Seidenraupe, verpuppter Kokon und Falter aus dem Brockhaus-Konversationslexikon 1892

Faserserie: Seide in Europa (Podcast #021)

Aktualisiert am 19. Juli 2023.

In China wird Seide – das Gespinst des Falters Bombyx mori – schon seit 5000 Jahren gezielt gezüchtet. Aber auch in Europa versuchte man die Zucht von Seidenraupen: in Frankreich, Spanien, Italien, und schließlich sogar in Brandenburg. In dieser Podcastfolge sprechen wir über die Geschichte der Seidenproduktion in unseren nördlichen Gefilden.

Das Geheimnis der Seidenproduktion gelangte wohl ab dem Jahr 500 unserer Zeit nach Europa, zunächst nach Byzanz, in das Gebiet der heutigen Türkei und Griechenlands. Von dort aus verbreitete sich das Wissen um die Zucht der Seidenraupen nach Spanien und weiter nach Italien. Lucca, Venedig und Florenz waren im Mittelalter bedeutende Zentren des Seidenhandels und der Seidenverarbeitung. Frankreich baute seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine eigene Seidenfabrikation auf. Im 18. Jahrhundert produzierten die königlichen Manufakturen in Lyon mit den neu entwickelten Jacquardwebstühlen Seidendamast von höchster Qualität mit eingewebten Mustern für Tapeten, Vorhänge und Kleidung. Die Rohseide für diese Stoffe kam aus den Cevennen (ein Gebirge in Frankreich), wo die Seidenraupenzucht ein verbreiteter Nebenerwerb war.

Seidenraupe in einem Maulbeerbaum (Foto: Gorkaazk – Own work, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10510052

An der Lyoner Seide orientierte sich ganz Europa, und auch Preußens König Friedrich II. wollte auf diesem Gebiet mit Frankreich gleichziehen. Er warb Seidenexperten aus dem Ausland an und versuchte, mit Prämien und Vorschriften seine Untertanen für die Seidenzucht zu motivieren. Vor allem Geistliche und Lehrer sollten für die Seidenraupenzucht gewonnen werden, denn den Bauern traute man die komplizierte Prozedur nicht zu. Die Aufzucht der Seidenraupen ist in Brandenburg nur zwischen Mai und Juli möglich, da nur dann zarte, junge Maulbeerbaumblätter – die einzige Nahrung der Raupen – geerntet werden können. Mit hohen Zöllen auf Seidenimporte und dem Befehl, auf Kirchhöfen, Dorfplätzen, an Straßenrändern und auf öffentlichem Land Maulbeerbäume zu pflanzen, sollte die neue Industrie vorangebracht werden. Seidenbauinspekteure gaben informative Schriften heraus, verteilten kostenlos Maulbeerbaumsämlinge und Seidenraupeneier.

In Berlin und Brandenburg gibt es noch heute Reste dieser Maulbeerbaumplantagen und -alleen, die einst zur Ernährung der Seidenraupen angelegt wurden. So steht im Garten einer Wohnanlage in Berlin-Mitte zwischen Friedrichstadtpalast und Charité noch immer ein alter, knorriger Maulbeerbaum, der aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammen soll.

Unter Friedrich II. wurden drei Millionen Maulbeerbäume in Preußen gepflanzt und die Berliner Seidenweberei entwickelte sich im 18. Jahrhundert technisch so weiter, dass Seidenstoffe aus Preußen mit den französischen Erzeugnissen mithalten konnten. Letztlich gelang es aber trotz aller Förderung nicht, eine wirklich konkurrenzfähige Seidenproduktion aufzubauen. Zu ungünstig sind die klimatischen Verhältnisse in Nordeuropa, und zu aufwendig ist die Anzucht der Raupen. Seidenraupen brauchen möglichst konstante Temperaturen um 25 Grad, um sich zu entwickeln. In den ersten Tagen müssen sie bis zu fünfmal täglich mit zarten, feingehackten Maulbeerbaumblättern gefüttert werden, also alle vier bis fünf Stunden. Für die Aufzucht von 20 000 Raupen werden etwa 200 Arbeitsstunden in 5 Wochen veranschlagt, etwa 1500 kg Maulbeerbaumblätter sind dafür nötig. Der höchste Stand der preußischen Seidenproduktion war 1786 erreicht – die produzierten 13432 Pfund Rohseide entsprachen aber nur etwa 5 % der damaligen Seidenimporte.

Neben dieser interessanten Episode der Seidenproduktion in Preußen sprechen wir in dieser Podcastfolge über die Seidenzucht in anderen Regionen, über tierleidfreie Alternativen zur Seide wie die Tussahseide, bei der die Raupen aus den Kokons schlüpfen können, über ein aktuelles Schweizer Projekt zur Seidenzucht und über die Bedeutung, die Seide heute noch für unsere Bekleidung haben kann.

Kapitelmarken aufklappen

  • 00:01:10 Spaziert die Seidenraupe am Gardasee…
  • 00:03:45 Seit 5000 Jahren Seide in China
  • 00:06:30 Seidenproduktion im Hinterland von Venedig im 17. Jh
  • 00:08:15 Versuche zum Seidenbau in Preussen
  • 00:12:22 Verschiedene Spinner, Seidenraupen töten, Faden abwickeln
  • 00:16:05 Qualitäten von Seidenstoffen
  • 00:17:13 Seidentapeten in Schloss Miramare
  • 00:20:00 „Swiss Silk“ und „Silk Memory“ in der Schweiz
  • 00:23:40 Seide ist ein Nischenprodukt
  • 00:30:30 Seidenmuseen in Como, Lyon und Krefeld
  • 00:33:45 Der syrische Seidenweber in Innsbruck
  • 00:37:25 Schlusswort

Shownotes aufklappen

Transkript aufklappen

Gabi

Hallo Constanze! Ich freue mich, dass wir uns heute wieder unterhalten. Und zwar geht es heute um Seidenproduktion in Europa.

