Harry Potter trägt Pavani (Podcast #019)

Aktualisiert am 13. Juli 2023.

Anita Pavani hat Ende der 1970er-Jahre einen Handel mit möglichst naturbelassenen Stoffen gegründet, der heute vorwiegend als internationaler Versandhandel tätig ist. Frau Pavani erzählt, wie sie mehr oder weniger zufällig zur Stoffhändlerin wurde, und in den letzten 45 Jahren viele eigene Projekte umgesetzt hat.

Wir unterhalten uns darüber, dass die Stoffqualität in den letzten Jahrzehnten rapide abgenommen hat, aber auch die Konsument:innen kaum mehr wissen, wie ein qualitativ hochwertiger Stoff aussieht und sich anfühlt.

Wenn du wissen möchtest, wieso Harry Potter „Pavani trägt“, und wie du zu mehr Qualitätsbewusstsein bei Stoffen kommst, dann hör dir diese Folge an.

Kapitelmarken aufklappen

  • 00:01:55 Wie der Stoffhandel entstand: „Ich kam zu der Stoffgeschichte wie die Jungfrau zum Kind“
  • 00:11:45 Kindheit und Jugend: „Ich war garantiert der bestgekleidete Hippie in ganz Stuttgart.“
  • 00:15:05 Stofflieferanten, traditionelle indische und afrikanische Stoffe
  • 00:20:55 Eigene Stoffprojekte: Pflanzenfärbungen, Wollstoffe weben lassen
  • 00:25:55 Konsumentinnen haben kein Qualitätsverständnis mehr
  • 00:32:00 Zertifikate kann sich nur die Großindustrie leisten.
  • 00:34:35 Lieferkettengesetz, Billig-Baumwolle aus China und Verbraucher-Verarschung bei chemischen Tests
  • 00:41:55 Nach welchen Kriterien nimmt Fr. Pavani Stoffe in ihren Katalog auf?
  • 00:45:10 regionale Stoffproduktion wiederbeleben, als Konsumentin kurze Wege bevorzugen
  • 00:57:04 Webereien im Mühlviertel/ Niederösterreich
  • 01:02:45 Wer sind Kund:innen? Stoffe gehen nach Hollywood!
  • 01:12:35 Wie bekommt man ein bisschen Qualitätsbewusstsein? In sich reinhorchen: Welcher Stoff passt zu mir? Welcher Stoff tut mir gut.
  • 01:25:35 Schlusswort

Shownotes/ Glossar aufklappen

Transkript aufklappen

Gabriele Brandhuber

Hallo Frau Pavani, herzlich willkommen! Wie schön, dass Sie sich Zeit für unser Gespräch nehmen.

Anita Pavani

Ja, ich freue mich auch. Vielen Dank, dass Sie das machen.

Gabriele Brandhuber

Ich finde es sehr spannend, dass es Ihre Firma ja schon so lange gibt. Sie haben ja Ende der 1970er-Jahre schon diesen Naturstoff-Handel und -Versand gegründet. Und Sie haben in unserem Vorgespräch gesagt: „Ich kam ja zu der Stoffgeschichte wie die Jungfrau zum Kind.“ Diese Geschichte würde ich jetzt sehr gerne von Ihnen hören.

Wie der Stoffhandel entstand

Anita Pavani

Es ist eine lange Geschichte. Also von daher…. Auf jeden Fall war das halt in den 70er-Jahren, Mitte der 70er-Jahre. Ich hatte in Gießen Psychologie studiert, dadurch kam ich nach Gießen. Geboren bin ich in Stuttgart. Und nach meinem letzten Studienversuch, die akademische Laufbahn einzuschlagen, die ist auch nichts geworden. Da habe ich dann endgültig gemerkt, das ist nichts für mich. Wo man lebendige Frösche bei lebendigem Leibe aufschneidet und dann Oszillographen festmacht, danach den armen Frosch in den Papierkorb pfeffert. Und überhaupt, Psychologie besteht in der Universität fast ausschließlich aus Statistik. Und Mathematik. Also das, was ich eigentlich wissen wollte, habe ich in keinem meiner verschiedenen Studien gefunden. Und wir waren damals in dieser Hippiebewegung sehr involviert. Und die ging dann nach Zeiten von Festivals, vielen Drogen usw. allmählich über: Jetzt machen wir mal was Gescheites! Und dann wollten wir unsere Radieschen selber anbauen. Und ich hatte zwei Kinder bekommen. Wir haben in einem Häuschen gewohnt, das ohne fließend Wasser und ohne Strom war. Dort ist auch meine Tochter geboren. Und irgendwann wollte ich halt den Kindern mal was Gescheites zum Anziehen nähen. Und in dieser Zeit gab es halt überall nur noch Dralon, Trevira, Nylon usw.. Also Leinen war jetzt, mit Ausnahme von diesem langweiligen Gminder Leinen, was man in der Schule schon hatte, war eigentlich von den Verkaufstischen völlig verschwunden. Und dann hörte ich von anderen Freaks, so nannten wir uns damals, dass es in Herbstein eine kleine Weberei gibt, in Vogelsberg, und die noch Leinen aus Vorkriegsbeständen hätten. Und da bin ich dann dahin, und die hatten tatsächlich Leinen aus Vorkriegsbeständen, unterschiedlichster Art. Also da war Uniformleinen dabei; da waren Steifleinen, die man in Anzüge reingemacht hat war da. Und die ganzen Hippies in der Gegend kauften das allmählich auf. Und da hatte ich dann die Idee, dass sie mir Kommissionsware geben, weil Geld hatte ich null, und ich das dann monatlich abrechne. Also jeden Meter, den wir verkaufen. Und wenn der Ballen zu Ende war, dann die Differenz. Weil es gibt ja immer Verschnitt. Und da haben sie sich darauf eingelassen und das haben wir gemacht. Und mein Hintergedanke war: Wenn das alles wirklich läuft und ich das verkaufen kann, dann könnten wir wieder neue Stoffe weben lassen. Und dass sie nicht völlig für immer verschwinden. Und so lief das dann auch. Also es hat sich ganz gut [entwickelt]/ Ein Freund von uns hatte so eine Undergroundzeitung, der hatte die erste Anzeige reingemacht. Und wir haben natürlich erstmal an Unseresgleichen verkauft. Damals gab es dann größere Produktionen von Tipis usw. Dafür haben wir dann die Stoffe geliefert, und handgemachte Musterkarten: mit Uhu aufgeklebte Stoffmuster, in handgeschriebenen Kuli-Angaben wie breit und was teuer.

Und irgendwann war eigentlich das Lager ausverkauft, und wir haben dann tatsächlich ganz tolle, viele neue Stoffe weben lassen. Und allmählich wurde das immer größer. Und ich fing an, jemand hat mir erzählt von „Wer liefert was?“ Das war ein ganz dickes Buch damals, wo alle Firmen, die es gab in Deutschland, aufgezeichnet waren. Unter anderem natürlich auch alle Webereien. Und die habe ich angeschrieben und bekam auch teilweise Antworten. Viele waren schon verschwunden, obwohl sie noch in dem Buch waren. Und bekamen Antworten von einigen: „Wir haben nur noch Konkursware.“ Und da war unter anderem die letzte Hanf AG, die es hierzulande gab, in Füssen, dabei. Und die Fein-Baumwollweberei in Ravensburg. Die ganz feine Mousselins und Voiles und Batiste und so was gemacht hat. Und von denen habe ich Konkursmasse bekommen, also Tausende von Meter, der Meter für eine Mark. Und ich, da ich überhaupt keine Ahnung hatte von Stoffen, habe die dann für zwei Mark plus Mehrwertsteuer weiterverkauft.

