker in der Ramsau ist ja gegründet 1434 als Lodenstampfwalke. Und eigentlich ununterbrochen in Betrieb seit, glaube ich, über 150 Jahren, oder 175 Jahren, im Eigentum der Familie Steiner. Und er [Jörg Steiner] hat mir erklärt: Als in den 1960er-, 1970er-Jahren die lokalen Schafbauern die Gutscheine, die sie für die Ablieferung der Wolle bekommen haben, immer mehr dafür ausgegeben haben, Bekleidungsstücke – Jacken, Westen – aus feinerer Wolle zu kaufen, ist er irgendwann auf den Produkten aus der steirischen Wolle sitzen geblieben. Und er musste aufhören, das zu kaufen, was große Empörung lokal hervorgerufen hat. Aber er sagt mir auch: „Unser Loden heute hält nicht mehr das aus, ist nicht mehr so strapazfähig wie der Loden, den wir in den 50er-, 60er Jahren hergestellt haben.”
Gabriele
Ja, Jörg Steiner – ich habe auch mit dem telefoniert – hat auch selber gesagt, er würde gerne regionale Wolle kaufen. Er hätte tatsächlich ein Interesse daran, das zu tun. Er möchte sie aber vorsortiert und gewaschen haben, und nicht mehr direkt von den Bauern einkaufen, und sich dann selber drum kümmern müssen, sondern er hätte gerne … Also was es braucht in Österreich, offensichtlich, ist ein Woll-Zwischenhändler, ein Woll-Kommissionär, wie das früher geheißen hat.
Walter
Er hat mir die 3.000 Kilo gezeigt in seinem Lager, die er vor Jahren von steirischen Schäfern, Schafbauern gekauft hat. Und ja, ich verstehe ihn. Ich verstehe seinen Frust.
Gabriele
Weil die schmutzig war, und einfach nicht vorsortiert, und schon gar nicht gewaschen.
Walter
So stark verunreinigt und nicht einmal ansortiert, am Scherplatz. Und der Scherplatz so dreckig, dass es unfassbar ist.
Gabriele
Gut, darüber spreche ich auch in einer anderen Folge noch mit anderen Menschen über das Scharfescheren und was man da beachten soll.
Walter
Ein anderes gutes, erfolgreiches Beispiel für mich – jetzt gehen wir nach Spanien – das ist die Firma Wooldreamers. Das ist jemand, den ich sehr schätze. Die haben eine eigene kleine Wollwäscherei, eine eigene Spinnerei, und waren jahrzehntelang darauf spezialisiert, Teppichgarne herzustellen. Und mit dem Niedergang der europäischen Teppichindustrie und dem Vormarsch – auch dort! – der synthetischen Fasern, sind die in Bedrängnis gekommen. Und einer der Auswege war, Wooldreamers zu gründen, die “Träume mit der Wolle” und Strickgarne herzustellen. Und auch er sammelt für Wooldreamers eigentlich überwiegend Wolle von transhumanten Schäfern. In Spanien gibt es ja das System der “Cañadas Reales”, der königlichen Schafwanderwege, die seit dem 14. Jahrhundert durch königliches Gesetz in Spanien geschützt waren, um den Schäfern die Möglichkeit zu geben, die sonst auch intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen Spaniens zu durchqueren. Aus den Zonen an der Küste, aus den Zonen im Süden, in das Hochland des Zentrums, oder in die Pyrenäen im Norden. Oder in die sonstigen Sierras, die es quer durch Spanien als Gebirgszüge gibt. Und diese Cañadas Reales ist ein wunderbarer Wandertipp auch. Damit kann man quasi auf alten Schafpfaden ganz Spanien durchqueren.
Gabriele
Großartig! Kein Jakobsweg mehr, sondern auf den Spuren der Schafe durch Spanien.
