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Ein Leinenhemd mit hand-bestickten Brusttaschen

Von der Sportmode zu Naturfasern: Wie Designerin Stephanie Höcker regionale Textilproduktion neu denkt (Podcast #041)

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Aktualisiert am 28. November 2025.

Stephanie Höcker hat sechs Jahre als Modedesignerin in der Sportswear- und Modeindustrie gearbeitet. Gemeinsam mit ihrem Partner baut sie heute Flachs am Hof seiner Eltern in Tirol an und macht Workshops zu den Arbeitsschritten, vom Anbau zum Spinnen. In dieser Podcastfolge unterhalten wir uns über Steffis Werdegang, über praktische Bildung als ein Weg zum nachhaltigen Modekonsum, und über die Herausforderungen bei der Entwicklung der AUTwool Weste.

Zusammenfassung*

In dieser Podcastfolge erzählt Modedesignerin Stephanie Höcker von ihrem ungewöhnlichen beruflichen Weg – von der internationalen Sportmodeindustrie hin zu naturfaserbasiertem Design, lokalem Flachsanbau und textiler Bildungsarbeit in Tirol. Was zunächst wie ein radikaler Bruch erscheint, entpuppt sich als konsequente Entwicklung: weg von der globalen, kunststofflastigen Modeindustrie, hin zu regionalen Fasern, Handwerk und echter Materialtransparenz.

Stephanie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Grown Lab“ an der Uni Innsbruck und bringt mit „intuism“ ihre eigene Naturfaserkollektion aus Leinen und Schafwolle heraus. 2024 wurde sie mit dem österreichischen „Vivienne“ Preis für nachhaltige Mode ausgezeichnet. Im selben Jahr hat sie die AUTwool Wollweste entworfen. 

Wie es entstand

Stephanie arbeitete mehrere Jahre bei Adidas – in einer angesehenen Abteilung, eingebunden in internationale Kollaborationen, mit reichlich Lernmöglichkeiten und kreativem Austausch. Dennoch begann sie, die Strukturen der Branche kritisch zu hinterfragen: die gigantische Sample-Produktion, den Ressourcenverbrauch und vor allem die Abhängigkeit von synthetischen Materialien. Ihre Sehnsucht nach Naturfasern und handwerklicher Inspiration führte sie zunächst zu einem kleinen Sportswear Start-up in Tirol. Danach entschied sie sich, ganz neu anzufangen.

Sie fuhr durch Tirol, besuchte Weber, Handwerkerinnen und kleine Textilbetriebe. Dabei stellte sie fest, wie viele traditionelle Praktiken und Materialien in Vergessenheit geraten waren – etwa der Anbau von Flachs, der früher in alpinen Regionen weit verbreitet war. Die Begegnung mit einem Weber, der alte Flachsbestände aus dem Tal verarbeitete, weckte ihre Faszination für diese Faser. Gemeinsam mit ihrem Partner begann sie schließlich, selbst Flachs in größerem Maßstab anzubauen – nicht als nostalgisches Museumsprojekt, sondern als modernes Agrar- und Designexperiment. Community-Ernten und Workshops zu den Verarbeitungsschritten zeigen, wie viel Wissen, Zeit und Körperarbeit in einer einzigen Faser steckt – und welcher Bildungswert darin liegt.

Fibershed, AUTwool, und lokale Textilproduktion – plastikfrei

Parallel dazu engagieren sich Stephanie und Gastgeberin Gabriele Brandhuber im Fibershed DACH, einer Bewegung, die regionale Textilkreisläufe neu beleben möchte. Die beiden teilen die Überzeugung, dass praktische textile Bildung ein Schlüssel zu nachhaltigerem Modekonsum ist: Wer erlebt, wie Fasern wachsen, verarbeitet und gewebt werden, trifft andere Kaufentscheidungen.

Ein großer Teil des Gesprächs widmet sich dem gemeinsamen Projekt AUTwool – einer plastikfreien Weste aus 100 % Tiroler Bergschafwolle, produziert vollständig in Österreich. Das Ziel: ein regionales Kleidungsstück mit minimalen Transportwegen, klarer Herkunft und echter Kompostierbarkeit. Die Entwicklung war gleichzeitig faszinierend und herausfordernd: Als das Design entstand, war der Stoff noch nicht einmal fertig produziert. Es gab keine historischen Produktionsmengen oder Qualitäten, auf die man hätte zurückgreifen können; seit Jahrzehnten war kein vergleichbarer Walkstoff aus Bergschaf im größeren Maßstab hergestellt worden.

Die Materialwahl prägte den gesamten Designprozess: keine Polyester-Nähgarne, keine synthetischen Vliese, keine Plastikknöpfe. Sogar die Labels mussten anders gedacht werden. Die Weste nutzt die funktionalen Eigenschaften der Bergschafwolle – winddicht, wärmend, feuchtigkeitsregulierend – ohne technische Membranen. Das Ergebnis ist eine Art natürlicher Windbreaker, der sowohl im städtischen Alltag als auch in der Natur funktioniert. Gleichzeitig wird deutlich, wie viel Know-how in Schnittentwicklung und Größenanpassung steckt – insbesondere wenn ein Unisex-Passformkonzept für möglichst viele Körper funktionieren soll.