Irgendwann habe ich dann in einem großen Alternativfest, das damals immer zu Pfingsten in der Evangelischen Akademie Hof Geismar stattgefunden hat, habe ich einen Verkaufsstand gemacht. Und da kam ein älterer Herr, der da auch immer war, mit dem ich aber nie was zu tun hatte. Er ragte eben – er war ungefähr doppelt so alt als wir alle anderen. Und dann kam der an und fasste an: „Oh! Stoffe, mein Leben!“ und so. Und dann stellte sich raus, dass er sein Leben lang Einkäufer war bei Bleile. Bleile war eine ganz berühmte Textilfabrik in Stuttgart, die schon 1890 oder sowas gegründet wurde. Und die damals, in dieser Zeit, diese entsetzlichen Dralon-Strickhosen für ältere Damen hergestellt haben. Also für mich das textile Grauen in Person. Und der sagte: „Was!? Das ist ein echter Voll-Voile! Der hat in Kette und Schuss gezwirnte Fäden. Das ist ein ganz wertvolles Textil! Und das verkaufst du hier für 2 Mark plus Mehrwertsteuer? Und sowas ist über 20 Mark wert.“ Und von dem lernte ich dann so ein paar Grundbegriffe. Ich hatte wirklich keine Ahnung von Stoffen. Und der nahm mich dann mit zur Interstoff in Frankfurt. Das war damals die größte europäische Stoffmesse. Und er ist damals ausgestiegen aus seiner ganzen normalen Laufbahn, hat Frau und Kinder und Fabrik verlassen, und hat eine Schäferlehre angefangen. Und wir liefen dann auf der Interstoff ein: Ich im Afghan-Kleidchen und er im Schäfermantel und Rauschebart. Wir hatten unsere Möhrchen dabei und unsere Sonnenblumenkerne, die wir eingepackt hatten. Und nur weil er eben sein Leben lang Einkäufer bei Bleile war, wirklich eine der größten textilverarbeitenden Fabriken in Deutschland überhaupt, wurden wir überhaupt ernst genommen. Und ich fragte dann so nach naturbelassenen Naturfaserstoffen, und die guckten uns an, als hätten wir nicht mehr alle Tassen im Schrank. Jetzt wo man diese ganz tollen, neuen, wunderbaren Fasern hat, kommen wir mit dem alten Scheiß an. Also so dieser atavistische Rückschlag, der war eigentlich für die meisten Leute vollkommen unverständlich. Aber nichtsdestotrotz bekam ich dann hin und wieder mal so ein Angebot, mit einem Stoff, wie er vom Webstuhl kommt. Der ist natürlich so überhaupt gar nicht zu gebrauchen, weil das ist alles hart und steif. Ich lernte dann plötzlich ganz viel über Stoffe. Und in einem Antiquariat von einem Freund, der Bücher sammelte, der hat mir ein Musterhandbuch der Webwarenkunde, Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben, habe ich in seinem Antiquariat gekauft. Das war sozusagen meine Stoffbibel. Also es gab original Stoffmuster da drin, die beschrieben waren, und dann drunter wie der Stoff heißt. Und in diesem Buch standen alle Stoffarten drin: Wie sie gemacht werden. Was man dazu braucht. Wie man die einzelnen Materialien voneinander unterscheiden kann. Was für Maschinen für die Weberei, für die Strickerei, also die sogenannte Wirkerei wichtig sind. Und auch, was für Ausrüstungsprozesse aus einem Stoff. Wenn er vom Webstuhl kommt, ist er einfach voll mit Fadenschlichte, damit man das überhaupt verweben kann. Also bei Baumwolle kommt zum Beispiel Stärke drauf, und bei Wolle muss das Lanolin runtergewaschen werden, schon vor dem Spinnen. Weil durch das Lanolin die Maschinen verharzen würden. Aber man braucht Öl, um Wolle zu spinnen, damit es schön aneinander klebt. Und dann gießt man Mineralöle nach. Weil man weiß ja, wenn man Salatöl in die Nähmaschine kippt, dann verharzt sie und bewegt sich nicht mehr. Und diese Prozedur eben auch. Und das muss dann nach dem Weben wieder runtergewaschen werden. Und ja, das waren sie dann, meine Lernprozesse, die ich so durchlaufen habe.

Kindheit und Jugend: „Ich war garantiert der bestgekleidete Hippie in ganz Stuttgart.“

Und ich muss sagen, ein gewisses Faible für Stoffe hatte ich schon. Meine Großmutter war Schneiderin. Und da ich so ein Nachkriegskind bin, hat die alle unsere Klamotten genäht. Und meistens oder eigentlich immer aus aufgetrennten Sachen von Erwachsenen. Und da ich bis sechs Jahren bei meiner Großmutter war, habe ich dann immer mit ihren Stoffschnipseln gespielt. Und auf dem Dachboden war eine Kommode mit Schubladen, und da waren ihre alten Müsterchen drin und ihre Schnitte. Und ich durfte da auf keinen Fall drangehen, weil die Schubladen haben geklemmt und ich habe sie nicht mehr zugekriegt. Und dann sind natürlich die Mäuse rein und haben sich gemütliche Nestlein gemacht, mit den Stoffdingern. Aber bei jeder Gelegenheit habe ich mich da hochgeschlichen, weil ich das einfach so spannend fand, in dieser geheimnisvollen Schublade.

Und später in meinem Teenie-Alter war natürlich die Minirock-Zeit, und ich hatte endlos Querelen mit der Oma wegen der Rocklänge. Und dann fing ich an, selber zu nähen. Und ich habe eigentlich da auch ein ziemliches Geschick. Also erst habe ich natürlich Unterricht von der Oma bekommen, und sobald da irgendein kleines Fitzelchen nicht gestimmt hatte, musste ich alles wieder aufmachen. Irgendwann habe ich dann die Sachen einfach nur an mich dran drapiert, festgesteckt und losgenäht. Und da kamen meine tollsten, kreativsten Teile zustande. Auf jeden Fall, wir haben in so einem größeren Block gewohnt, und oben im Haus wohnte ein Mann mit einer großen blonden Frau, und dem seine Schwester war Schauspielerin. Und die war mit einem reichen Schweizer verheiratet, die dann immer mit ihrem Rambler Station Wagon – alle Schweizer fuhren damals Straßenkreuzer. (lacht) Neulich habe ich das einer jungen Frau erzählt und sie sagte: „Was sind denn Straßenkreuzer?“ Ich sagte: „Musste mal gucken in so alten Filmen, da sind diese riesigen Autos mit den Heckflossen.“ Auf jeden Fall hatte die, die war wie gesagt Schauspielerin, und klein und dunkelhaarig, und hatte eigentlich nur Designerklamotten. Also wirklich das Feinste von Balmain, Paco Rabanne, Dior, Chanel usw.. Und die brachte immer ihre abgetragenen Klamotten zu ihrem Bruder, und dessen große blonde Frau passte da überhaupt gar nicht rein. Und der hat die alle an mich weitergegeben. Und ich habe dann schon mit 17, 18, oder sogar schon mit 16, habe ich dann wirklich Designerklamotten gehabt: aus Brokat, aus Spitze, aus handbestickter Seide, aus Chiffon, und weiß der Kuckuck was! Also ich war garantiert der bestgekleidete Hippie in ganz Stuttgart. Auf jeden Fall habe ich da schon sehr früh Erfahrung bekommen, was richtig tolle Stoffe sind. Also wirklich Goldbrokate, und unglaubliche Dinger! Und Spitzen mit Schwanenpelzen verbrämt, und so Zeug war da dabei. Also wirklich vom Aller-, Aller-, Allerfeinsten! Ich habe natürlich alles einen halben Meter abgeschnitten und einen halben Meter enger gemacht, und dann war das todschick. Also das ist so meine Stoff-Vorgeschichte.

Stofflieferanten, traditionelle indische und afrikanische Stoffe

Und zurück zu der Firma. Ja, es hat sich eigentlich so entwickelt. Sie fragen dann, wie ich zu meinen Lieferanten gekommen bin. Ganz viel ist mir einfach zugefallen. Genauso wie diese ganze Geschichte. Und ich habe halt eigentlich immer geguckt: Was begegnet mir? Was ist da? Was bietet sich mir an? Und hab versucht, darauf einzugehen und was draus zu machen. Ich glaube, das ist so ein besonderes Talent, was ich mein ganzes Leben irgendwie… mir eigentlich immer geholfen hat, weiterzukommen und die Sachen zu finden, noch bevor ich auf die Idee kam, sie zu suchen. Ja, und da hat sich dann einfach ganz viel entwickelt. Und ich bekam dann Verbindung mit irgendwelchen Indern, die die unglaublich schönsten Seidenstoffe machten. Oder ich habe mich halt dann auch mit Stoffgeschichte beschäftigt, oder bin über Messen gegangen. Und damals die Interstoff in Frankfurt, die war auch noch so interessant, dass da ganz viele kleine Firmen auch kommen konnten: aus Guatemala, aus Afrika usw. Das ist natürlich heute überhaupt gar nicht mehr möglich. Ja, damals war das halt für die noch erschwinglich. Und ich kam halt in Kontakt mit wirklich wunderschönen Textilkulturstoffen aus Afrika, Schlamm-Malereien aus Burkina, und den Adinkrastoffen aus [Nigeria]… oder Korhogos [von der Elfenbeinküste] und weiß der Kuckuck was alles. Oder indische Stoffe, die hatten ja eine unglaubliche Vielfalt an Textilkultur, gerade in Indien, die einfach so fantastisch war. Da können wir heute nur noch von träumen. Egal ob das jetzt Blockdrucke sind, oder Ikats, oder „tie and dyes“ [Batik-Technik, „abbinden und färben“], oder Djamawa Stoffe. Also wunder-, wunder-, wunderschöne Stoffe. Und das ist eigentlich heute weitestgehend verschwunden.

Gabriele Brandhuber

Ich kenne eine Firma bzw. eine Händlerin, die indische Stoffe, Blockprints und so, direkt aus Indien bezieht. Karlotta Pink, die das in der Schweiz gegründet hat, und dann nach Deutschland gegangen ist, weil es mit den Versandkosten einfacher war. Waren Sie denn auch mal in Indien? Haben Sie diese Hersteller dort mal besucht?