Walter
Genau. Und es gibt noch welche, die die Transhumanz pflegen, und diese Wolle bemüht sich Wooldreamers zu kaufen, zu verarbeiten. Wir haben, wie erwähnt, Swiss Wool. Das ist eigentlich ein deutsches Unternehmen, das aber gut die Hälfte der Schweizer Schafwolle jährlich kauft. Sein System ist, dass er große, ich glaube 20-30 Sammelplätze hat im Jahr, wo die Wolle hingebracht wird. Grob klassifiziert wird zwischen A, B und Restwolle. Dann gibt es noch eine farbliche Sortierung. Er sucht noch dunkle, braune Wollen. Und die Wolle der Waliser Schwarznasenschafe, die quasi in keine Kategorie hineinpasst, wird separat gesammelt. Im Wallis, dort war ich selber dabei und habe das gesehen. Dann werden die mit einer Heuballenpresse aufgenommen, diese Wollen. Umwickelt mit Plastik. Weil Wolle gilt ja als tierisches Nebenprodukt in der EU.
Gabriele
Der Kategorie drei, das heißt: gefährlich.
Walter
Genau, das ist wie Schlachtabfälle zu behandeln. Das heißt, damit er aus der Schweiz das in die Wollwäscherei nach Belgien bringen kann, muss es luftdicht abgeschlossen sein. Und das schafft er mit diesen Heuballenfolien. Und dann sind da so 16 Tonnen auf einem Sattelzug drauf. Und das wird nach Belgien gekarrt, in die Wollwäscherei. Und er macht aus Swiss Wool Matratzenauflagen, er macht Bekleidungseinlagen. Er ist ein reiner Vliesstoffhersteller: Also er spinnt nicht, er webt nicht. Er macht Akustikpaneele daraus. Er vermischt es mit Kornstärke und macht waschbare Einlagen für Sportbekleidung. Das wird unter dem Namen “Lavalan” verkauft Und er verwertet wirklich jede Wolle. Damit er die Waliser Schwarznasen Wolle – das ist ein Spezialkapitel, und ein Lieblingsschaf in Europa geworden, – verarbeiten kann, hat er jetzt begonnen, mit einem Schweizer Hersteller einen Teppichboden zu machen, der dann individuell bedruckt werden kann. Das Produkt kommt heuer im Herbst auf den Markt, weil er mittlerweile schon 70-80 Tonnen Schwarznasen Wolle im Lager hatte und keinen Verwendungszweck dafür gefunden hat. Aber es ist die ideale Teppichwolle. Die wurde früher nach England gebracht für die englische Teppichindustrie, weil sie so robust und strapazierfähig ist, dass sie ideal war für Pubs. Aber seit auch dort hauptsächlich Synthetik verwendet wird, ist der Markt für Waliser Schwarznasen Wolle zusammengebrochen.
Gabriele
Und was ich gehört habe letztens, ist auch die Teppichindustrie, oder die Teppicherstellung einer der größten Abnehmer. Oder könnte einer der größten Abnehmer sein, für heimische Wollen. Weil die einfach wirklich große Mengen brauchen. Auch die jetzt, die zum Beispiel in Österreich und Deutschland beheimatet sind, die Teppichhersteller. Die halt heute – so wie viele andere – hauptsächlich Merino verarbeiten. Habe ich gehört. Aber du bist der Teppichexperte.
Walter
Nein! Teppichhersteller verwenden ganz sicher kein Merino. Die Merino Wolle ist viel zu weich und zu wenig “springig”. Ich will ja einen Tisch auf einem Teppich stellen. Und wenn ich den Tisch später anders positioniere, will ich ja nicht ewig die Löcher dort haben. Ich will, dass sich die Wolle wieder erholt und wieder aufsteht. Das schafft Merino Wolle nicht. Merino Wolle ist weich, anschmiegsam, und das ist es dann aber auch schon. Wir, in meinem ehemaligen Unternehmen: Zwischen 20 und 30% der Wollen waren europäische Wollen. Der Hauptteil davon sardinische Wollen, die ähnlich wie die Walliser Schwarznasen Wolle sehr sperrig, lang, hart sind, und ideale Teppichwollen. Also man kann wunderbare Produkte daraus machen. Aber man muss halt leider auch bei der Teppichindustrie sagen: Es ist so einfach, Synthetik einzusetzen. Und ich kann fünf Millionen Tonnen synthetische Fasern in immer der gleichen Beschreibung bekommen, in immer der gleichen Länge, in immer der gleichen Kräuselung. Es ist halt einfach so verdammt einfach, und dem Konsumenten ist es halt großteils egal.