Constanze

Hallo Gabi.

Spaziert die Seidenraupe am Gardasee…

Gabi

Ich erzähle vielleicht mal kurz, wie es dazu gekommen ist, dass mich das Thema interessiert hat. Ich habe nämlich vor Jahren ein kurzes Video auf Facebook gesehen, von einer Bekannten, die hat ein Haus am Gardasee. Und die hat – ich glaube, es war eh so rund um Ostern – ein kurzes Video gepostet, wo eine Seidenraupe über den Weg spaziert. Und sie hat dazu geschrieben: „Ja, beim Spaziergang eine Seidenraupe entdeckt.“ Und ich war so: „Boah! Wie!? Was machen Seidenraupen am Gardasee?“ Das hat mich völlig geflashed. Ich war komplett fasziniert. Und ich habe sie dann gefragt, und sie hat halt gemeint: „Ja, da gab es halt früher eine Seidenproduktion rund um den Gardasee.“ Und ich war so: „Echt! Seide!“ Für mich war Seide immer etwas, das aus China kommt, oder aus Indien, oder aus irgendwelchen südlichen Ländern Südostasiens, aber nicht in Europa. So. Und dann sagtest du, dann haben wir darüber gesprochen, und du sagst: „Jaja, auch am preußischen Königshof gab es Seide.“ Und ich so: „Echt! Boah, das ist ein superspannendes Thema. Komm, lass uns darüber sprechen.“ Also ich übergebe das Wort an Constanze, die sich da rein recherchiert hat.

Constanze

Ja, also über Seide in Preußen gibt es tatsächlich relativ viel, was man dazu finden kann. Auch noch Überreste von alten Maulbeerbäumen, die in Brandenburg und Berlin wachsen. Und die spannende Geschichte ist, dass wohl das Wissen über die Seidenproduktion schon mit den Hugenotten nach Berlin kam, also im späten 17. Jahrhundert. Dass das aber noch nie so richtig aus den Startlöchern ging. Das waren Flüchtlinge, Glaubensflüchtlinge aus Frankreich, die sich mit der Seidenweberei und mit dem Verspinnen, und auch mit der Seidenzucht auskannten. Aber das wurde dann zwar auch immer versucht zu fördern, aber da ist noch nicht so richtig Produktion zustande gekommen. Und in Preußen ging das dann richtig los, als Friedrich der Zweite seine Politik hatte, das Land autark zu machen von Importen aus dem Ausland. Vor allem, man wollte ja nicht die teure Seide aus Frankreich beziehen, dem großen Konkurrenten, sondern hat dann überlegt, ob man eine eigene Seidenproduktion aufbauen kann. Vielleicht ist das jetzt aber auch eigentlich ein ungünstiger Anfang, weil das setzt natürlich voraus, dass es in Frankreich auch schon Seidenproduktion gab, genauso wie in Italien übrigens. Und eigentlich müsste man erst mal darauf kommen, wie das Ganze aus China nach Europa gelangt ist.

Gabi

Oh ja, dann machen wir das doch! Wir beginnen in der Steinzeit. Nein, nicht in der Steinzeit. Ein bisschen später.

Seit 5000 Jahren Seide in China

Constanze

Ja, genau. Also vielleicht wirklich am Anfang anfangen. Und zwar ist, soweit man das rekonstruieren kann, wird wohl in China schon seit mehr als 5000 Jahren Seide gezüchtet. Und man ist darauf gekommen, dass diese Spinnfäden von dieser Seidenspinnerraupe, dass man die abwickeln und zu Stoffen verweben kann. Und ungefähr seit dem fünften Jahrhundert soll diese Kenntnis davon nach Europa gelangt sein. Also zunächst nach Byzanz, was ja im Grunde Gebiet der heutigen Türkei, Kleinasien ist. Und von dort aus hat sich das dann im Mittelmeerraum weiter verbreitet, also auch nach Spanien, Italien und nach Frankreich. Und in Frankreich war die Seidenraupenzucht tatsächlich so ein Nebenerwerb. Also in den Cevennen [Gebirge in Frankreich] und im südlichen Frankreich hatten die Bauern wohl wirklich auch spezielle Häuser, also so scheunenartige Häuser auf ihrem Grundstück, wo dann diese Seidenraupenzucht stattfand.

Gabi

Es gibt ja diese Mythe, dass um 500 nach Christus Seidenraupen oder Seitenraupen-Eier in Wanderstöcken aus China hinausgeschmuggelt wurden, weil die Chinesen, oder der chinesische Königshof, einfach sehr darauf geachtet hat, dass die nicht/ dass sie quasi das Monopol hatten auf diese Seidenraupen. Aber schon um 500 soll das wirklich gewesen sein – so die Legende – dass die rausgeschmuggelt wurden. Und dann hat sich das verbreitet. Und das voll Spannende finde ich auch, dass… Es gab schon relativ früh auch in Venedig, wenn man jetzt von Italien spricht, Seidenstoffe: Die kamen über mehrere Etappen. Die Chinesen haben das bis an die Grenze vom Roten Meer gehandelt, und ab dort waren es dann andere, und im Mittelmeerraum haben dann wieder andere den Handel übernommen. Und so ein Seidenstoff brauchte tatsächlich von China bis nach Venedig rund 18 Monate, anfangs. Aber das war schon damals so ein… Weil es so ein tolles Material ist! Es ist leicht, es hat diesen Glanz, es hat diesen Schimmer. Es war einfach immer schon ein sehr begehrtes, sehr hochwertiges und auch sehr teures Material für… ich sage jetzt mal: die Kleidung von reichen Menschen.