Anita Pavani

Ja, ja, natürlich. Wir haben auch eigene Drucke entwickelt und dann in Indien herstellen lassen. Und wir machen das teilweise heute auch noch. Wobei halt wirklich sehr vieles ist verschwunden, oder manche Sachen laufen dann halt nicht genügend. Dann schmeißt man sie wieder raus. Das ist halt so eine Sache: viele Sachen gibt es nicht mehr. Zum Beispiel Cutworks, das war eigentlich ursprünglich handgemacht, gibt es inzwischen nur noch maschinengemacht. In vielen Sachen ist die Qualität so schlecht geworden oder unerschwinglich, zum Beispiel Seiden oder Khadi Stoffe, das sind handgewebte Stoffe aus handgesponnenen Baumwollen. Und das hat sich alles… Ist alles wahnsinnig schwierig. Man findet diese Stoffe kaum noch. Wenn, dann bekommt man sie oft in ungenügender Qualität. Indien ist sehr schwierig. Und ich habe halt auch schon erlebt, dass mir Stoffe als Seide verkauft wurden und hinterher hat sich dann rausgestellt, es war reines Plastik oder Viskose. Also das ist leider inzwischen der Fall. Und früher bekam man einfach die schönsten Stoffe überhaupt aus Indien.

Und diese ganze Textilkultur in Afrika ist auch schon inzwischen fast völlig verschwunden. Adire Stoffe zum Beispiel, aus Nigeria: Die sind so schlecht geworden, dass man die gar nicht mehr kaufen kann. Und wir haben auch viele Sachen eben machen lassen, auch aus Guatemala ganz tolle Ikats und so. Und wir fingen dann irgendwann in den 90erJahren an, Modellhefte zu machen. Also wo wir dann in Zusammenarbeit mit einer Designerin eigene Schnitte aus unseren Stoffen machen ließen und die dann angeboten haben. Und das war natürlich wirklich toll. Das haben wir dreimal gemacht, und dann haben wir es wieder gelassen, weil es einfach ein Wahnsinnsaufwand ist.

Gabriele Brandhuber

Oja, Schnitterstellung.

Anita Pavani

Und damals war ja noch nicht diese digitale Geschichte. Man musste die Fotos entwickeln, und dann konnte man teilweise wieder von vorne anfangen, weil die Maskenbildnerin unserem schwarzen Model einen glitzernden Lippenstift gegeben hat, und alle Fotos waren unbrauchbar. Weil sie so einen fürchterlichen Mund hatte – ein ganz tolles Model war! Die war wunderschön und war auch sehr begabt, aber man konnte alle Fotos wegschmeißen und wieder von vorne anfangen. Und dann natürlich musste man auch immer gucken: Wer macht die Schnitte?  Und dann sind die Stoffe oft nicht mehr lieferbar. Also es war einfach eine sehr komplizierte Angelegenheit, was wir dann wieder aufgegeben haben, und uns dann halt wirklich nur fokussiert auf den Stoffversand.

Gabriele Brandhuber

Das klingt aber so, als ob sich das immer wieder entwickelt hat, und was dazugekommen ist, und sie was ausprobiert haben. Und wieder was Neues.

Eigene Stoffprojekte: Pflanzenfärbungen, Wollstoffe weben lassen

Anita Pavani

Genau. So ist es auch. Jaja, ich habe ganz viele Sachen ausprobiert. Zum Beispiel haben wir viele Jahre Pflanzenfärbungen gemacht auf Industriemaschinen. Damals habe ich auch über das „Wer liefert was?“ in ganz Deutschland nach einem Ausrüster gesucht, der uns das machen lässt. Weil ich wollte große Mengen machen, auf Industriemaschinen. Und einen Einzigen haben wir gefunden! Das war damals das Dreiländereck, ganz im südwestlichsten Zipfel in Wehr, das ist bei Basel. Und die hatten vier alte Haspelkufen. Das ist eine Maschine, da ist unten quasi eine große Küpe und oben ist eine Walze. Und dann schmeißt man da 100 Meter Stoff rein, und zieht es über die Walze und näht den Anfang und das Ende zusammen, sodass es ein Endlosstück ist. Die Walze dreht sich und zieht den Stoff [auf einer Seite] aus der Küpe raus und auf der anderen Seite wieder rein. Und dadurch passiert dann der Färbeprozess. Und wir haben halt die Farben da reingeschmissen und das mit dem Stoff gekocht. Und das war eine sehr abenteuerliche, auch eine sehr anstrengende Geschichte. Weil wir mussten schnell sein, weil wir zum Schluss alles gleichzeitig trocknen wollten. Und da kann man die nur ein paar Tage nass liegen lassen, sonst kriegen sie Stockflecken. Und das war eine Arbeit, die hat einerseits Spaß gemacht. Und mein Freund, mit dem ich das gemacht habe, wollte auf keinen Fall ins Hotel. Und dann haben wir dann immer im Bus, im Wald geschlafen. Also es war schon eine sehr abenteuerliche Angelegenheit, bis ich irgendwann gestreikt habe: „Und jetzt gehe ich ins Hotel!“

Einmal hatten wir einen Großauftrag für die Firma Hess. Und das Problem war: Wir mussten den Stoff neu weben lassen. Und natürlich ist die Wolle von jedem Schäfchen anders, und so auch von jeder Neuproduktion. Und der Stoff lief stärker ein als wie der Zuschneider ihn gebraucht hätte. Es sollte ein Herren Sakko werden. Und wir haben das auf einem Spannrahmen dann ausgespannt, dass er breit genug ist, dass er den halbwegs ökonomisch verarbeiten konnte. Das war ein riesiger Auftrag damals, und ich habe Blut und Wasser geschwitzt im Wald, das weiß ich noch. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Und das war einfach eine ganz schwierige Geschichte. Und Hess hat dann reklamiert, weil der Stoff wieder eingelaufen ist, wenn man ihn gewaschen hat. Aber bitte, wer wäscht denn ein Herren Sakko? Also na ja. Und solche Geschichten gab es dann halt auch. Und ja, wir haben viel ausprobiert. Wir haben viele Experimente gemacht, viele eigene Stoffe auch produzieren lassen. Und so ist es bis heute. [Eine schöne Schlussformel, die das Ende einer Geschichte anzeigt :-)]

Gabriele Brandhuber

Schön. Ich habe ja von ihnen vor kurzem einen Merino-Strick gekauft. Also non-superwash, einfach einen unbehandelten Merino-Strick, also schon gefärbt, aber von italienischen Firmen kommt der. Wie sind Sie in Kooperation mit diesen italienischen Firmen? Ist das eine Stickerei, die dann direkt für Sie produziert? Oder hat die Firma Ihr Firmenprogramm, und Sie wählen dann aus: Das wollen wir haben?

Anita Pavani

Sowohl als auch. Also es sind die Sachen die, die in der Produktion haben. Oder wir geben Impulse: Wir wollen jetzt mal das und das und das. Und dann „macht mal“! Jetzt machen wir zum Beispiel mit einem Italiener so bunte Stricks, die so jacquardmäßig sind. Da machen wir dann auch mal ein Design und geben ihm: Er soll das mal so machen, oder dies machen, oder jenes. Oder ich finde irgendein schönes Bild, und finde das spannend und schicke das dann hin. Das läuft auf ganz verschiedene Arten und Ebenen. Oder ich gebe auch viele Impulse rein und nachher sehe ich meinen Stoff an jeder Ecke. Das ist auch schon vorgekommen.

Gabriele Brandhuber

Sie haben schon ein bisschen angesprochen oder anklingen lassen, dass viele der ganz tollen Stoffe verschwunden sind, und dass viele der handgewebten oder der hochwertigen Qualitäten einfach nicht mehr zu kriegen sind. Aus Indien, oder ich denke, auch im deutschsprachigen Raum haben ja ganz viele Textilfabriken zugesperrt. Vielleicht noch einmal zusammenfassend: Wie hat sich denn aus Ihrer Sicht die Textilbranche in den letzten 40 Jahren entwickelt, seit Sie da involviert sind?