Gabriele
Ja, es ist egal, oder denkt nicht dran, oder schaut nur auf den Preis und denkt nicht an die ganzen, was dahintersteckt, und was das auf Landschaften, und auf Wirtschaften und auf alles für Einflüsse hat. Wenn man das nicht … Wie bei so vielen Dingen …
Walter
Ich habe 2014 noch bei dieser Teppichfabrik eine Kollektion aus Schweizer Wolle bei Möbel Pfister untergebracht. Wunderschöne Naturtöne in sechs wunderbaren Strukturen. Und wusste damals selber viel zu wenig über Schweizer Wollen. Ich habe es nur als Schweizer Wolle und in der Farbe unterschieden. Ich hätte sehr viel mehr die Region, die Schafrasse, als Thema bringen müssen und die Kollektion ist katastrophal gescheitert. Es gäbe aber viele Möglichkeiten. Ich kann dir noch zwei Beispiele nennen. Eines aus Schweden, das ist die Firma Klippan. Die machen Decken im Baltikum, ihre eigene Fertigung. Und verkaufen dann Decken weltweit und auch in Schweden. Und CC Wool, das ist ein schwedischer, an der Westküste beheimateter Wollsammler. Der Mann ist Schafscherer, sie hat selber Schafe und sie sammelt und verkauft die Wolle. Die haben ihnen vor vielen Jahren schwedische Wolle angeboten. Und die Eigentümer von Klippan haben gesagt: „Okay, gut, wir kaufen einmal etwas, wir probieren es.” Und als die Decken dann im Lager angekommen sind, hat er sie eingeladen zu kommen und Charlotte ist dort hingefahren. Und er hat ihr die Decken gezeigt und hat gesagt: „Du, Charlotte, das ist viel zu grob. Ich kann das nicht verkaufen.” Und Charlotte hat gesagt: „Es tut mir sehr leid, dass du das so siehst, aber ich habe so viele Bestellungen für Decken aus schwedischer Wolle. Ich habe das so vielen Freunden, Bekannten der Familie erzählt: Darf ich 50 mitnehmen und bei mir verkaufen? Ich bezahle das auch alles.” Und er hat gesagt: „Ja, natürlich gerne.” Es kommt, wie es kommen musste: Nach drei Monaten waren diese 50 Decken weg. Und sie kommt wieder hin zu ihm und sagt: „Meine Decken sind weg. Darf ich mir diesmal 100 mitnehmen?” Er sagt: „Komm, ich gehe mit dir ins Lager hinaus. Nimm dir, was dein Herz begehrt.” Sie gehen ins Lager hinaus und finden keine Decken mehr. Weil die Verkäufer von Klippan, und die Kunden von Klippan so gierig darauf waren, Decken aus schwedischer Schafwolle für den schwedischen Markt zu bekommen. Weil das niemand angeboten hat. Und die Schweden sind sehr stolz auf ihr Land und haben sich gefreut, dass sie das Produkt bekommen. Heute verarbeitet Klippan zwischen 30 und 40 Tonnen schwedischer Schafwolle im Jahr zu Decken aus schwedischer Wolle. Obwohl die nicht die Feinheit von Merino hat. Ich liege ja kaum einmal nackt unter einer Wolldecke auf der Couch. Meine Zeiten sind vorbei. Andere mögen das noch tun, ich tue es nicht mehr. Aber wenn ich mir einen Film anschaue und es im Winter gemütlich ist unter einer Wolldecke, dann bin ich bekleidet drunter. Und es spielt keine Rolle, wie weich oder kratzig die Wolldecke ist.
Gabriele
Ja, eine Freundin von mir sagt sowieso: „Lasst uns das Wort ‘kratzig’ im Zusammenhang mit Wolle abschaffen, einfach.” Das ist eine Freundin, die macht so Wool-tasting, also geht in Schulen und auch zu anderen Interessierten und hat einen Wollkoffer dabei. Und die Leute sollen einmal die verschiedenen Wollsorten fühlen, und das anfassen, und angreifen. Und sie hat gesagt: “Ihr dürft alle Adjektive verwenden, außer kratzig.” Und das ist dann total spannend, was rauskommt. Weil die einen sagen, das hat einen gewissen … Wie heißt das jetzt wieder? Es ist so gummimäßig oder es hat so einen …
Walter
Elastisch.