Constanze

Ja. Es gab ja auch ganz viele Kleidervorschriften, die das reglementiert haben. Also Nicht-Adelige durften größtenteils auch gar keine Seide tragen. Also zumindest war es in Preußen so, dass das verboten war. Man hatte natürlich einen gewissen Bedarf, nicht nur für Kleidung und Strümpfe, sondern auch die ganzen Seidentapeten und Polsterstoffe und Vorhänge und so was.

Seidenproduktion im Hinterland von Venedig im 17. Jh.

Gabi

Einen Artikel habe ich gefunden, der beschreibt die Seidenproduktion im Hinterland von Venedig. Genau die Gegend um den Comer See und den Gardasee. Die dann beschrieben haben, dass das im 17. und 18. Jahrhundert einen Aufschwung genommen hat. Also in Italien war es wohl so, dass es zuerst in den südlicheren Ländern, also in Sizilien und dann in Süditalien, gab es schon recht früh große Seidenproduktion. Und im 17. und 18. Jahrhundert hat es dann komplett geboomt im Hinterland von Venedig. Also so zwischen Venedig und Mailand. Das eine waren die Venezianer, das andere – Mailand hat damals zum Habsburgerreich gehört. Und da ist diese Produktion so richtig geboomt. Wo vorher Wolle produziert worden ist, war dann plötzlich Seide, eine ganze Zeit lang, und ganz intensiv betrieben. Ich muss kurz nachschauen, ich habe das aufgeschrieben: Die Seidenproduktion in der Lombardei zwischen Venedig und Mailand. Die haben Ende des 18. Jahrhunderts, also um 1790, eine jährliche Ernte von 2,5 Millionen Kilo, also 2500 Tonnen Seidenraupen-Kokons hergestellt. Oder vertrieben, die dort in den Handel gegangen sind. Und hatten auch ganz viele Spinnereien. Webereien nicht. Die haben also hauptsächlich die Kokons und die Seidenfäden, oder das Seidengarn dann weiter verkauft. Aber die Produktion ist einfach unglaublich, was da damals, um 1790 produziert wurde, in Norditalien. Und das war ungefähr 10 % der italienischen Produktion, also riesig! Wahnsinn eigentlich, wie viel.

Constanze

Aber trotzdem: NUR 10 % der italienischen Produktion. Oder des italienischen Bedarfs.

Versuche zum Seidenanbau in Preussen

In Preußen lief das dann ähnlich. Also man hat das zwar wirklich vorangebracht. Da gab es dann auch Dekrete. Also man brauchte ja auch erst mal die Maulbeerbäume. Weil die Raupen des Seidenspinners leben ausschließlich von Maulbeerbaumblättern. Und da gab es dann in Preußen Dekrete, im 18. Jahrhundert, dass man auf alle Flächen, die irgendwie verfügbar waren – zum Beispiel auf Friedhöfen, oder Stadtbefestigungen und so – dass da Maulbeerbäume gepflanzt werden müssen. Und es gab Prämien dafür, wenn man Maulbeerbaum-Plantagen anlegte. Und es wurden kostenlos Stecklinge und Setzlinge von Maulbeerbäumen verteilt, um das voranzubringen. Und es gab dann Kampagnen, dass man die Lehrer und die Pfarrer überzeugen wollte, doch nebenbei noch Seidenraupen zu züchten. Die brauchten ja auch immer noch so einen Zuverdienst, das waren keine besonders gut bezahlten Berufe. Und man hat denen das halt zugetraut, weil das ja relativ schwierig ist mit der Seidenraupenzucht, dass die das hinkriegen. Und das hat wirklich dazu geführt, dass man die Produktion zwar schon sehr steigern konnte im 18. Jahrhundert, dass man aber letztendlich nur 5 % des Bedarfs an Seide durch die eigene Produktion decken konnte. Und es gab halt alle möglichen Schwierigkeiten. Also die Raupen brauchen sehr konstante Temperaturen in so einer gewissen Dämmerung. Also man braucht auf jeden Fall einen Raum oder ein Gebäude, wo man sie ziehen kann. Der möglichst auch keinen Zug [keine Zugluft] hat und relativ warm ist. Das ist natürlich in Brandenburg im Frühjahr oder Sommer dann auch möglicherweise ein Problem. Man hat öfter mal Kälteeinbrüche und dann musste man das heizen. Diese Maulbeerbaumblätter, die waren eigentlich nur bis Juli brauchbar, weil sie dann zu derb waren und die Raupen das nicht mehr gefressen haben. Also das war auch so ein Saisongeschäft, von Mai bis Juli ungefähr, in Brandenburg. Und man brauchte einfach unglaubliche Mengen an Blättern. Also in den ersten 4 bis 5 Tagen nach dem Schlüpfen mussten die Raupen alle 4 bis 5 Stunden gefüttert werden, auch nachts, mit kleingehackten Maulbeerbaumblättern. Das war also unglaublich aufwändig. Danach dann noch alle acht Stunden. Da musste man die Blätter dann auch nicht mehr zerkleinern. Und die mussten trocken sein. Also ich habe auch gelesen: Wenn es geregnet hat, dann mussten die Blätter abgetrocknet werden, damit die Raupen nicht anfangen irgendwelche Pilze oder andere Krankheiten zu bekommen. Also das war wirklich etwas, was in der Zeit, wo man gezüchtet hat, wirklich ein tagfüllender Job war im Grunde.

Gabi

Es erinnert fast ein bisschen an ein Kleinkind, dem man auch alle paar Stunden entweder die Brust oder ein Fläschchen geben muss.