Konsumentinnen haben kein Qualitätsverständnis mehr

Anita Pavani

Hat sich total verändert. Die Vielfalt ist verloren. Es gibt viele hochpreisige, wie der eingangs schon erwähnte Voll-Voile: Es wird ganz viel als Voile verkauft, was aber überhaupt kein Voile ist. Also man kriegt jetzt an jedem Eck, bei IKEA, überall kriegt man Voile für einen Appel und ein Ei. Aber Voile besitzt eigentlich gezwirnte Fäden, am besten Vollvoile, in Kette und Schuss. Das bewirkt, dass der Stoff zwar zart und durchscheinend ist, aber gleichzeitig schwer fällt. Also ideal für Vorhänge. Und sowas wird überhaupt nicht mehr produziert, weil ein Voile ist natürlich der doppelte Zeitaufwand. Wenn ein Garn schon mal gezwirnt werden muss, dauert das natürlich doppelt so lang, als wie wenn man ein einfaches Garn nimmt. Und wenn man in Kette und Schuss – was natürlich den optimalen Voile geben würde – gezwirnte der Garne nimmt, dann ist der Preis einfach hoch. Und der Endverbraucher kapiert das nicht. Und der kann auch gar keinen Voile, der halt sonstwo verkauft wird, er kann den Stoff eigentlich auch gar nicht verstehen. Also die Verbraucher heutzutage haben eigentlich überhaupt kein Qualitätsbewusstsein mehr, schon allein deshalb, weil sie keinen Handarbeitsunterricht mehr haben. Und Textilien werden heute nach Marke bezahlt. Der, der die teuerste Werbung sich leisten kann… Was weiß ich. Das sieht man ja schon in der Turnschuhbranche. Also ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie T-Shirts in Indien bedruckt werden für zwei Mark Fuffzig, einschließlich T-Shirt-Druck, und hierzulande dann für 70 verkauft werden und so. So läuft das heute. Material ist wurscht. Der Preis, spielt eine Rolle und fertig. Und dadurch kommen halt auch diese riesigen Textilberge, Müllberge zustande, weil das Zeug alles nichts taugt. Je billiger… Man kann es nicht immer sagen: „Je billiger, desto schlechter.“ Es stimmt nicht immer. Es gibt auch teure Sachen, die nach einmal Waschen aussehen wie ein Putzlappen. Aber es gibt eigentlich überhaupt kein Qualitätsverständnis mehr. Und es ist sehr, sehr viel verloren gegangen. Es sind auch neue Stoffe entwickelt worden, zum Beispiel Walks gab es früher nicht, und das ist eigentlich eine ganz geniale, relativ neue Textilerfindung, Stofferfindung. Weil das ist ein Gestrick. Also Walk ist ein gestrickter Stoff, der dann gefilzt wird. Dadurch kann man den einfach offenkantig verarbeiten. Das bedeutet, man muss ihn weder säumen, noch die Nähte versäubern, was natürlich ungeheuer viel Zeit spart und was auch witzige Designs zulässt, wenn man einfach die Kanten abschneiden kann. Das ist eine große Entwicklung. Oder auch in der Art, diese Musterwalks, wo man diese Walk-Geschichte dann mit mehreren Farben machen kann. Oft ist dann aber in der Seele [der innere Garnkern] ein Plastikstoff, und wir lassen den dann extra herstellen mit innen drin einer KBA-Baumwolle [KBA=kontrolliert biologischer Anbau]. Also auf jedem holländischen Stoffmarkt gibt es diese Walks auch relativ preisgünstig. Die haben aber dann immer im Inhalt 30 % Synthetik. Und es gibt halt auch sehr viele Materialien, die in China gemacht werden, Stoffimitate, die dann halt als Weißgottwas verkauft werden. Aber in Wirklichkeit ist es halt billige Ruckzuck-Ware. Also es gibt zum Beispiel ganz billiges chinesisches Leinen, was hier auch in vielen Versendern oder Märkten ganz billig verkauft wird.

Gabriele Brandhuber

Oja. Um sieben Euro der Laufmeter.

Anita Pavani

Ja, genau. Aber das ist so gut wie immer Ramie. Aber da steht dann immer Leinen dran. Also auch Ramie ist eine sehr, sehr langstapelige Faser, die leicht zu verspinnen geht. Ist eigentlich okay, aber es ist keine ehrliche Deklaration. Und es guckt auch kein Mensch mehr drauf, ob Stoffe ehrlich deklariert werden. Es gibt zwar ein sogenanntes Textilkennzeichnungsgesetz, aber es wird wirklich wenig kontrolliert, und da ist auch wenig wirklich Wahres dabei. Und wie gesagt, die Qualität bestimmt heutzutage das Label, also jetzt die Fertigtextilien. Oder eben in der Biobranche, Sie haben mich nach der Innatex gefragt: Ich habe da einmal einen Stoffstand gemacht, ist schon viele Jahre her, gerade in der Zeit, als ich Pflanzenfärbung gemacht habe. Und die Leute haben mich alle nach Zertifikaten gefragt. Eben auch aufgrund von eigenem Wissen über Qualitäten und so weiter glaubt man dann an die Zertifikate. In dem üblichen Massenmarkt, glaubt man an das Label. Aber man hat eigentlich heutzutage kaum mehr Ahnung von Materialien, von Wert, von Qualität und so weiter.

Gabriele Brandhuber

Ja eine gute Bekannte von mir spricht immer von „textilen Analphabeten“.

Zertifikate kann sich nur die Großindustrie leisten.

Anita Pavani

Genau! Vollkommen richtig. Und eben, wie gesagt, meine Innatex-Erfahrung ist: Das ist ein Markt für Läden und so, wo eben Fertigtextilien, Bekleidung, Schals, Tücher, Schuhe, Schmuck usw. verkauft wird. Wo die Läden sich eindecken können. Und da gibt es auch schöne Bekleidungsfirmen dabei. Aber es gibt so gut wie keine Stoffe. Und wie gesagt, als ich da selber Mal einen Stand machte, bestimmt 80 % der Leute haben mich dauernd nach Zertifikaten gefragt. Dabei ist also diese ganze GOTS-Geschichte [Global Organic Textile Standard] ist so angelegt: Erstens kostet es Geld. Man muss dann in den Verein eintreten, man hat einmal im Jahr eine Kontrolle. Es ist bei Textilien ja viel, viel komplizierter, der Ablauf, als zum Beispiel bei Lebensmitteln. Da baut ein Bauer Kaffee an und dann ist das Produkt fertig. Textilien gehen ja über ganz viele Stationen: vom Säen, das Saatgut, bis zur Ernte. Dann der Verkauf der Faser. Und jeder einzelne/ Und danach zur Spinnerei, und dann erst zur Weberei, und dann zum Ausrüster, und dann zu was weiß ich. Dazwischen immer wieder Händler. Und jeder einzelne Schritt muss zertifiziert werden. Sobald irgendein Händler dazwischen war, kann der Stoff nicht mehr als GOTS verkauft werden, wenn der nicht zertifiziert ist.

Gabriele Brandhuber

Weil die Lieferkette durchbrochen ist, quasi. Weil man die Lieferkette nicht nachvollziehen kann.

Anita Pavani

Richtig! Und das lohnt sich eigentlich/ Das ist eigentlich eine Zertifizierung, die für die Großindustrie gemacht wird, weil dieses ganze Prozedere, das lohnt sich nur in riesigen Mengen. So sieht es nämlich aus. Und richtig wertvolle Stoffe, wie zum Beispiel unser absolut biologischster Stoff, den wir haben, unser Brennnesselstoff. Oder Pflanzenfärbungen, oder handgemachte Khadis, oder handgewebte Weißderkuckuckwas. Das kann alles nicht zertifiziert werden! Weil jeder einzelne Weber, jeder einzelne Handspinner bräuchte ein Zertifikat. Das können sich die niemals leisten! Das ist teuer, das ist wirklich für die Großindustrie konzipiert. Und ein kleiner Weber, der kann den schönsten biologischen Stoff machen, der kriegt niemals so ein [Zertifikat]. Und das ist genau das Problem, was wir heute haben, dass die Leute wirklich nicht mehr eine Ahnung haben von Textilien, nicht mehr eine Qualität, eine gute von einer schlechten unterscheiden können. Und von daher glauben sie halt entweder an Zertifikate oder an Labels.

Gabriele Brandhuber

Ja, weil man sich an irgendwas festhalten möchte. Es gibt ja in Deutschland und jetzt auch in Österreich so Initiativen, die ein Lieferkettengesetz auf den Weg bringen wollen, auch bei Textilien. Ich habe mich jetzt noch zu wenig eingelesen, aber ich kenne eine Juristin, die sich bereiterklärt hat, in einer der nächsten Podcastfolgen zu Gast zu sein, und die darüber was sagen will. Haben Sie sich schon mit diesen Lieferketten beschäftigt?

Lieferkettengesetz, Billig-Baumwolle aus China und Verbraucher-Verarschung bei chemischen Tests

Anita Pavani

Nö, überhaupt nicht, muss ich gestehen. Ich bin ja auch in letzter Zeit etwas raus. Ich bin ja schon um Einiges über 70. Und habe mich jetzt in letzter Zeit sehr auf Gartenbau fokussiert. Das Geschäft managt weitestgehend mein Sohn. Und natürlich bin ich immer noch peripher zur Stelle, wenn ich gebraucht werde. Ich mache immer noch viel Assistenz bei Entscheidungsfragen, und im Einkauf bin ich noch relativ. Aber das Lieferkettengesetz, damit habe ich mich noch nicht beschäftigt. Was hat das für einen Inhalt?