Gabriele
Elastisch, genau. Oder es ist robust, oder es ist glatt. Weil viele von den in Anführungszeichen “kratzigen” oder stärkeren Wollen haben ja auch ganz glatte Haare drinnen. Alle möglichen Adjektive kommen dann, wenn man aufhört, das Wort “kratzig” in den Mund zu nehmen. “Kratzig” ist es nur dann, wenn ich das auf der bloßen Haut trage, nichts drunter habe, keine Schicht. Oder manche Wollen sind so, dass sie auch durch andere Kleidung durchstechen. Okay, die muss man dann vielleicht nicht unbedingt für Kleidung verwenden. Aber es gibt so viele andere Begriffe, die man verwenden kann, um eine Wolle zu beschreiben, die jetzt nicht super flauschig ist. Und das macht auch diese Vielfalt. Die Vielfalt von Wolle ist ja auch ein Gut eigentlich. Wie viele unterschiedliche Eigenschaften das hat: Die eine filzt besser, die andere filzt weniger gut. Die eine lässt sich wunderbar verspinnen, die andere weniger gut, und so weiter. Also Wolle hat einfach so eine unglaubliche Vielfalt! Und auch diese genetische Vielfalt zu erhalten, ist ein unglaublicher Schatz im Grunde.
Walter
Ja, das bringt mich zum nächsten Beispiel und letzten, dass ich dir erzähle, das ist Lanificio Paoletti, eine alte Textilfabrik im Veneto. Und der hat 2008, in der großen Finanzkrise, als er plötzlich keine Wollen aus Übersee mehr angeboten bekommen hat, weil die Finanzierung nicht mehr da war, begonnen, Wolle einer aussterbenden Schafrasse aus dem Beluno aufzukaufen. Und hat sich dort mit dem Schafzuchtverband zusammengetan, die damals schon das Lammfleisch in der Slow-Food-Bewegung gut etabliert hatten. Seit damals ist die Schafzahl von 1.500 auf über 4.000 gestiegen. Das heißt: Bei Schafrassen sagt man, wenn sie unter 3.000 Tieren im Zuchtbuch haben, dann gelten sie als vom Aussterben bedroht. Die haben diesen Status jetzt knapp überwunden. Und er hat sich verpflichtet – und macht das auch seit damals – die gesamte Wollernte jährlich abzunehmen. Und das ist natürlich, wenn ich 1.500 Tiere habe, deutlich einfacher, als wenn ich heute über 4.000 Tiere habe, aber er schafft das. Und er hat es auch geschafft, dass Häuser wie Chanel, Gucci, die englischen Modehäuser, seine Produkte kaufen. Seine Stoffe kaufen. Aus dieser Wolle.
Gabriele
Ich wollte gerade fragen, was er denn dann daraus macht, aus diesen …
Walter
Wunderschöne Stoffe. Er mischt die Wollen dann mit teilweise feineren Wollen, teilweise sogar mit Kaschmir oder anderen Fasern. Aber man schafft es durchaus, solche Wollen so zu verarbeiten, dass daraus ein gutes, marktfähiges Produkt entsteht. Sein jüngstes Problem war, dass er keine RWS-Zertifizierung anbieten konnte.
Gabriele
Erklär, was RWS ist.
Walter
Das RWS ist ein Standard, der vor ungefähr zehn Jahren entwickelt wurde von einem Non-Profit, das sich “Textile Exchange” nennt. Und das den “Responsible Wool Standard” auf den Markt gebracht hat, der alle Schritte der Wollproduktion – von der Ökologie, über soziale Komponenten, über Tierschutz, bis hin zur Verarbeitung – abbilden soll. Aber natürlich sehr teuer ist, weil das muss alles auditiert werden und zertifiziert werden, jährlich. Und das kann sich jemand mit einer Herdengröße von 50 Tieren einfach nicht leisten. Damit ist der RWS in Großteilen Europas nicht einsetzbar. Internationale Modefirmen verlangen aber von ihren Wollanbietern, dass sie dieses Zertifikat mitliefern, damit sie gerade beim amerikanischen Konsumenten, sagen können: „Holla! RWS. Ich bin auf der sicheren Seite und ihr auch, als Konsumenten.