Constanze

Ja, genau. Und man braucht halt einfach unglaublich viele Blätter. Also man hat wohl in einer Saison, von Mai bis Juli, ungefähr 30- bis 40.000 Raupen betreuen können. Das wurde dann in Staffeln gemacht, dass die immer mit so ein bisschen Abstand alle paar Tage wieder welche geschlüpft sind, sodass man dann immer Raupen in verschiedenen Stadien hatte. Und für diese 30- bis 40.000 Raupen brauchte man ungefähr 1.500 Kilo Maulbeerbaumblätter.

Gabi

In welchem Zeitraum am Tag? Nein.

Constanze

Nein. In dem ganzen Zeitraum.

Gabi

Mhm, okay. Ja, das ist nicht wenig.

Constanze

Und es war dann im Grunde auch so, dass mit dem Tod Friedrichs des Zweiten, 1786, als diese Förderungsmaßnahmen und diese ganzen Prämien und all das, was es da gab, eingestellt wurden, dass dann der ganze Seidenanbau auch sehr schnell zurückging. Und dieser Maulbeerbaum-Plantagen auch, bis auf ein paar Reste, die man tatsächlich in der Stadt noch findet, verschwunden sind. Das war also überhaupt nicht nachhaltig.

Verschiedene Spinner, Seidenraupen töten, Faden abwickeln

Gabi

Also, Maulbeerbaum-Blätter. es gibt ja im Grunde verschiedene Seidensorten. Oder sagen wir so: Es gibt viele solche mottenartige Spinner, Schmetterlinge, die sich in Kokons einwickeln, und deren Fäden dann auch verwendet werden. Eben die eine Sorte, die am meisten gezüchtet wird, die will nur Maulbeerbaumblätter. Aber es gibt ja in anderen Weltgegenden andere auch, die auch andere Dinge fressen. In der Herstellung der Seide gibt es ja große Kritik von Seiten von Tierschützern. Weil um diesen Faden, einen ganz langen Faden von diesem Kokon abwickeln zu können, muss man die Raupe, oder die verpuppte Raupe töten, bevor sie schlüpft. Weil sonst beißt die sich aus dem Kokon raus und dann hat man nur mehr kurze Fäden. Also in der Seidenproduktion ist der übliche Weg, dass nach einer gewissen Zeit, wenn die sich versponnen haben… Ich weiß nicht, wie wird das gemacht? Mit Wasserdampf? Ich glaube, das wird erhitzt.

Constanze

Ja, mit Wasserdampf. Oder mit heißem Wasser.

Gabi

Werden die Raupen in ihren Kokons getötet, damit man diesen Faden abwickeln kann.

Constanze

Ja. Da löst sich auch dieser Bast. Also es gibt so eine Kleb-Substanz, die den Faden zusammenhält. Der löst sich dann so ein bisschen und das kann abgehaspelt werden.

Gabi

Genau. Und dann gibt es aber noch andere Seidensorten oder andere Wege, wo manche warten, bis die wirklich geschlüpft sind, und dann erst die Kokons verwenden und abhaspeln.

Constanze

Genau. Das ist zum Beispiel die Tussah-Seide. Das ist ein anderer Spinner, der sich von Eichenblättern ernährt. Und da werden die Kokons wild gesammelt. Und das sind dann halt die Kokons, die die Tiere zurücklassen, wenn sie geschlüpft sind, die dann noch an den Bäumen hängen. Und die werden eingesammelt und auch zu Seidengarn verarbeitet. Aber das ist natürlich nie so schön lang und glänzend und fein wie eine abgehaspelte Seidenraupe. Dieser Seidenfaden ist ja sozusagen ein natürlich hergestelltes Filamentgarn: so ganz glatt, und gleichmäßig, und ununterbrochen. Und dadurch hat man eben auch diesen Glanz.

Gabi

Und auch sehr widerstandsfähig, sehr reißfest. Vor allem wenn die Fäden miteinander verzwirnt werden. Ich glaube, es werden meistens so 4 bis 6 Einzelfäden miteinander verzwirnt, und das dann vielleicht nochmal verzwirnt. Deswegen ist Seide auch sehr widerstandsfähig, und gleichzeitig sehr leicht. Also es reißt nicht leicht, aber man kriegt ein sehr leichtes, widerstandsfähiges Gewebe von denen.

Constanze

Ja, genau. Deswegen waren ja Fallschirme tatsächlich früher aus Seide. Ich habe auch gelesen – das habe ich jetzt aber nicht weiter nachrecherchiert -, dass es in den 1930er-Jahren unter den Nazis noch mal Bemühungen gab, die Seidenindustrie in Deutschland wiederzubeleben, um für Fallschirme – schon in Kriegsvorbereitung – Seide anzubauen. Also da wurden wohl irgendwelche Hänge an der Mosel, die für die Weinlagen nicht so toll waren,  umfunktioniert, mit Maulbeerbäumen bepflanzt und so was.

Gabi

Das ist so ein wiederkehrendes Thema, dass im Dritten Reich lokale Textilproduktion angeregt wurde, um sich [unabhängig zu machen]. Oder immer dann, wenn ein Staat beschloss, sich unabhängig machen zu wollen von globalen Warenströmen, und sein eigenes Ding zu machen. Okay.

Qualitäten von Seidenstoffen, Seidentapeten in Schloss Miramare

Gabi

Können wir was sagen zu verschiedenen Seidenqualitäten? Also welche Stoffe daraus gemacht werden?

Constanze

Das hängt natürlich von der Qualität des Fadens ab. Also aus dieser abgehaspelten Seide, bei der die Raupen getötet werden, da kann man natürlich sehr feine, sehr glänzende Stoffe machen. Also diese ganzen Taft- und Jacquard-Stoffe, die auch zur Ausstattung von Schlössern und Seidentapeten dienten, das ist natürlich nur mit diesem Faden möglich. Aber es gibt ja auch so was, was immer so als Wildseide verkauft wird, oder eben Tussah-Seide: Da sind das dann öfter auch Fadenabschnitte, aus denen Garn gesponnen wird. Das sieht dann ja manchmal fast tweed-artig aus. Also matter, unregelmäßiger.