Gabriele Brandhuber

Alles gut. Naja, es geht darum, dass man – ähnlich wie bei Lebensmitteln –  auch die Textilien nachvollziehbar machen soll. Bzw. dass die Firmen dazu verpflichtet werden, wirklich darauf zu achten, wo die Rohmaterialien herkommen. Also zum Beispiel ein klassischer Fall ist diese billigste Baumwolle aus China, aus Gegenden, wo Zwangsarbeit eingesetzt wird, um die zu… Ich habe jetzt den Namen der Provinz vergessen. Es gibt eine Provinz in China, da kommt 90 % der Baumwolle her, der chinesischen Baumwolle. Und die ist bekannt dafür, dass es dort Arbeitslager gibt und Gefängnisse, in die Leute willkürlich reingesteckt werden, die dann auf den Feldern arbeiten müssen. Und ich habe gerade vor kurzem eine Dokumentation gesehen von „Str+F“ – das ist ein Kanal auf YouTube, der ist ich glaube vom SWR oder von einem deutschen Fernsehen gesponsert oder gemacht – die jetzt über chemische Analysen der fertigen Textilien feststellen können, ob da Baumwolle aus dieser chinesischen Provinz drinnen ist oder nicht.

Anita Pavani

Im Ernst? Das halte ich für ein Gerücht, ehrlich gesagt.

Gabriele Brandhuber

Also die haben gesagt, sie haben es über chemische Analysen [festgestellt]. Die haben sich Rohbaumwolle aus diesen Gegenden besorgt. Oder besorgen lassen. Über verschiedenste Kontakte in China. Und haben das dann in einem Labor in Deutschland untersuchen lassen. Einerseits die Rohbaumwolle, und andererseits Textilien eingekauft, einfach im Markt, oder in den Läden. Und haben dann über die chemischen Analysen bestimmen können durch ich weiß jetzt nicht genau welche Inhaltsstoffe, dass in diesen Kleidungsstücken tatsächlich Baumwolle aus dieser chinesischen Provinz drinnen ist, auch wenn die Firma sagt, oder das Label sagt: Nein, haben wir nicht. Und dieses Lieferketten Gesetz soll –  ich bin jetzt auch noch zu wenig eingearbeitet. Aber das kommt jetzt, weil ich mich jetzt dann einlese – soll eben bewirken, dass die Firmen offenlegen müssen, woher sie ihre Rohstoffe bezogen haben, und die Rohstoffhändler offenlegen müssen, woher usw.. Also es ist im Grunde eine Erweiterung dieses GOTS-Labels, halt jetzt ohne diesen Öko Hintergrund, sondern einfach damit man nachvollziehen kann: Ist gewachsen dort. Wurde versponnen da. Wurde gefärbt da. Wurde verwebt oder verstrickt da. Wurde verarbeitet hier, und so weiter. Das soll dieses Lieferkettengesetz jetzt, also quasi die Deutschen oder die europäischen Hersteller von Textilien in die Pflicht nehmen, ganz genau hinzuschauen: Woher kommen denn die Rohmaterialien für die Produkte, die wir hier produzieren?

Anita Pavani

Ja, interessanter Gedanke, aber halte ich praktisch nicht für nachvollziehbar. Weil das würde das alles so wahnsinnig verteuern. Das ist genau das Problem.

Gabriele Brandhuber

Und das ist genau das, was Sie gesagt haben. Und dazwischen gibt es Händler. Oder auch Biobaumwolle, die vielleicht bio angebaut ist sogar, aber dann wieder konventionell verarbeitet wurde.

Anita Pavani

Ich meine, die ganzen VWs werden eben auch dort zum Beispiel/ Die chinesische Produktion von VW findet auch in diesen Arealen statt. Um da möglichst billig die Autos zu produzieren. Wie heißt denn noch mal dieser unterdrückte Volksstamm da in China?

Gabriele Brandhuber

Die Uiguren.

Anita Pavani

Ja genau. Und in diesen Arealen wird eben auch für VW produziert. Das weiß auch kein Mensch. Und ich halte das also nicht praktisch für… Auch diese Sache mit den Rückstandskontrollen. Das ist auch so eine Verarschung der Verbraucher. Weil es gerade in der Textilbranche, da können Tausende von Chemikalien eingesetzt werden. Nicht nur beim Anbau, sondern bei der Ausrüstung, in jeder Stufe der Produktion. Und man kann einfach nur ganz gezielt sagen: Okay, testet gegen das, gegen das. Jede Chemikalie muss einzeln getestet werden. Es kann nie – und deshalb ist dieses „rückstandskontrolliert“ so ein irreführender Begriff, weil der Endverbraucher denkt dann: Da sind keine Rückstände drin. Aber schon allein, wenn ich gegen eine Chemikalie [getestet habe], von der ich von vornherein weiß, die ist nicht drin, kann ich den Stoff als rückstandskontrolliert verkaufen. Weil ich kann unmöglich gegen all diese Chemikalien, die in der Textilausrüstung zum Beispiel zum Einsatz kommen, ein Textil testen. Das ist komplett unmöglich. Kann kein Mensch bezahlen. Jeder einzelne Test kostet Geld. Und jedem einzelnen Test muss man genau vorgeben, wogegen, wofür getestet wird. Und solche Sachen. Letzten Endes ist es Verbraucherverarschung, mit Verlaub. Und da wird auch leider Gottes in der Bio-Textilbranche auch viel mit gearbeitet, und das ist nicht in Ordnung.

Gabriele Brandhuber

Also wenn ich Ihnen jetzt so zuhöre, dann kommt wieder dieses Hilflosigkeitsgefühl bei mir ein bisschen auf. Wie soll ich denn als Konsumentin… Nämlich als Konsumentin von Stoffen, in meinem Fall, weil ich nähe jetzt seit sechs oder sieben Jahren meine gesamte Kleidung selber.  Shoppen habe ich noch nie gemocht, vor allem, weil ich nie das wirklich bekommen habe, was ich mir vorgestellt habe. Also habe ich angefangen, selber zu nähen. Und an Läden wie Ihrem schätze ich halt, dass ich… Ich schätze daran, dass sie für mich als Konsumentin die Vorauswahl an guten Stoffen treffen. Das kann ich jetzt auch nicht wirklich nachvollziehen, weil eben diese Lieferketten so komplex sind. Und auch wenn ich jetzt den Merinostrick habe, der mulesing-frei ist. Ich habe dann auch nachgefragt, Ihre Angestellte, also die Frau Schmidt hat mir zurückgeschrieben, dass sie halt zumindest wissen, in welcher italienischen Stickerei er verstrickt worden ist. Und dass die italienische Stickerei, sagt dass das Material mulesing-frei ist. Und irgendwie muss ich darauf vertrauen, weil ich kann es nicht wirklich nachvollziehen.

Anita Pavani

Ja. Wir können natürlich genauso wenig wie Sie jeden Schritt nachvollziehen. Wir haben natürlich persönliche Verbindungen zu denen. Sie fragen in einer Ihre Fragen, nach welchen Kriterien wir Stoffe auswählen.

Gabriele Brandhuber

Ja, genau. Das wäre jetzt meine nächste Frage.

Nach welchen Kriterien nimmt Fr. Pavani Stoffe in ihren Katalog auf?

Anita Pavani

Also da habe ich geschrieben: Die Stoffe müssen mich ansprechen, müssen mir gefallen, und die Leute auch, die sie verkaufen. Das ist schon mal das Erste. Dann habe ich natürlich 45 Jahre Erfahrung mit Textilien. Ich hab eine gute Intuition, schon immer gehabt, und ich spür einfach auch einen Stoff. Schon allein von seiner – ich sag mal „Aura“, oder so. Es gibt niemals einheitliche Kriterien. Es gibt auch mal einen Stoff, wo ich sage: „Der ist wunderschön! Den muss ich haben!“ Und dann sind 10% Synthetik drin, aber er ist so wunderbar. Die deklariere ich dann natürlich auch. Also man kann da keine einheitlichen Qualitätskriterien… Oder ein Stoff hat einen wunderschönen Druck. Drucke sind auch so eine Sache. Natürlich es gibt diese Digitaldrucke, es gibt Rotationsdrucke. Digitaldrucke sind viel schöner und vielfältiger, können in kleinen Mengen auch schon gemacht werden, aber sind natürlich viel teurer als Rotationsdrucke. Und allein schon einen hochwertigen Druck zu finden ist ein Problem. Und wenn man dann irgendwie noch einen Druck finden will, der auf einem 100 % superguten Material ist, das ist so gut wie unmöglich. Es gibt immer unterschiedliche Kriterien. Es gibt vielerlei Kriterien. Aber keiner ist wirklich hundertfuffzigprozentig. Den Zahn muss ich Ihnen einfach ziehen. Und wir verkaufen in erster Linie europäische Stoffe, die in Europa hergestellt werden. Ich muss mich drauf verlassen, wenn der sagt: „Das ist südamerikanische Wolle“. Da gibt es kein Mulesing. Ich kann auch sagen: „Okay, zeig mir die Wolle. Von welcher Spinnerei ist das?“ Das macht der auch. Dann habe ich eine Farbkarte von der Spinnerei, und da steht dann drauf „mulesingfrei“. Ich kann aber nicht jetzt irgendwie… Die kaufen natürlich auch die Wolle wieder in riesigen Mengen auf irgendwelchen Wollbörsen und so Zeug. Ja, und da kann ich unmöglich/ also manche Leute haben da so illusorische Vorstellungen, dass wir jedes Schäfchen beim Namen kennen, wovon die Wolle jetzt ist. Das ist vollkommen unmöglich! Da müssen die Leute ein Schäfchen sich in den Garten stellen, und das scheren, und davon spinnen. So ist es! Und viele Leute wollen einfach das nicht glauben, dass das nicht geht. Also die eierlegende Wollmilchsau gibt’s halt nicht, so ist es nunmal. Vielleicht kriegen wir das mit vielen Gen- Experimenten in Zukunft irgendwann mal hin. Aber im Moment sind wir noch nicht so weit.

