Aktualisiert am 29. August 2024.
Im April 2024 habe ich Faserlein gesät, aus dem im Herbst 2024 ein Stück Stoff werden soll. In diesem Beitrag dokumentiere ich die „Reise“ zu meinem ersten Stück selbst angebauten Stoff.
Aktuell: Flachsworkshop/ Brechelfest 2024 in Graz
Termin: Samstag 19. Oktober 2024 von 14 bis ca. 18 Uhr
Workshop-Leitung: Gabriele Brandhuber und Bärbl Burger
Ort: Gemeinschaftsgarten „Gartenzwerge Geidorf“, direkt am Murradweg, Nähe Kalvarienbergbrücke, vor dem Haus Schwimmschulkai 108
In meinem Bekanntenkreis achten die meisten Menschen auf gesunde Ernährung, gehen gerne regional und saisonal auf Bauernmärkten einkaufen, kochen viel selbst, essen viel Gemüse und wenig oder kein Fleisch. Die hohe Qualität unserer Lebensmittel ist uns einen guten Preis wert. Häufig kennen wir die Leute sogar persönlich, die unsere Nahrungsmittel produzieren: Den Biobauern für Milch und Eier, die Marktstandler für regionales Gemüse, Fleisch und Fisch.
Bei unserer Kleidung ist das Verhältnis schwieriger: Die meisten T-Shirts sind zwei Mal um die Welt gereist, bis wir sie anziehen-Sie wurden unter unbekannten Bedingungen irgendwo auf der Welt unter prekären Bedingungen hergestellt, dabei Menschen ausgebeutet und die dortige Umwelt verschmutzt. Die meisten bei uns lebenden Menschen haben den Bezug zur Herstellung von Kleidung verloren. Viele können nicht einmal einen Knopf annähen und nur ganz wenige nähen, häkeln oder stricken sich Kleidungsstücke selbst.
Wie wäre es, wenn wir nicht nur die Zutaten für unser Essen bio und regional beziehen könnten, sondern auch die Zutaten für unsere Kleidung?
Projekt 1m2 Flachs
In Schweden, Norwegen, Finnland und auch in Dänemark und Holland gibt es seit einigen Jahren das Projekt „1 m2 Flachs“. Dabei geht es weniger darum, große Mengen Faserlein anzubauen, die für die industrielle Verarbietung geeignet wären. Sondern es ist eher als Bildungsprojekt angelegt, bei dem man einmal selbst die Herstellung und Verarbeitung von Flachs/Leinen ausprobieren kann. Ein Quadratmeter Erde reicht dafür. Natürlich kommen dabei keine Riesenmengen heraus: Nach dem Ernten, „Rösten“, Brecheln, Hecheln, Spinnen, Färben und Weben der Fasern ergibt 1 m2 vielleicht die Größe eines Taschentuchs? Ich werde es ausprobieren und herausfinden.
Aber das ist ein Projekt, das uns die Zusammenhänge von Landwirtschaft und Textilien veranschaulichen und wieder näher bringen kann: Wenn wir zuerst dem Flachs beim Wachsen zusehen, ihn dann ernten, reifen lassen, brecheln, hecheln, vielleicht färben, dann zu Garn verspinnen und im Herbst zu einer textilen Fläche verweben.
Wie sich die beiden Flächen entwickelt haben (2024)
Die „Gartenzwerge Geidorf“ in Graz hat mir einen Flecken Erde überlassen, der hübscherweise mit einem kleinen Weidenzaun umkränzt ist. Dieser kleine Gemeinschaftsgarten liegt am Murradweg, keine fünf Gehminuten entfernt von unserer Wohnung, wo ich fast täglich beim Joggen oder beim abendlichen Spaziergang mit meinem Mann vorbeikomme.
Am 9. April habe ich dort den ersten Quadratmeter ausgesät: Ziemlich genau „100 Tage nach Neujahr“. Es waren Samen der Sorte „Lisette“, die ich von 1 m2 vlas des Crafts Council Nederland bezogen habe.
Das zweite Beet mit 3 m2 befindet sich im Pinzgau, im Garten meiner Mutter. Auch hier haben wir „Lisette“ ausgesät, und zwar am 21. April. Diese Samen habe ich von „Zieh Lein“ aus der Schweiz bestellt.
Flachs-Tagebuch 2024
Mit der Samenbestellung einerseits bei ziehLein (CH) und andererseits bei 1 m2 vlas (NL) habe ich mich auch gleichzeitig in zwei „Kursprogramme“ eingeschrieben, sodass ich aus zwei Quellen in regelmäßigen Abständen mit schriftlichen und Video-Anleitungen zum jeweils nächsten anstehenden Arbeitsschritt versorgt wurde.
Aussaat in Graz, am 9. April
Am 9. April habe ich in Graz den ersten Quadratmeter ausgesät: Ziemlich genau „100 Tage nach Neujahr“. Es waren Samen der Sorte „Lisette“, die ich von 1 m2 vlas des Crafts Council Nederland bezogen habe.
Es ist so schön, wenn schon nach ein paar Tagen die ersten Keime erscheinen!
Stickeln und Schnüren
Nach 40 Tagen habe ich das kleine Feld nach der Anleitung von ziehLein aus der Schweiz „gestickelt und geschnürt“. Wenn man Flachs/Lein auf großen Feldern aussät, stützen und halten sich die Halme gegenseitig. Bei kleinen Flächen dienen Stangen (Stickel) und Schnüre zur Stabilisierung der Halme. Nach einem Hagelwetter war ich sehr froh, gestickelt zu haben: Die Stängel waren zwar etwas zerzaust, aber nicht ganz geknickt.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch eine Informationstafel aufgestellt. Am Gartenzwerge Gemeinschaftsgarten kommen nämlich jeden Tag zahlreiche interessierte Passant:innen vorbei, weil er direkt an einem Rad- und Gehweg liegt.