Gabi

Weil das auch so Verdickungen hat, weil der Faden nicht so ganz glatt ist, und außerdem der ja aus kürzeren Fadenabschnitten versponnen wird, weil eben der Kokon schon mal aufgebissen war. Mir fällt gerade ein, wir waren vor einigen Jahren im Schloss Miramare bei Triest, wo auch so ganz tolle Seidentapeten an der Wand waren. Und dieser Museumsführer, der da mit uns durch gegangen ist – oder ich glaube, es war über Kopfhörer – die haben gesagt, dass diese Seidenstoffe tatsächlich in Dresden hergestellt worden wären. Dass es dort so eine Weberei gab, in der diese Seidenstoffe hergestellt wurden, die dann halt auch für Tapeten usw. verwendet wurden.

Constanze

Ja, das stimmt. In Sachsen gab es auch so ein Programm, also vor allem die Weberei zu fördern. Also dass man auch Stoffe in französischer Qualität herstellen konnte. Das gab es in Preußen natürlich auch. Also man muss sagen, dass diese Autonomiebestrebungen auch dazu geführt haben, dass man technologisch einen großen Fortschritt gemacht hat. Weil man wollte einfach die Qualität erreichen, die man aus Lyon kannte. Und dann hat man Leute angeworben, die sich mit Jacquard-Weberei auskannten und diese Webstühle konstruieren konnten. Oder anderes Wissen besaßen, was man zur Verarbeitung brauchte. Und da hat sich auf jeden Fall die Textilindustrie deutlich weiterentwickelt. Was dann auch für andere Materialien später, als das mit den Seidentapeten gar nicht mehr in Mode war – das kommt ja noch dazu! Also eigentlich ist es auch so, dass Anfang des 19. Jahrhunderts dieser ganze Seidenanbau in Europa weniger interessant wurde, weil sich die Mode geändert hat. Man hat ja mehr Baumwolle als Kleidung getragen. Man hat auch eher Baumwolltapeten oder Papiertapeten gehabt, als diese Seidentapeten. Weil dieser „Adel-Style“ des späten 18. Jahrhunderts war dann einfach nicht mehr en vogue, nach der französischen Revolution. Das Biedermeier hatte eben auf ganz andere Materialien gesetzt. Und insofern gab es dann auch nicht mehr den Anreiz, diese Seidenindustrie so am Laufen zu halten. Vor allem, wenn das nur mit Prämien und Zwang und ganz viel Bemühen ging, und man dann doch irgendwie nicht die Qualitäten und nicht die Mengen bekommen hat, die man eigentlich brauchte.

Gabi

ja, auf jeden Fall sehr spannend, wieder mal alles. Ich habe mich mit Frankreich nicht wirklich beschäftigt, ob es dort noch Seidenproduktion gibt, heutzutage. Weißt du das zufällig?

Constanze

Also ich glaube, so ein bisschen Mini-Seidenproduktion gibt es tatsächlich noch. Also weil das in Südfrankreich klimatisch auch so ein bisschen günstiger natürlich ist als Brandenburg. Wie man sich vorstellen kann.

Aktuell: „Swiss Silk“ und „Silk Memory“ in der Schweiz

Gabi

Ja, und auch von Italien weiß ich es nicht sicher, aber sehr spannend, dass es in der Schweiz eine Initiative gibt, und zwar schon seit 2009. Nämlich, das sind jetzt, lass mich nachrechnen: 14 Jahre bald. Das nennt sich „Swiss Silk“, auch zu finden unter swiss-silk.ch, wo ein Ehepaar offensichtlich 1985, bei einer Reise nach Frankreich die einstmalige Bedeutung der Seidenproduktion in Europa und der Schweiz entdeckt hat. Das Spannende ist ja, dass zum Beispiel von dieser italienischen Produktion, die ich vorher erwähnt habe, da ging ein Teil nach Venedig und ein anderer Teil über Mailand nach Frankreich. Also die haben damals, im 17. und 18. Jahrhundert nach Frankreich exportiert. Und am Weg liegt die Schweiz. Und da gab es tatsächlich in der Schweiz eine riesengroße Seidenverarbeitungsindustrie, und Seidenwebereien in der Schweiz. Und das hat wohl dieses Ehepaar dann 1985 entdeckt. Hans und Ueli Ramseier – ich hoffe, ich habe das richtig ausgesprochen. Bitte alle Schweizer Kolleginnen mich zu entschuldigen! – die das recherchiert haben. Und die sogar nach Indien gereist sind, um das Abhaspeln zu lernen, und das alles aufgebaut haben. Und 2015 haben sich dann einige Schweizer Bauern und Bäuerinnen zusammengetan, auch ein bisschen als Nebenerwerb, aber weil es einfach ein super Nischenprodukt ist, und haben wieder begonnen mit Seidenproduktion in der Schweiz. Finde ich großartig! Also spannend. Auch in der Südschweiz natürlich, in diesem Bereich um den Comer See, wo es schon wärmer ist, aber noch nicht zu warm.

Constanze

Ja interessant. Ich bin da auch auf ein sehr schönes Projekt gestoßen von einer Uni, auf der Website silkmemory.ch. Da sind Dokumente und Textilien aus der Züricher Seidenindustrie digitalisiert. Also da kann man virtuell durch Stoffmuster blättern, vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, und auch ganz viele Fotos und andere Dokumente. Es ist eine sehr schön aufbereitete Seite, wo man sich einfach auch ein bisschen durchtreiben lassen kann, aber natürlich auch gezielt recherchieren kann. Ein sehr schönes Projekt. Also einfach auch diese digitalisierten Stoffe anzuschauen und sich da vielleicht Anregungen für eigene Muster zu holen. Sehr, sehr schön.