regionale Stoffproduktion wiederbeleben, als Konsumentin kurze Wege bevorzugen

Gabriele Brandhuber

Ja, wenn man jetzt im Stoffhandel ist, und wenn man Stoffe in großem Maßstab produziert, und die in Mengen verkauft, dann wird das nicht möglich sein. Aber es gibt ja/ In den letzten Jahren sind einige Initiativen hochgepoppt, hier und da und dort in Europa. Es gibt die Elbwolle, die, die von den Schafen, die am Elbdamm grasen, ihre Stoffe herstellen lassen. Und wo man dann wirklich sagen kann: Es ist so komplett in Europa produziert, und sie haben wirklich jeden einzelnen Produktionsschritt im Auge, dass da halt dann wirklich der bessere Stoff rauskommt. Halt nicht in solchen Mengen, und auch zu Preisen, wie sie halt dann gehören, wenn das Ding in Europa gewachsen, gefärbt und hergestellt wurde.

Anita Pavani

Richtig! Genau! Und da müssen die Leute am besten direkt einkaufen. Weil da muss man den Weg so kurz wie möglich machen. Es gab früher, zu meinen Anfängen, habe ich noch ganz viel Wolle aus England eingekauft. Oder sagen wir mal nicht den Anfängen, sondern so in der Mitte. Es gab in England ganze Webereien, die haben nur Wolle aus dem/ zum Beispiel gab es in England ein so genanntes „Jacob Sheep“, das hatte vier Hörner und hatte ein geflecktes Fell. Und das Fell wurde handverlesen, hier die braune, die weiße Wolle, und dann wurde das eben wieder versponnen zu braunem Stoff. Aber die Leute wollen Farbe, die kaufen das dann nicht. Ist ja auch immer so die Frage: Was kann man verkaufen? Die Spezialisten, die jetzt wirklich naturbelassene Elbschaf-Wolle haben wollen, die sind so gering, dass man das gar nicht in größeren Mengen produzieren kann. Ich habe ganz in meinen Anfängen, in meinen ganz, ganz frühen Anfängen, habe ich die Calwer Deckenfabrik, die inzwischen auch schon lange nicht mehr existiert, dazu überredet, mir einen Teddyplüsch zu machen aus naturbrauner Schurwolle. Aber im Laufe der ganzen Jahre ist ja die die deutsche Wollverwertung irgendwie eingegangen, und es gibt überhaupt keine deutsche Wollverwertung mehr, schon viele Jahre übrigens nicht. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass: Der Verbraucher will nur Merinowolle, weil Wolle kratzt ja so entsetzlich. Und die Deutschen, die Hiesigen, die Schäfer, die schmeißen die Wolle weg, oder verkaufen sie tütenweise. Man hat das jetzt als Mulchmaterial entdeckt oder schmeißt es in den Komposthaufen rein. Das ist natürlich auch eine Geschichte, die letzten Endes von dem Verbraucher abhängt. Und ich hatte einmal auch in den Zeiten, die ich Pflanzenfärbung gemacht habe: Es gibt einfach zu wenig Leute, die das wertschätzen. Das ist das Problem! Und von daher ist der Markt immer noch klein, und man muss gucken: Was ist möglich? Was kann man so gestalten, dass es noch gekauft wird? Wo ist der Preis noch machbar?

Wir haben auch mal mit so einer deutschen Schafhalterin über das Mulesing uns unterhalten. Und ich habe mich da auch sehr mit beschäftigt. Und die sagen: „Ja natürlich können wir das mulesing-frei machen, aber was sind die Alternativen? Und sie hat auf eine Art gesagt: Das ist einfach ein Parasit, der kriecht über den Anus in die Schafe rein und frisst sie quasi von innen auf. Also die verrecken dann wirklich elendiglich. Und das Mulesing ist eigentlich das kostengünstigste und effektivste Verfahren, um das zu verhindern, dass die Schafe befallen werden. Und die hat Videos gemacht, wo man sieht wie die Lämmer – okay, das ist brutal – die schneiden da ein Viereck um den Anus rum und ziehen die Haut ab, damit da kein Fett mehr wachsen kann. Klar tut das weh! Es tut auch weh, ich habe mir gerade den Arm gebrochen, tut auch weh! Oder wenn wir ein Kind kriegen oder sonstwas haben: Es tut alles halt mal weh. Aber die sind eigentlich nicht jetzt so, dass die in der Ecke liegen und ihre Wunden lecken. Die rennen sofort wieder auf der Wiese rum. Und sie sagte: Für jeden Schafhalter ist jedes Schaf wertvoll. Die engagieren für sowas wirklich geschulte Leute, die das schon ewig lang machen. Es ist halt der Anspruch des Verbrauchers. Er will weichste Merinowolle, ohne Mulesing, aber bitteschön billig. Und das ist nicht machbar! Und deshalb sind eben viele dazu übergegangen, diese Wolle dann aus Südamerika. Klar, die Produzenten sehen auch das Problem. Aber der Großteil der Kunden will möglichst preisgünstig. So ist es nach wie vor.

Gabriele Brandhuber

Das stimmt. Und dann möglichst auch eben behandelt, weil Superwash für Socken, und so weiter.

Anita Pavani

Das haben wir ja alles nicht. Das ist ja da schon der Anspruch. Warum kann ich das jetzt nicht in die Waschmaschine schmeißen? Wir sagen: Können Sie, aber auf Ihre Verantwortung.

Gabriele Brandhuber

Wenn es dann um drei Nummern kleiner ist, dann sind Sie selber schuld. Also ich bin halt jetzt in so Kreisen, oder in so einer „Bubble“, wie es so schön heißt, wo es eine Gegenbewegung gibt. Ich kann überhaupt nicht abschätzen, wie groß das ist. Wahrscheinlich ist das im Prozentbereich, wenn nicht im Promillebereich der Textilgeschichten jetzt gerade in Europa. Aber ich höre einfach von ganz vielen, die eben dann zum Schäfer gehen und sagen: „Schmeiß die Wolle nicht weg! Ich nehme sie dir ab.“ Also ich kenne schon das Problem von den schafzüchtenden Betrieben. Die kriegen einfach kaum was für ihre Wolle, wenn überhaupt. Für die ist Scheren eine notwendige Ausgabe, das sind notwendige Kosten, Schafe müssen geschoren werden. Aber wenn die ein paar Cent für ihr Kilo Wolle kriegen, dann ist es viel, wenn überhaupt. Und deswegen schmeißen sie es halt oft weg, weil sie überhaupt den Transport, um es irgendwo hinzubringen zu einer Sammelstelle, das wäre schon viel zu teuer. Und dann gibt es aber zunehmend Menschen, die sagen: „Wie schade! Dieses tolle, tolle Rohmaterial! Komm, ich nehm’s dir ab und ich mach was draus.“ Und wo jetzt auch so – zumindest in dieser Bubble – wieder ein Bewusstsein aufkommt dafür, dass eine Merinowolle nicht unbedingt die beste Sockenwolle ist, weil die viel zu schnell durchwetzt, weil sie eben viel zu fein ist. Und jetzt auch alte Schafrassen wieder entdeckt werden, und gezüchtet werden, und man halt dann sagt: Okay, diese Schafwolle von dem Schaf vielleicht nicht unbedingt am Hals, wo es kratzt. Aber vielleicht als wunderbar wärmende Außenschicht, wo man dann eben einen Loden herstellt, oder einen Walk herstellt. Und das ist etwas, was ich mit sehr großer Freude beobachte, wie die alle aus dem Boden ploppen, an verschiedenen Orten. Und in Kooperation mit Fibershed, das ist ein Verein aus der Schweiz, der sich für Re-Lokalisierung von Textilproduktion einsetzt, da habe ich jetzt auch am Textilportal eine extra Rubrik, wo steht: Wo kann ich regional gewachsene Fasern kaufen? Eben zum Beispiel Strickwolle, die hergestellt wurde. Für Strickwolle gibt es schon relativ viel. Wirklich Stoffe muss man noch ein bissel schauen. also die Weiterverarbeitung zu Stoffen, das kommt ein bisschen hier und dort. Aber es ist noch nicht so, dass ich sagen könnte, im Umkreis von 150 Kilometern kann ich Stoff kaufen, der hier hergestellt wurde.