Blüten und Samen
Die feinen blauen Blüten des Lein sind wunderhübsch! Die Frage, die man sich zum Zeitpunkt der Ernte stellen muss, ist: Möchte ich eine optimale Stängel-Qualität haben, oder eine optimale Samenqualität? Je länger man mit der Ernte wartet, desto reifer werden die Samen, desto gröber werden die Fasern im Stängel, habe ich gelernt. Die beste Faserqualität erzielt man, wenn die Stängel im unteren Bereich schon etwas gelb werden, aber die Samen in ihren Kapseln noch nicht rascheln. Die Samen reifen beim Trocknen noch etwas nach.
In Graz habe ich die Stängel eventuell etwas zu spät geerntet (die Samenkapseln waren schon sehr braun und haben geraschelt), in Zell am See war der Zeitpunkt glaube ich genau richtig! Wir werden es im Schritt der Fasergewinnung sehen, wie fein oder grob die Fasern in den Stängel von den beiden Standorten herauskommen!
Stängel ernten, Samen riffeln und Stängel „rösten“
Die Pflanzen haben kurze Wurzeln (ca. 5 cm), sodass sie sich in kleinen Büscheln ganz einfach aus der Erde ziehen lassen. Das geht überraschend einfach! Nach der Ernste soll man die Stängel ein paar Tage trocknen lassen, vor allem damit die Samen nachreifen können.
Dann werden die Samen abgeriffelt. Ich hatte mich schon vorsorglich auf willhaben (eine österreichische SecondHand Plattform) umgesehen, und eine Hechel und Brechel von privat kaufen können.
Die Stängel müssen jetzt ein bisschen fermentieren oder Rösten, damit sich die Bastfasern vom harten Kern und der Hülle lösen. Man kann sie in Wasser legen (was schnell geht, aber stinkt), oder sie auf einer Wiese zur so genannten „Tauröste“ auslegen. Je nach Temperatur und Feuchtigkeit dauert es ein paar Tage, bis die Stängel leicht brechen und sich die Fasern lösen.
Es ist ein bisschen ein Krimi, dass man hier den richtigen Zeitpunkt erwischt! Lässt man die Stängel zu kurz liegen, lösen sich die Fasern nicht gut. Wartet man zu lang, kann man sich die ganze Ernte ruinieren.
Die Stängel in Graz waren schon nach knapp einer Woche „Tauröste“ ausreichend gereift. Danach haben wir sie in einem Tomatenhaus am Gelände zum Trocknen aufgehängt. Getrocknet kann man die Stängel mehrere Monate lang bis zur Weiterverarbeitung („Brecheln und Hecheln“) aufbewahren. Der eine Quadratmeter in Graz hat ein kleines Bündel Stängel ergeben.
Brecheln, Schwingen und Hecheln
Die Weiterverarbeitung der Stängel mit Brecheln, Schwingen und Hecheln folgt im Oktober 2024.
Gemeinsam mit meiner Freundin Bärbl veranstalte ich am Samstag 19.10.2024 einen Flachsworkshop/ Brechelfest bei den Gartenzwergen Geidorf. >> Infos hier
Das willst du auch ausprobieren?
An “1 qm Lein” finde ich extrem charmant, dass man auf relativ unaufwändige, niederschwellige Weise den Ursprung von Textilien, von der Faser zum Stoff, zeigen, nachvollziehen und selbst erleben kann. Durch das eigene Tun bekommt man einen anderen Blick auf Textilien, die ihren Status als schnell austauschbare Wegwerfprodukte verlieren.
“1qm Lein” ist ein Mitmach- und Community-Projekt zum Anbau von Faserflachs (Leinen), das seit 2020 erfolgreich in Skandinavien und in den Niederlanden durchgeführt wird. Christiane Seufferlein und Mona Knorr holen dieses Projekt 2025 nach Österreich und Deutschland. Mehr Informationen findest du unter 1qmlein.de (für Deutschland) und 1qmlein.at (für Österreich). Wenn du in der Schweiz aktiv werden möchtest, wendest du dich am besten an ZiehLein.ch, die bereits seit einigen Jahren Saatgut plus Anbau- und Verarbeitungs-Anleitungen versenden.
Andere Bildungsangebote, bei denen du nicht selbst anbauen musst, aber trotzdem das ganze Jahr über in einer Gruppe mit Leinen arbeiten kannst, sind unter anderem das Mitmach- und Bildungsangebot von leinup.austria (Stephanie Höcker) in Tirol. und der Flachsjahreskreis von “Faser und Farbe” (Christiane Seufferlein), jährlich an mehreren Orten in Österreich.
Eine Liste mit Quellen für Saatgut für Flachs/Lein, für Faserhanf und für Färbepflanzen in Deutschland/Österreich/Schweiz findest du auf der Webseite von Fibershed DACH.
Falls du gerne Podcasts hörst:
In der Folge #035 habe ich mich mit Mona und Christiane über ihre Pläne für 2025 gesprochen, und wie Interessierte teilnehmen können.
In der Folge #006 habe ich mit Constanze Derham von „Texte und Textilien“ über die Anwendungsbereiche von Leinenstoffen gesprochen, über die Herstellungsschritte von der Pflanze bis zum fertigen Gewebe, über die Ökobilanz des Leinens und über Initiativen, die regionale Leinenproduktion in Europa fördern.
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