Gabriele
Ja, das ist ein bisschen parallel zu den Fair-Trade-Standards. Oder auch, wenn man vom GOTS-Label spricht. Wo auch sehr, sehr viel Auditierung dahinter steckt. Und dann darf in der Kette ja nichts anders sein. Und kleine Produzenten sich das einfach oft nicht leisten können, diese Zertifizierung. Auch wenn sie nach diesen Standards arbeiten oder produzieren, aber sie können es nicht nachweisen, weil es zu teuer ist.
Walter
Ich habe in meiner vorhergehenden Firma die weltweit erste Teppichkollektion auf den Markt gebracht, die GOTS-zertifiziert war. Ich weiß sehr wohl, wovon du sprichst.
Gabriele
Also du kennst dich aus, ja.
Walter
Durchaus, ja. Aber es gibt Bemühungen: ich bin im Moment mit vier Unternehmen quer durch Europa, aus vier Ländern, vier Wollverarbeitern, dabei, einen europäischen Wollstandard zu entwickeln, um den europäischen Schäfereibetrieben, eine Alternative anzubieten zum RWS. Weil jeder in Europa/ Wir haben unsere Arbeitsgesetze. Wir haben unsere Umweltgesetze. Wenn ich EU-Subventionen bekommen möchte als Schäfer, werden die Tiere und die Tierhaltung von Tierärzten überprüft. Ich habe umfangreiche Papiere auszufüllen, so oder so, um diese Subventionen zu bekommen. Und es ist mir nicht einsichtig, warum wir das nicht verwenden können sollten, um ein europäisches Qualitäts- oder Herkunfts-Zertifikat für europäische Wolle zu erzeugen. Und da arbeiten im Moment gerade einige Leute daran, im Hintergrund.
Gabriele
Sehr cool. Das heißt, da gibt es auch auf juristischer oder rechtlicher Ebene Initiativen?
Walter
Ja, natürlich. Wir müssen das natürlich mit Juristen abchecken lassen. Wir müssen so ein Zertifikat im Markt etablieren. Aber das Ganze passiert ja vor dem Hintergrund, dass große Wollhändler eigene Zertifikate auf den Markt bringen. Die Schneider-Gruppe hat das Authentico-Label für Merino Wolle weltweit. Die Schneider-Gruppe ist einer der größten Wollwäscherei-Anbieter und Wollanbieter weltweit, eine italienisch basierte Gruppe. Segard Masurel, ein französischer Wollhändler, hat für südafrikanische Merino ein eigenes Zertifikat, das sich Abeluzi nennt. Die Chargeurs Gruppe hat Nativa Regen als eigenes Wollzertifikat. Also nachdem RWS so teuer ist und so komplex, gibt es Bemühungen aus der Industrie heraus, das zu ändern, aber noch erreicht nichts davon Europa. Darum jetzt dieses Bemühen in Europa selber etwas zu etablieren.
Gabriele
Verstehe. Okay, lass uns ein bisschen zusammenfassen. Was würdest du sagen, sind Erfolgsfaktoren von erfolgreichen Projekten? Gibt es da einen gemeinsamen Nenner?
Walter
Also so wie wir heute aufgestellt sind, glaube ich, ist das Erzählen einer lokalen Geschichte. Ich muss Verbindung schaffen. Das ist ganz, ganz wichtig. Ich muss erklären, warum das etwas Besonderes ist. Weil der Preis davon wird wahrscheinlich teurer sein. Und da gibt es tolle Beispiele, die das wunderbar machen, Laines Paysannes in Frankreich zum Beispiel. Ich sollte Teile dieser Wertschöpfungskette kontrollieren. Entweder bin ich ganz am Anfang: Ich bin beim Scheren dabei, ich sortiere die Wolle. Das macht Chandam in Frankreich zum Beispiel. Sie begleitet die Wolle dann wirklich durch den Wertschöpfungsprozess, bis sie am Schluss ihre eigenen Pullover hat. Dann kann ich das machen. Aber je mehr von der Wertschöpfungskette ich kontrolliere, Swisswool zum Beispiel sammelt die Wolle. Die Wäscherei ist extern, aber die Vliesfertigung und die Fertigung der meisten Endprodukte daraus – wie zum Beispiel die Schallschutzschluck-Paneele, oder die Einlagen für Sportjacken – das produzieren sie selber. Also sie haben diese Kette entwickelt für sich, damit sie einen Teil kontrollieren und wirklich konkurrenzfähig sind. Was ganz viele vergessen, ist: Arbeite mit anderen zusammen! Ganz viele haben eine Idee und glauben, sie haben jetzt den Stein der Weisen gefunden, und “das hat noch nie jemand gemacht”. Und die strampeln sich zu Tode. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Menschen mehr zusammenarbeiten würden und dabei offen ihre Schwierigkeiten auch eingestehen.