Der Podcast liefert auch einen kritischen Blick auf die Sport- und Outdoorbranche: Trotz eines „Wollbereichs“ auf Messen bestehen über 90 % der Stoffe aus synthetischen Materialien oder Mischfasern. Diese Mischgewebe erschweren Recycling und dienen oftmals eher der Kostenoptimierung als der Funktion. Stephanie und Gabriele diskutieren die Probleme eines Systems, das Konsument:innen die Verantwortung zuschiebt, während wirkliche, sortenreine Naturfaseralternativen kaum angeboten werden.

Intuism Modekollektion und Kurse mit leinup.austria

Neben AUTwool spricht Stephanie über ihre eigene Marke Intuism, unter der sie zeitlose, handwerklich hergestellte Naturfaserstücke entwickelt – meist Leinen und Schafwolle. Auch hier vermeidet sie neue Ressourcen, nutzt Vintage-Knöpfe, alte Bettlaken für Labels und traditionelle Techniken wie gesteppte Verstärkungen statt Vlieseline. „Form follows function“ ist ihr Leitgedanke, und langfristig will sie sogar plastikfreie Sportkleidung entwickeln, die sie selbst im alpinen Gelände testet.

Ein besonderes Highlight der Episode ist die textile Bildungsarbeit rund um den Flachs: Workshops für Kinder, Erwachsene und Lehrkräfte lassen die Teilnehmenden die gesamte Kette vom Samen bis zum Garn erleben. Der Geruch von Leinen, das Rascheln der Kapseln, die Haptik der Fasern – all das schafft eine sinnliche Verbindung zum Material, die moderne Konsument:innen kaum noch kennen. Für Stephanie ist diese Arbeit nicht nur Handwerk, sondern Naturerfahrung und Kulturerhalt.

Eine neue Generation von Designer:innen

Am Ende wird klar: Stephanies Weg ist beispielhaft für eine neue Generation von Designerinnen, die Materialwissen, Handwerk, Regionalität und nachhaltige Produktionsethik miteinander verbinden. Ihre Projekte zeigen, wie Textilien wieder Teil eines lebendigen regionalen Kreislaufs werden können – und wie viel Potenzial in Naturfasern steckt, wenn man ihnen Raum gibt.

Keywords: Naturfasern, Flachs / Lein, Tiroler Bergschafwolle, Regionale Textilproduktion, Fibershed, Slow Fashion, Nachhaltiges Modedesign, Textile Bildung, Handwerk & Tradition, Plastikfreie Kleidung, Walkstoff, AUTwool

[* Die Zusammenfassung unseres Gesprächs hat ChatGPT erstellt. Ich habe sie redaktionell überarbeitet.]

Podcastfolge #009: Fibershed DACH, mit Nina Conrad: https://textilportal.net/fibershed-dach/

Podcastfolge #020: Wie funktioniert eigentlich Funktionskleidung? https://textilportal.net/wie-funktioniert-funktionskleidung/

Das GROWN Lab an der Uni Innsbruck, erarbeitet Materialtechnologien auf Basis ganzheitlicher bioökonomischer Konzepte zur Substitution von fossilen Rohstoffen. https://www.grownlab.at/de/

Podcastfolge #037: Gert Rücker und das JMB Fashion Team, die unsere AUTwool Weste genäht haben: https://textilportal.net/jmb-fashion-team/

Begriffe: Base Layer = direkt auf der Haut; Mid Layer = die Zwischenschicht; Outer Layer oder Shell = die äußerste Schicht. Jede Schicht hat in der Sportbekleidung eine andere Funktion: Die Base Layer soll Schweiß aufsaugen und regulieren. Die Mid Layer soll vorwiegend wärmen. Die Shell soll vor Witterungseinflüssen schützen und hat meist eine wasserabweisende Funktionen. 

Begriff: Ein „Hangtag“ ist das Kärtchen, das man in einem Kleidungsstück findet, auf dem normalerweise nur äußerst knappe Angaben zum Material und zur Pflege stehen.

Begriff: „Form follows function“ ist ein Gestaltungsleitsatz, der besagt, dass das Design eines Objekts seine Funktion widerspiegeln soll. Das bedeutet, die äußere Form eines Produkts sollte sich aus seinem Verwendungszweck und seiner Zweckmäßigkeit ergeben, nicht umgekehrt. Die Funktion steht im Mittelpunkt, während die Form dieser untergeordnet ist, was oft zu klaren, sachlichen und reduzierten Designs führt. 

Martin Stern, Weber: https://textilportal.net/ort/weberei-stern/

Loden Kreutner: https://textilportal.net/ort/zillertaler-loden-kreutner/

Meinen Anbau von Flachs/Leinen im Jahr 2024 habe ich hier dokumentiert: https://textilportal.net/1-m2-flachs/

Podcastfolge #040: Warum wir in den Schulen wieder Handarbeitsunterricht brauchen: https://textilportal.net/handarbeitsunterricht-in-schulen/

00:01:08 Begrüssung

00:01:37 Vom Sport-Design zum Naturfaser-Design

00:10:10 Muss Funktionskleidung aus Kunstfasern sein?

00:17:03 Entwicklung der AUTwool-Weste und Herausforderungen

00:29:21 Designentscheidungen und Teamarbeit

00:37:58 Transparenz in der Modeindustrie

00:41:31 Intuism: Zeitloses Design und Slow Fashion

00:46:40 Tolle Wolle – Materialien und ihre Funktionalität

00:56:01 Workshops und Bildung durch Handwerk

01:03:59 Outro


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