Gabi

Ich denke halt, es ist gar nicht so einfach, das jetzt neu zu starten, weil man braucht ja eine ganze Menge Wissen. Sowohl über die Maulbeerbäume, was die für Bedingungen brauchen, wie die wachsen, die Pflege, den Schnitt dieser Maulbeerbäume. Als auch dann eben die Seidenraupen, an die zu kommen, und wie gesagt hast, die Pflege. Ich habe auch was gefunden, dass in den 1700er Jahren die Seidenproduktion mal eine Zeit lang zurückgegangen ist, weil eine Tierseuche unter den Seidenraupen grassierte und weil auch es mit den Bäumen Schwierigkeiten gab. Also es ist wieder mal so eine, wie soll man sagen: an der Schnittstelle von Landwirtschaft zur Textilindustrie, wo einfach gewisse, viele Faktoren zusammenspielen müssen, damit es funktioniert und damit es produktiv gemacht werden kann. Diese Arbeit oder diese Textilproduktion.

Constanze

Ja, das war im 19. Jahrhundert auch noch mal. Um 1860 gab es auch noch einmal so eine Parasitenkrankheit, die sich von Frankreich aus verbreitet hat, und die in ganz Europa die Seidenraupen dezimiert hat.

Gabi

Getötet hat.

Seide als Nischenprodukt

Constanze

Es ist halt wirklich die Frage… Also ich frage mich bei Seide, das ist ja so ein extremes Nischenprodukt, das wird immer sehr teuer sein. Und wenn man es in Europa herstellt, noch viel, viel teurer. Wo das jetzt heutzutage eigentlich seinen Platz hat? Außer vielleicht, dass man das Wissen bewahrt und sozusagen mal ins Blaue hinein in subventionierten Schau-Manufakturen Seide züchtet und verarbeitet und Stoffe herstellt. Also es hängt unglaublich viel textiles Wissen an dieser ganzen Verarbeitungskette. Das man bewahren sollte. Aber andererseits frage ich mich, ob Seide für unsere heutige Bekleidung überhaupt noch einen legitimen Platz hat. Ja. Eine große Frage. Das ist die Frage, die mir bei der Recherche zu dieser Folge durch den Kopf gegangen ist.

Gabi

Ja. Also, als ich jetzt auf dem Weg zu meiner nachhaltigen Sportkleidung, ein bisschen recherchiert habe, da gibt es ja einige Anbieter, die Wolle-Seide-Gemische zum Beispiel als Skiunterwäsche [anbieten]. Weil Seide einfach schon ganz tolle Eigenschaften hat: Sie kühlt im Sommer, sie wärmt im Winter. Sie ist leicht, sie lässt sich gut verarbeiten. Also auch da… Ich weiß jetzt wirklich nicht den Anteil der Seide an der Welt-Faserproduktion, das könnte man vielleicht noch mal nachschauen. Aber es ist mit Sicherheit nicht viel. Es ist sicher ein ganz, ganz kleiner Prozentsatz. Aber auch in solchen Gemischen, und vor allem in alternativer Funktionskleidung, die alternativ zu Polyester oder sonstigen Kunstfasern [angeboten wird], da wird ganz gern Seide beigemischt. Ich schaue gerade in dem Shop von Swiss Silk, die haben… Da kann man wirklich Seidenkokons auch, und Rohseide [kaufen]. Aber sie haben auch Damast Meterware ab 195 Franken der Meter. Einen Twill um 100, also 98 Franken. Organza. Also der Meterpreis, je nachdem was es ist, zwischen 100 und 200 Schweizer Franken. Und auch fertige Produkte, Seidenschals und so. Hm. Ich bin mir nicht sicher: es schaut mir nicht aus wie ein subventioniertes Geschäft, sondern eher wie etwas, das sie tatsächlich produzieren und auch um den Preis verkaufen, den es halt dann kostet.

Constanze

Ja, ja, auf jeden Fall.

Gabi

Weil sie das in der Schweiz produzieren. Ja, ansonsten kann man ja Seidenstoffe auch online bestellen oder findet das auch in Geschäften.

Constanze

Allerdings muss man dazu sagen, bei den Seidenprodukten, die man so kaufen kann, also auch im Kaufhaus gibt es ja – zumindest hier, solange es Karstadt noch gibt, gibt es da immer den Tisch mit den Seidenstoffen in der Stoffabteilung. Da weiß man natürlich nicht, wo es herkommt. Also der Großteil der Produktion kommt jetzt eben aus China, Thailand, Vietnam. Und anscheinend auch aus Brasilien, wie ich gelesen habe. Und wie das dann verarbeitet wird… Also es ist es so: Wenn dieser Faden entbastet wird, also wenn der im heißen Wasser und mit ein bisschen Seife ausgewaschen wird, um diese klebrige Masse zu entfernen und das haspeln zu können, dann verliert Seide auch stark an Gewicht. Und das wird dann manchmal wieder ausgeglichen dadurch, dass da irgendwelche metallischen Salze, also irgendwelche Zusatzstoffe zugefügt werden, was dann auch alles ein bisschen umweltschädlich sein kann. Das Färben in solchen fernen Ländern ist oft ja auch ein Prozess, der nicht besonders umweltfreundlich abläuft. Also da würde ich dann auch immer sagen: Seide, wo man eigentlich nicht weiß, wo sie herkommt, da würde ich immer vermuten, dass das ein ziemliches Umweltverbrechen ist. Jetzt mal ganz abgesehen davon, dass diese Seidenraupen dafür sterben müssen. Das ist natürlich sowieso der eine Faktor. Insofern… Ich überlege halt. Also Seidenstoffe für 100 bis 200 Franken der Meter haben natürlich im Alltag der meisten Menschen keinen Platz. Und die günstigere Seide aus Asien, da denke ich halt: Das ist eigentlich was, was überhaupt nicht nachhaltig und umweltfreundlich ist, was man eigentlich nicht kaufen sollte. Und insofern ist das, was du gesagt hast: Seide als Zusatz, zum Beispiel bei Seide-Wolle-Mischung, wenn man so hochwertige Bekleidung kauft, vielleicht wirklich der einzige Ort, wo Seide noch so ihren Platz hat.