Webereien im Mühlviertel/ Niederösterreich

Anita Pavani

Also so was suchen wir natürlich auch immer. Oder wenn uns so was begegnet, sind wir natürlich sofort willig, sowas mit aufzunehmen. Aber es gibt zum Beispiel in Österreich eine Firma, die macht wirklich nur regional gewachsene Schafwolle wird da verarbeitet. Aber das ist in so geringen, kleinen Mengen und ist auch viel zu teuer, als dass wir sie wieder verkaufen können. Da muss man wirklich dann als Endverbraucher möglichst direkt Kontakt aufnehmen. So sieht’s aus.

Gabriele Brandhuber

Möglichst direkt, ja, genau. Und das hält dann auch wieder die Wege kurz.

Anita Pavani

Absolut, ja. Also auf jeden Fall, sollte man so machen. Ich meine, je mehr man davon verkürzt, diese Wege, und je direkter man das macht und je weniger ein Textil durch diese ganzen Produktionsprozesse geht. Ich meine, es wird ja auch ganz oft irgendwelches Zeug – das kann man sich überhaupt nicht vorstellen, was für Reisen oft so ein Textil macht. Das Leinen wird weißgottwohin geschippert, dann wird es verarbeitet, dann wird es wieder woanders hingeschickt zum Ausrüster, dann wird es wieder woanders hingeschickt, damit es teilgenäht wird. Je mehr man selber macht, allein schon selber Nähen ist so eine große ökologische Tat, finde ich. Also das ist schon das Allerbeste, was man machen kann, weitgehend betrachtet. Natürlich, wenn ich jetzt mein Schäfchen im Garten habe, und spinne und nähe und so weiter, und das noch mit den Blättern und Hölzern und Blüten im Garten färbe. That’s it.

Gabriele Brandhuber

Diese Bewegung „vom Säen zum Nähen“. Es gibt auch in der Schweiz zum Beispiel eine Bewegung, die heißen „Zieh Lein“, die Leinsamen verteilen, damit man im eigenen Garten sich das Leinen anbauen kann. Um das dann zu rösten, zu brechen, zu verspinnen möglichst und dann tatsächlich mit Pflanzenfarben zu färben. Das ist die hohe Kunst des Selbermachens. Und es ist auch so ein bisschen mein Weg, dass ich angefangen habe zu nähen und mir dann gedacht habe: „Naja, wenn ich schon diese Arbeit reinstecke, dann möchte ich auch Materialien haben, die möglichst lange halten, die möglichst ökologisch hergestellt sind. Wo kriege ich denn die? Und der nächste Schritt wäre dann, dass ich jetzt noch zu spinnen und zu weben anfange. Mal schauen.

Anita Pavani

Also die tollste Spinnerin, die ich kenne, ist besagte Frau Schmidt, mit der Sie schon zu tun gehabt haben. Die kann so unglaublich feine Fäden spinnen, das kann man sich überhaupt kaum vorstellen, dass es so was gibt. Und die hat mir irgendwann mal zu Weihnachten einen Pulswärmer geschenkt, aus Brennnesseln aus meinem Garten. Da hat sie Brennnessel abgemacht, hat dann wirklich die Faser rausgehäckselt. Man muss das erst mal rotten lassen, und dann muss man die Fasern rausholen, dann muss man die säubern, und dann muss man die waschen, und dann muss man kardieren, und dann verspinnen. Hat sie alles gemacht, das ist nur einer geworden. Aber Brennnessel hat so eine Wärmequalität! Wenn es mich friert und ich ziehe die an, schwitze ich sofort. Also das ist wirklich phänomenal.

Das ist natürlich das Optimum. Aber das sind so verschwindend geringe, da könnte man sich die ganze Textilkultur sowieso sparen und die Textilindustrie, wenn jeder sein Zeug selber nähen würde, oder machen würde, oder spinnen. Und vielleicht jetzt, wo wir eh zurück in die Steinzeit gebombt werden und die Wirtschaft kaputt geht mehr und mehr. – Wird so gesagt. Ich weiß es nicht wie es wird. Keiner weiß es. Aber ich denke, es wird wieder mehr so kleinere… Alles was zu groß wird, fällt irgendwann auseinander. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es wieder kleinere Einheiten gibt, kleinere Textilmanufakturen. Ich habe jetzt wieder einen Österreicher entdeckt, mit dem ich vor 30 Jahren zu tun hatte. Und bin ganz glücklich, dass wir diese Weberei wieder gefunden haben, weil die sind klein und flexibel und können eigentlich viele Sachen machen, die halt Große eben nicht können. Und die müssen nicht gleich eine 10.000 Meter Kette aufspannen, sondern vielleicht nur 300 Meter oder 100 Meter. Und da kann man dann richtig wieder was ganz Neues machen, was ganz Anderes.

Gabriele Brandhuber

Wie heißt die Weberei? Wer ist das.

Anita Pavani

Wie heißt sie denn? Es fällt mir jetzt gerade nicht ein. Die sind im Mühlviertel, Rechberger.

Gabriele Brandhuber

Wen ich im Mühlviertel sehr gerne mag, ist Naturfaser Fölser. Die haben angeblich tatsächlich sogar noch regional angebautes Mühlviertler Leinen.

Anita Pavani

Wie heißen die? Naturfaser…

Gabriele Brandhuber

Naturfaser Fölser. 

Anita Pavani

Und das ist ein Handel, oder was ist das?

Gabriele Brandhuber

Naturfaser Fölser ist eine Weberei.

Anita Pavani

Sind das auch die, die einheimische Wollen und so was machen?

Gabriele Brandhuber

Wolle machen sie, glaube ich, keine. Die machen Leinen. Die stellen zum Beispiel./ Ich habe hier eine Jeans an (steht auf), ich zeig Ihnen das kurz. Das ist eine Jeans, die ist aus ich glaube, es ist 60 % Mühlviertler Leinen, 40 % KBA-Baumwolle aus der Türkei, als Jeansstoff verwebt. Dann haben sie… Jetzt weiß ich nicht genau, wo es gefärbt wird, ob es nicht in Ungarn gefärbt wird. Und angeblich ist er einer der letzten, der tatsächlich selber auch Leinen anbaut, und das vor Ort verarbeitet. Und das Coole ist bei Naturfaser Fölser: Man kann seine Jeans, man kann abgeliebte, alte, kaputte Jeans hinschicken und sie nähen nach dieser Jeans eine neue.

Anita Pavani

Ja, ist ja toll!

Gabriele Brandhuber

Das ist total großartig. Und er hat viele Näherinnen, die dort in Hausarbeit das nähen. Dauert ungefähr von Bestellung bis fertig ungefähr drei, vier Monate. Weil sie einfach so viele Aufträge haben. Man kann sich aussuchen, welcher Stoff, welche Verarbeitung, welche Nahtfarbe usw.. Den mag ich sehr gern. Und Vieböck Leinen ist auch eine Weberei, die ziemlich bekannt ist, aus Helfenberg.

Anita Pavani

Ja, mit denen haben wir auch zu tun.

Gabriele Brandhuber

Die haben halt glaub ich belgisches und holländisches Leinen. Und aber anscheinend die Problematik, dass die Zwischenhändler jetzt zunehmend die europäische Leinenproduktion nach China verkaufen. Und die Chinesen aus dem Leinen Stoffe machen und dann wieder zurückbringen, sodass die einheimischen Webereien, die noch Leinen verarbeiten gar nicht an die Rohstoffe kommen.

Anita Pavani

Ich weiß, dass ist eine Katastrophe im Moment, mit dem belgischen Leinen. Und natürlich gab es halt auch schwierige Trockenzeiten. Es herrscht in den europäischen leinenverarbeitenden Fabriken wirklich Materialnotstand. Das ist weiß ich auch. Da haben wir auch ein Riesenproblem damit. Dabei sind einfach die in Belgien zum Beispiel hergestellten Leinen einfach so wunderschön, aber halt irgendwie in der richtig oberen Preisklasse. Das ist einfach so. Und ich meine, die ganzen Geschichten: Es ist einfach auch schwierig! Viele Sachen sind schwierig. Auch Hanf ist schwierig, weil das muss rotten. Und der rumänische Hanf, die Tauröste kann man im Grunde genommen nur im richtigen Kontinentalthema machen. Alle anderen brauchen Wasserröste oder eben Chemikalien. Und die Wasserröste, da muss das Zeug in den Flüssen oder Seen verfaulen, und das bringt dann halt viele Seen zum Umkippen. Alles hat irgendeinen Haken.

Gabriele Brandhuber

Und alles, sobald man viel davon braucht, wird es schwierig. Solange man es in kleinem Maßstab und regional hält… [Telefon klingelt]

Anita Pavani

Oh Pardon, ich habe ein Telefongespräch, ich gehe mal kurz ran.

Gabriele Brandhuber

Alles gut.

Anita Pavani

[kurze Pause]

Gabriele Brandhuber

Genau. Also ich habe gesagt: Alles was in großem Maßstab passiert, wird dann schnell einmal schwieriger. Weil im Kleinen, und kleine produzierende Betriebe, da hat man das noch alles gut in der Hand. Kann die Wege kurz halten. Und sobald es viel werden muss… Sobald die Marktwirtschaft reinknallt.

