Aktualisiert am 18. Mai 2024.
In dieser Podcastfolge geht es um die Frage, was nötig wäre, damit Textilien aus Wolle von der Faser bis zum fertigen Produkt wieder in Mitteleuropa hergestellt werden könnten? Und um Betriebe, die dies bereits (wieder) tun.
Mittlerweile stammt nur noch ein Bruchteil der in Deutschland und Österreich verwendeten Wolle von einheimischen Schafen und auch die Verarbeitung findet oftmals woanders statt. Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen? Wie ist die wirtschaftliche Lage für Wollproduzent:innen in Deutschland und Österreich momentan? Welche lokalen Initiativen gibt es, die einheimische Schafwolle nutzen, und was wäre nötig, damit Textilien aus Wolle von der Faser bis zum fertigen Produkt wieder in Mitteleuropa hergestellt werden könnten?
Über diese Fragen unterhalten sich Gabriele Brandhuber vom Textilportal und Constanze Derham von “Texte und Textilien” in dieser Podcastfolge.
Ein kurzer historischer Blick auf die Schafwolle: Vom Hausgewerbe zur Industrie
Im Mittelalter war Schafwolle neben Leinen die wichtigste Faserquelle für die Bekleidung. Die Schafzucht, das Scheren, Waschen und Kämmen der Wolle, das Spinnen und Weben fand in regionalen bäuerlichen Strukturen statt. Der Handel mit Wolltuchen war hingegen ein europäisches Geschäft und überspannte oft größere Entfernungen.
Die Geschichte der modernen Schafhaltung und damit auch der Verarbeitung von Schafwolle im industriellen Maßstab, beginnt in Deutschland im späten 18. Jahrhundert, genauer gesagt, im Jahr 1786. In diesem Jahr schickte der Herzog von Württemberg eine Delegation nach Spanien, um Merino-Zuchtschafe zu kaufen. Bis dahin hatte Spanien die Ausfuhr von lebenden Merinoschafen verboten, um sein europäisches Monopol für Feinwolle zu schützen. Die Einkäufer und Schäfer aus Württemberg erwarben eine kleine Herde aus 30 Böcken und 10 Mutterschafen und brachten sie auf einer wochenlangen, entbehrungsreichen Reise durch Spanien und Frankreich nach Hause. Durch die Kreuzung der Merinoschafe mit einheimischen Schafrassen entstand das Merinolandschaf, auch „Württemberger“ genannt, bis heute eine der verbreitetsten Schafrassen in Deutschland.
Die Württembergischen Merinolandschafe produzierten Wolle in einer Menge, die das Waschen, Kämmen, Verspinnen und Weben in großen Manufakturen ermöglichte. Die Wollverarbeitung wurde von einem dezentralen Hausgewerbe zu einer in Fabriken zentral organisierten Industrie.
Sinkende Schafbestände im 20. Jahrhundert
Der Wollbedarf der Fabriken konnte aber durch einheimische Schafe schon bald nicht mehr gestillt werden. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde bereits ein Großteil der in Deutschland verarbeiteten Wolle importiert. Sie stammte zu 55 % aus englischen Kolonien – also Australien, Neuseeland, Südafrika und Kanada – und zu 30 % aus Südamerika. Nur 7 % des inländischen Verbrauchs an Wolle wurde durch einheimische Wolle gedeckt.
Um 1900 gab es im Deutschen Reich etwa 9,96 Millionen Schafe (Woll-, Milch- und Fleischschafe zusammengenommen), 1913 gab es im Deutschen Reich noch etwa 5,5 Millionen Schafe.
1950 waren es auf dem Gebiet der BRD und der DDR zusammengenommen 2,7 Millionen Schafe, 1990 gab es 3,24 Millionen Schafe. Seitdem geht die Zahl kontinuierlich zurück – 2011 waren es noch 1,66 Millionen, heute gibt es etwa 1,52 Millionen Schafe in Deutschland.