Gabi

Und auch da halt wieder: Ich denke mir, bevor ich jetzt sowas kaufe, würde ich mich in Zukunft sehr genau informieren, wo das herkommt. Ich bin schon sehr gespannt! Es wird wahrscheinlich demnächst eine Folge geben, mit einer Juristin über dieses Lieferkettengesetz, das jetzt in Deutschland umgesetzt werden soll. Weil Lieferkettengesetz macht es natürlich nicht einfacher. Also es ist auch gerade in der Textilindustrie sind die Wege oft so verschlungen bzw. werden Sachen in großen Gemengen verkauft, sind dann in irgendwelchen Häfen, und werden zusammengemischt usw.. Es ist tatsächlich ganz, ganz schwierig, die Herkunft von Textilien nachzuvollziehen. Aber wenn ich mir so was kaufen würde, dann würde ich persönlich bei dem Hersteller nachfragen, woher denn die Seide kommt und unter welchen Bedingungen die auch produziert wurde, wo und so. Sofern der Auskunft geben kann. Oder ich investierte tatsächlich gutes Geld in Seide, die vor Ort in der Schweiz produziert wird. Also am besten würde ich sagen, kleiner Tipp: Am besten hinfahren, in die Schweiz und das direkt vor Ort kaufen, weil die Zölle..  Also bei Einfuhr in die EU ist dann immer noch Zoll drauf, und das macht das Ganze dann noch teurer für uns hier in Österreich oder euch in Deutschland. Ich habe mir letztens eingebildet, ich muss was aus der Schweiz bestellen, und habe dann leider doch noch mal ein Viertel Zoll bezahlt, von dem Preis. Das war dann ein bisschen bitter, aber meine Güte, ja. Oder vielleicht fühlt sich jemand berufen, in Deutschland, Österreich wieder eine Seidenzucht, hochzuziehen. Es sollten aber milde klimatische Bedingungen herrschen, dort.

Constanze

Na ja, gut. Da spielt uns der Klimawandel ja in die Karten, vielleicht.

Seidenmuseen in Como, Lyon und Krefeld

Gabi

Oh ja, großartig! Jetzt wird es dann eh 10 Grad wärmer, dann können wir auch Seidenraupen züchten, in Zentraleuropa. [Sarkasmus aus] Ich habe noch gesehen, dass es in Como, also am Comer See, ein „Museo de la Seta“ gibt, also ein Seidenmuseum. Ich habe davon unterschiedliche Dinge gelesen. Die einen Rezensionen waren ganz begeistert, die anderen haben gemeint, es ist sehr abstrakt. Da stehen die Maschinen rum, aber man weiß nicht wirklich, was damit gemacht worden ist. Das ist spannend. Vielleicht muss ich doch mal einen Abstecher machen in diese Region, und zwischen Comer See und ich-weiß-nicht-wo mir Woll- und Seidenproduktion anschauen. Und ich glaube, du hast auch noch etwas gefunden, ein Museum.

Constanze

Ja, also da hätte ich zwei Tipps. Einmal im Ausland ist Lyon natürlich der Anlaufpunkt. Da gibt es sowieso ein Textilmuseum, dessen Bestand jetzt in den letzten Jahren allerdings immer etwas auf der Kippe stand. Ich glaube, dass ist gerade auch wegen Umbau geschlossen. Aber es gibt auch noch ein spezielles Seidenmuseum, weil Lyon war wirklich der Produzenten-Standort für ganz hochwertige Jacquard-Seidenstoffe. Und in diesem kleineren Seidenmuseum ist das sehr schön, weil man da mit einer Führung dann auch wirklich mal sehen kann, wie diese Webstühle funktionieren. Und die haben nicht nur so einen Jacquard-Webstuhl in Aktion, der mit diesem Lochkartensystem seine Muster erzeugt, was ja schon absolut faszinierend ist und die Vorform des Computers [ist]. Sondern sie haben auch den Vorläufer dieses Jacquard-Webstuhls, wo man diese Lochkarten zur Steuerung noch nicht hatte. Sondern wo die ganzen Fäden durch so ein Fadenbündel von einer Person angesprochen wurden. Also das haben sie auch vorgeführt, dass praktisch zwei Personen diesen Webstuhl bedienen mussten, die dann auch sehr gut miteinander kommunizieren mussten, weil der eine den Schussfaden eingelegt hat und der andere so ein riesiges Fadenbündel, die Fäden in der Hand hatte. Ich glaube, daher kommt auch diese Redensart. Und dann da einzelne Kettfäden, je nachdem, um dieses Muster zu erzeugen, gehoben oder gesenkt hat. Das war unglaublich faszinierend! Und da erfährt man auch ein bisschen was über den Werdegang der Seidenraupe, also vom Ei zum Schmetterling. Und in Deutschland wäre das Krefeld. Da gibt es das Haus der Seidenkultur, weil Krefeld auch ein großer Seidenwebereistandort war, im 18. und 19. Jahrhundert. Also auch so die Seidenproduktionsstadt. Und da war ich noch nicht. Das habe ich geplant gehabt für 2020, aber das ist dann nicht zustande gekommen. Und das soll auch sehr schön sein. Die haben so eine Dauerausstellung auch über die Seidenherstellung, also auch über das Spinnen und Weben. Und dann auch wechselnde Ausstellungen zu textilen Themen noch dazu.