Gabriele
Ja, zusammenarbeiten, Schwierigkeiten und auch, ich sage immer, bestehende Strukturen nutzen. Da spreche ich jetzt natürlich aus unserem eigenen Projekt auch heraus, aber es gibt ja auch diesen deutschen Universitätsprofessor, den … Warte, das fällt mir nicht ein, wie er heißt. „gründen mit Bausteinen, Günter Faltin, der die Tee-Kampagne vor Jahren, Jahrzehnten gegründet hat. Und der sagt: Gründen mit Bausteinen. Wenn man eine Geschäftsidee hat. Eine, die den Kundinnen und Kunden zugutekommt, dann muss man nicht das Rad von vorne erfinden. Dann muss man auch nicht unbedingt eine eigene Sekretärin anstellen, sondern dann gibt es Sekretariatdienste. Oder so wie in seinem Fall, da muss er nicht eine Handelskette aufbauen von Indien nach Deutschland, diesen Tee zu transportieren, sondern da nimmt er Firmen, die das bereits tun und kooperiert mit denen. Und hat so einen relativ kleinen Aufwand, was Neues zu erfinden, indem er einfach bereits bestehende Bausteine nutzt. Eben zum Beispiel die Wäschereien, die es schon gibt, einfach mit denen zu kooperieren und mit denen zusammenzuarbeiten. Oder Spinnereien, Webereien, Strickereien, was auch immer.
Walter
Weil du die Wäschereien erwähnst. Ich höre ja quer durch Europa: “Wir haben nicht mehr genügend Wollwäschereien.” Die Wollwäschereien, die da sind, kämpfen uns Überleben. Es gibt Bestrebungen, also in Rumänien wird gerade jetzt im September der Bau einer großen Wollwaschanlage begonnen. Das wird scheitern, weil die Leute, die das machen, keine Ahnung von Wolle haben. In Deutschland gibt es Bestrebungen, im Bundesland Thüringen eine Wollwäscherei zu installieren. Die können durchaus erfolgreich sein, werden aber wahrscheinlich der belgischen Wollwäscherei das Genick brechen. In Bulgarien steht eine riesige Wollwaschanlage, die mit 10% Kapazität läuft. Wir haben die Wollwäschereien. Wir brauchen Unternehmen, die bereit sind, die Wolle dorthin zu schicken und Wolle waschen zu lassen. Wir brauchen nicht nationale Wertschöpfungsketten. Wir müssen zusammenarbeiten in ganz Europa. Es ist ein Wirtschaftsraum. Das sollte bei der Wolle endlich einsickern.
Gabriele
Ja, ich glaube, bei den Wollwäschereien geht es tatsächlich darum, dass es eben heißt: In ganz Deutschland gibt es keine einzige Wollwäscherei. Da geht es auch vor allem darum, die Wege zu reduzieren, damit man eben nicht von Tirol nach Belgien die Sachen schickt, und wieder zurückkommt oder nicht.
Walter
Ja, ob ich von Tirol nach Belgien die Sache schicke, oder wie früher von Tirol nach Bremen die Sachen geschickt habe? Belgien liegt näher. Weil Verviers, wo die Wollwäscherei in Belgien den Sitz hat, liegt ganz an der deutschen Grenze, der Fluss. Diese Wollwäscherei verwendet Wasser eines Flusses, der in Belgien entspringt, über deutsches Staatsgebiet einige Kilometer fließt, zurückkommt nach Belgien. Und dieses Wasser hat einen Härtegrad von 0,0 deutscher Härte. Das bedeutet, es ist so weich wie Regenwasser. Je weicher das Wasser ist, desto weniger Waschmittel, desto weniger hohe Waschtemperaturen muss ich einsetzen. Das heißt: Diese Wollwäscherei kann so effizient waschen wie sonst niemand in Europa. Es gibt in ganz Deutschland, es gibt in ganz Österreich keine natürliche Quelle mit einer Wasserhärte von 0,0. Ich glaube, in Österreich liegt das weichste Wasser bei 2,6, der Großteil liegt bei über 7 bis hin auf 12 und 20. Das ist das Wasser, das unsere Waschmaschinen verkalkt. So kommen wir normalerweise mit der Wasserhärte in Kontakt. Das heißt, wir investieren heute an Plätzen, die für die Wollwäscherei nicht ideal positioniert sind und machen damit Wollwäschereien, den Garaus, die vielleicht an Plätzen sind, die idealer dafür geeignet sind, weil es die Historie gezeigt hat.