Bis in die 1950er Jahre wurden Schafe vor allem im Hinblick auf ihren Wollertrag gezüchtet. Ein Kilo Wolle kostete in den 1950er Jahren 4,50 DM, etwa 2,30 €. Heute bekommt ein Schafzüchter je nach Qualität zwischen 0,50 € und 1,20 € pro Kilogramm Wolle, wobei ein Merinolandschaf bei einer Schur zwischen 5 bis 7 Kilo Wolle liefert. Bei Kosten für die Schur von etwa 3,80 € pro Schaf lohnt sich die Schafhaltung heutzutage kaum noch.
Wollprodukte aus einheimischer Schafwolle
Mittlerweile bemüht sich eine Reihe kleiner Firmen recht erfolgreich, Schafwolle von kleinen Herden und lokalen Schafrassen zu Textilien zu verarbeiten. Wenn man die Nachbarländer mit einbezieht, ist es also wieder möglich, Wollstoffe aus regionaler Produktion zu erwerben. Wir sprechen unter anderem über Nordwolle aus Rügen, Elbwolle aus dem Wendland und über Initiativen aus Österreich.
Wie ist das bei Dir? Hast du dich schon einmal dafür interessiert, ob in deiner Umgebung Schafwolle verarbeitet wird? Hast du schon einmal solche regionale Wolle oder gar daraus produzierte Stoffe gekauft?
Vor allem wenn du einen schafwollverarbeitenden Betrieb in deiner Nähe kennst, den wir noch nicht erwähnt haben, hinterlass uns bitte unten einen Kommentar.
Titelbild: eine Illustration aus: Natural history of the animal kingdom for the use of young people. Brighton :E. & J.B. Young and Co.,1889. (via flickr commons) https://www.flickr.com/photos/biodivlibrary/5974375533/
Im Gespräch erwähnte Links und Quellen:
- Betriebe, die regionale Wolle verarbeiten:
- Elbwolle verarbeitet Wolle aus dem Wendland zu Strickgarn, Teppichen und Decken
- Nordwolle aus Rügen stellt Outdoorbekleidung und Loden-Meterware her
- Der Lodenproduzent Steiner 1888 in der Obersteiermark verarbeitet zum Teil auch heimische Wolle. Hat die gesamte Produktionskette unter einem Dach.
- Huber Wolle produziert Schafswolle und hochwertige Wollprodukte im Lungau/Land Salzburg.
- Die Ötztaler Schafwollzentrum Regensburger ist einer der wenigen Wollwäscher. Sie verarbeiten tiroler Wolle zu Strickwolle, Filzmatten und Teppichen.
Quellen:
- Aktuelle Angaben zur Schafhaltung in Deutschland
- Wollkraut Heft 3/2022, S. 44-45: Tierisches Nebenprodukte-Recht: Man darf ungewaschene Rohwolle nicht direkt vom Schäfer kaufen.
- Sabine und die steirische Wolle: Jede Wolle hat ihren Zweck, jede Wolle ist für etwas gut
- Webermarkt in Haslach, Textiles Zentrum Haslach: Der Tweed vom Mühlviertler Waldschaft wird leider nicht mehr produziert.
Buchtipps:
- Eine unterhaltsame Kulturgeschichte des Hausschafs – Eckhard Fuhr: Schafe. Berlin 2017 (Naturkunden Nr. 31)
- Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Wolle im Mittelalter: Thomas Ertl, Bauern und Banker. Wirtschaft im Mittelalter. Darmstadt 2021.
- Zahlen und Fakten zur Wollproduktion und -verarbeitung Anfang des 20. Jahrhunderts: Marcel Boldorf, Rainer Hans (Hrsg.), Otto Goebel: Kriegsbewirtschaftung der Spinnstoffe. Drei Studien der wissenschaftlichen Kommission der Preußischen Kriegsministeriums und ein Kommentarband [1922], Berlin, Boston 2016
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