Gabi

Ja, das klingt so, als ob du in Lyon schon gewesen wärst und dir das selber angeschaut hättest.

Constanze

Jaja, da war ich. Lyon ist sowieso eine Reise wert. Sehr schöne Stadt.

Der syrische Seidenweber in Innsbruck

Gabi

Du machst mir gerade voll wieder Lust zu reisen und das abzugrasen. Was mir aber jetzt gerade noch einfällt. Es ist heute ein bisschen eklektisch, von hier und von da was, kommt mir vor, diese Folge. Aber das macht ja nichts, das darf auch mal sein. Ich war vor Weihnachten in Innsbruck und habe in Innsbruck einen syrischen Seidenweber besucht. Eigentlich bin ich hingefahren, um drüber eine Podcastfolge zu machen und eine Reportage. Das ist nicht passiert, weil der leider inzwischen sein Geschäft geschlossen hat. Der hatte ein Geschäftslokal in der Innsbrucker Innenstadt und hat gesagt: Es zahlt sich gerade nicht mehr aus, die Fixkosten fressen ihn auf, er muss seinen Seidenwebstuhl wieder abbauen. Aber ich denke mir gerade, ich werde einfach zu dieser Folge auch Fotos von dieser Seidenweberei reinnehmen. Der hatte nämlich, wahnsinnige Geschichte! Der ist aus Syrien geflohen, als dort der Krieg begonnen hat. War auch in Syrien im Gefängnis, hat sich irgendwie/ ist da rausgekommen, ist nach Österreich gekommen, nach Innsbruck. Und hat es dann geschafft, in den Jahren danach, einen über 200 Jahre alten Jacquard-Webstuhl aus Syrien, über Wege, also in Containern, über Ägypten und unter Bestechung, und ich weiß nicht was noch – nach Innsbruck zu holen. Völlig faszinierend. Den hatte er dort im Geschäftslokal aufgebaut, hat auch drauf gewebt. Der Wahnsinn! Ich schreibe es dann in die Shownotes bzw. in den Blogpost zu dieser Folge. Ich glaube, es sind… Ich traue es mich jetzt nicht sagen, ich glaube es waren 3500 Fäden auf die Breite, oder 7200, irgendsowas Wahnsinniges. Unglaublich schöne Jacquard-Gewebe, die der da vor Ort hergestellt hat, und wo man richtig zuschauen konnte. Und auch Dinge im Geschäft hatte, die er gewebt hat. Und er hat aber auch noch Familie in Syrien, die dort auch noch drei oder vier Webstühle stehen haben. Und hat auch erzählt, dass sie in Syrien ganz lange Zeit lokal produzierte Seide verwendet haben. Aber eben, wie du jetzt gesagt hast: Vorläufer des Computers, diese Jacquard-Webstühle. Das hat er dann eben auch erzählt, dass sie früher gestanden sind und dass mit der Hand hochgenommen haben, zum Teil. Und da waren aber so Lochkarten, die da aufgehängt waren. Das ist einfach völlig faszinierend, diesem Prozess zuzuschauen, wie das dann wirklich im Weben. Also extrem spannend.

Constanze

Ja. Und das ist eine wirklich große Kunst, diese Webstühle einzurichten und zu bedienen. Also das habe ich in Lyon auch erfahren, dass es im Grunde genauso lange gedauert hat, den Webstuhl einzurichten, also diese ganzen Kettfäden überhaupt erst mal aufzuspannen, einzufädeln in die Litzen. Also wenn man mit Tausenden Fäden zu tun hat, ist das ja klar, dass man da sehr lange braucht. Also das hat schon irgendwie sechs Wochen gedauert, bis der Webstuhl sozusagen bereit war, um loszuweben.

Gabi

Ich bin völlig fasziniert immer, was sich Menschen einfallen haben lassen und was dafür – schon so früh, nämlich! – für Technologie dahintersteckte, und was dann für unglaublich schöne Produkte dabei rauskommen. Und gerade bei Seide nochmal, wenn das so einen Glanz hat. Oder je nachdem, was man verwendet, so einen changierenden Glanz. Also tolle, tolle Produkte. Bei aller Kritik von Tierleid und Seidenraupen, die sterben müssen, ist einfach das Endprodukt ein unglaublich schönes. Wunderbar. Ich glaube, das war es für heute. Vielen lieben Dank, Constanze. Und ja, wir werden uns was überlegen, welche Folgen wir dann als nächstes gemeinsam produzieren.

Constanze

Ja. Ich freue mich.

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2 Kommentare zu „Faserserie: Seide in Europa (Podcast #021)“

  1. sehr schöne Folge über die Seidenproduktion! Im Freilichtmuseum Ballenberg in der Schweiz gibt es eine museale Seidenpriduktion, weil es über längere szeit im Tessin eine Seidenproduktion gab. Bei den Vorführungen konnte man auch zuschauen wie die Seide verzwirnt und gefacht wurde. Als ich dort war, hat die Mitarbeiterin uns auch in den Raum mit den Kokons schauen lassen. wirklich sehr anschaulich! http://www.ballenberg.ch

    1. Avatar-Foto
      Gabriele Brandhuber

      Vielen Dank für diesen tollen Hinweis! Von dem Freilichtmuseum hatte ich schon gehört, aber dass es eine museale Seidenproduktion gibt, wusste ich nicht. Das ist auch ein super Ausflugstipp für die neue Rubrik am Textilportal, die sich langsam füllt: textile Museen und Ausflugsziele (noch nicht öffentlich). Herzliche Grüße, Gabi

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