Gabriele
Gut, also dein Aufruf ist: „Lasst uns einfach die Wolle nach Belgien schaffen. Es ist immer noch besser, als sie nach China zu bringen oder sonst irgendwo ins Ausland, was ja auch oft passiert. Dass sie noch viele, viele mehr tausend Kilometer hat, weil die paar hundert Kilometer hin und retour fallen nicht so ins Gewicht.
Walter
Mein Aufruf ist eigentlich: Bitte helft zusammen, damit die bestehenden Strukturen nicht noch verloren gehen. Es geht ja dann nicht nur eine Wollwäscherei oder eine Spinnerei verloren, es geht auch das damit verbundene Know-how verloren. Es geht die Betriebsbewilligung für den Standort verloren. Es geht die Bewilligung verloren, das Wasser benutzen zu dürfen. Wasserrechte sind ja beinahe heilig in vielen Ländern. Und all das geht verloren, wenn wieder ein Standort zusperrt.
Gabriele
Zusperren muss. Gut. Kommen wir zum Schluss. Und zwar wollte ich dich noch fragen: Du bist ja einer der Unterstützer unseres AUTwool-Projektes. Letzten November haben wir uns in St. Lambrecht in der Steiermark getroffen zu einem Schafwoll-Workshop. Und am Ende dieses Workshops ist ein Projekt aus heiterem Himmel uns zugeflogen und innerhalb sehr kurzer Zeit entstanden, wo du uns auch ein gewisses Startkapital zugesagt hast, das einfach dazu beigetragen hat, dass wir gesagt haben: Okay, lasst uns dieses Projekt jetzt starten. Was gefällt dir an dem AUTwool-Projekt? Was erhoffst du dir davon, dass wir das machen?
Walter
Ich sehe ja in jeder Wolle einen Wert. Und natürlich auch in der österreichischen Wolle, die nicht nur als Wolle, sondern auch durch die Schäfereien in Österreich so wertvolle Beiträge leistet. Und da mithelfen zu können, zu zeigen, dass es möglich ist, das ist mir etwas wert. Und ich freue mich eigentlich darauf, diese Weste dann auch zu tragen. Ich bei meiner Körpergröße brauche natürlich eine Sonderanfertigung, aber die wurde mir zugesagt. Ich freue mich wirklich zu zeigen, dass es durchaus möglich ist. Dass es oft – und das klingt jetzt vielleicht ein wenig hart – unsere Bequemlichkeit ist, die uns daran hindert, das Richtige zu tun.
Gabriele
Vielen Dank. Vielen Dank für das Gespräch und ich bin sehr neugierig drauf, deine Dokumentation zu sehen. Der Film wird, hast du gesagt, jetzt dann im Herbst geschnitten und vielleicht frühestens nächstes Jahr, wenn alles gut geht, auch tatsächlich ins Fernsehen kommen.
Walter
Ja, ich bin auch extrem neugierig. Ich werde versuchen, die Doku zuerst einmal im Oktober dem ORF anzubieten. Der Trailer wird aktuell bearbeitet und ich bin sehr, sehr neugierig darauf. Ich weiß, eine Doku wird die Welt nicht verändern, und auch nicht die Welt der europäischen Wolle. Aber ich hoffe, dass ich einen kleinen Beitrag dazu bringen kann, dass wir über das Problem – und das für sich ist ja schon eine komische Sache, Wolle als Problem zu sehen – Wolle nachdenken.
Gabriele
Vielen Dank.
Walter
Danke dir.
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