Anita Pavani

So ist es eigentlich auf allen Ebenen, im Grunde genommen. Wir müssen das Ganze viel einfacher machen, verkürzen, komprimieren und effektiver arbeiten. Oder eben die Effizienz, umdenken in punkto Effizienz. Also nicht nur Produktionsprozesse so billig wie möglich, sondern eben zum Beispiel auch Wege reduzieren und dafür dann den Produktionsprozess etwas teurer machen. Also da wird wahrscheinlich in der nächsten Zeit, oder in den nächsten Jahrzehnten, sagen wir mal, ein großes Umdenken stattfinden. Das sehe ich so.

Wer sind Kund:innen? Stoffe gehen nach Hollywood!

Gabriele Brandhuber

Vielleicht noch eine letzte Frage: Wer sind denn vorwiegend Ihre Kundinnen? Ich war nämlich gerade vor kurzem bei einer Schneiderin hier in Graz, und habe sie gefragt, wo sie ihre Stoffe her bezieht. Und sie hat unter anderem gesagt: Anita Pavani Naturstoffe. Das hat mich gefreut. Von daher dachte ich dann: Aha, okay! Es sind nicht nur Privatpersonen, die bei Ihnen bestellen, sondern offensichtlich auch Gewerbetreibende.

Anita Pavani

Ja, also da gibt es natürlich Schneidereien, Designer und Ateliers und so was auf jeden Fall. Dann haben wir Innenarchitekten, auch Hotels, auch haben wir einen Zulieferer für Krankenhausbettwäsche. Dann haben wir Künstler, die Lampenschirme, oder Paravents oder weiß der Kuckuck was machen. Und wir haben halt einen sehr großen Anteil an Kostümbildnern. Also sowohl Theater, aber auch viele richtige große Hollywoodfilme. Zum Beispiel waren wir in allen Harry Potter Filmen mit dabei. Ja wirklich! Und, ähm. Also so der Mantel von Dumbledore war von uns. Ich glaube, der von Hagrid auch. Dann gibt es eine Szene, da hat Harry Potter höchstselbst ein Hemd an, das war Weihnachten in dem Internat. Wie heißt es denn noch mal?

Gabriele Brandhuber

Hogwarts.

Anita Pavani

Hogwarts, genau. Und Harry Potter trägt ein Hemd aus unserem Hanfbatist. Und alle Hogwarts-Schüler haben Krägelchen unserer Ramie-Batist. Und dann haben wir auch, also zum Beispiel in „Game of Thrones“ waren wir dabei. Und in ganz vielen auch so alten Filmen wie „Geisterhaus“. Kennen Sie den?

Gabriele Brandhuber

Nein, den kenne ich nicht.

Anita Pavani

Oh, das ist ein schöner Film. Der ist schon uralt, aber man muss ihn eigentlich gesehen haben. Mit Jeremy Irons, Wynona Ryder, mit Meryl Streep und Glenn Close. Und da sind ganz viele Stoffe von uns dabei. Und zwar war die Kostümbildnerin Barbara Baum. Die hat früher die ganzen, die war eine der bekanntesten Kostümbildner damals. Die hat die ganzen Fassbinder Filme gemacht, die Kostüme und so. Und vor drei vier Jahren, oder vor vier fünf Jahren – es war noch vor Corona – gab’s in Frankfurt im Filmmuseum eine Ausstellung von Kostümen, die Barbara Baum entworfen hat. Und da wurden dann halt auch die Filme dazu gezeigt. Und dann wurde ich damals von den Kuratoren gefragt, ob ich nicht Stoffe dazugeben will in die Ausstellung, damit die Leute mal was zum Anfassen haben. Weil die fertigen Kostüme darf man ja nicht anfassen. Und das habe ich dann gemacht. Und dann sollte ich noch ein Seminar halten über Stoffe für Filme. Es gibt natürlich keine speziellen „Filmstoffe“, weil die können alles gebrauchen. Und das habe ich dann gemacht. Da dachte ich, kommen vielleicht zehn Leute oder so, wer interessiert sich schon für Stoffe? Und da kamen aber wirklich 40 Leute, auch Männer! Was ich sehr erstaunlich fand. Die sich teilweise sehr gut auskannten. Also es war schon eine schöne Geschichte. Ja, also wir haben sehr viel mit denen zu tun. Wobei natürlich, manchmal passiert es mir, dass ich im Kino sitze, und dann sage: „Huch! Das ist mein Stoff!“ Und dann gucken wir nach, wann der gekauft wurde, und das ist dann fünf Jahre vorher. Ich kann das oft gar nicht nachvollziehen. Weil bevor die überhaupt anfangen können zu drehen, muss der Stoff natürlich da sein, und das Kostüm genäht. Also wir haben ganz viel mit dem Film zu tun, können aber in den wenigsten Fällen nachverfolgen, was dann da draus für ein Kostüm wird, und für welche Figur.

Gabriele Brandhuber

Außer sie sitzen gerade im Kino und sehen: Das muss mein Stoff sein, weil der vom Muster, oder…

Anita Pavani

Ja, so ein spezieller. Oder auch so Netflix Serien. Die Esther Walz ist im Moment eine sehr gute und bekannte Kostümbildnerin, die gerade wirklich gut dabei ist. Die hat zum Beispiel für Netflix „The Barbarians“ gemacht. Und mit der habe ich mich auch mal unterhalten. Die hat sich die Mühe gemacht, zu uns nach Heuchelheim zu kommen und die Stoffe direkt anzugucken. Und hat mir auch viel erzählt, wie das läuft: Die Hauptfiguren bekommen dann die richtig guten, teuren Stoffe. Und auch die richtigen Metall-Panzerhemden oder whatever. Und das Fußvolk kriegt dann halt die billigen Gummidinger. Und die hat auch ganz tolle Filme gemacht, zum Beispiel „Die Päpstin“. Und hat mir dann halt so erzählt, sag ich: „Wo habt ihr denn diese wahnsinnigen, total urig aussehenden Stoffe fürs Fußvolk herbekommen?“ – „Ja, die haben wir alle von Hand weben lassen in Rumänien“, und so Sachen kriegt man dann. Also da wird oft ein unglaublicher Aufwand betrieben, das kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Und wenn man dann sagt: „Mein Gott, wo kommen dann diese kostbaren Teile hin, wenn der Film fertig ist?“ Ja, die werden dann für etwas billigere Produktion genommen. Und kommen dann halt immer weiter runter, dann Fernsehproduktion etc. Also aber ich bilde mir auch ein, das macht sehr viel Qualität aus von einem Film, ob das eine echter Stoff ist. Also ich kann an der Leinwand erkennen, ob das eine echte Seide ist oder eine Viskose oder ein Plastikstoff. Das sehe ich einfach, an dem Glanz, an dem an dem Fall, und an der Ausstrahlung von dem Material.

Gabriele Brandhuber

Oh ja. Ui! Da fallen wir ins nächste Hasenloch rein, ins nächste „rabbit hole“. Es gibt nämlich eine junge englische [falsch! amerikanische] Textilhistorikerin, Bernadette Banner heißt sie. Die hat einen ganz tollen Yotube Kanal. . Wie heißt wo sie? Ich glaube, Bernadette Benner, Bernadette Banner sowie der. Herr.  Bernadette Benner. Die hat so zweimal im Jahr einen „Historical Film Review“. Also wo sie sich Serien, aber auch Filme, die angeblich in einer gewissen historischen Zeit spielen, ansieht. Aber nicht nur sie, sondern sie hat auch weitere Experten eingebunden. Der eine kennt sich aus mit koreanischer Geschichte und Kostümkunde, und die andere ist eine Expertin für chinesische, und ein dritter kennt sich aus mit Wikingern und nordischen Dings. Und dann analysieren sie immer, dann schauen Sie sich immer an: Wie sind die Kostüme da gestaltet? Und wie „historisch akkurat“ sind die? Ja, das ist total cool! Weil sie dann sagt: „Historisch akkurat“ geht immer nur bis zu einem gewissen Grad, aber wenn man jetzt im 18. Jahrhundert ist, und dann so einen Kragen plötzlich hat: Das kann nicht sein! Oder wenn in einer Szene Kleider aus fünf Jahrzehnten sind, dann geht das so auch nicht. Und das finde ich immer so total lustig und auch spannend, wie sie [die Filme] zerlegen und dann in eine Stufen-Kategorie einteilen von: Perfekt! Da haben sich die Kostümbildner wirklich fortgebildet, auch historisch, und sich wirklich Gedanken gemacht, wie sie das machen. Oder so Handnähte, die man dann sieht, und sie ist völlig begeistert: „Ah, schau mal, da sieht man ein…“ Oder: Dieses Knopfloch ist offensichtlich mit der Hand genäht. Also [die Einteilung] geht von „fantastisch“ über „they tried“, also sie haben es zumindest versucht, bis zu „grottenschlecht“, hat gar nichts zu tun mit der Epoche. Bernadette Banner ist tatsächlich zum Schreien.

Anita Pavani

Das mache ich auch! Ich finde das auch total spannend! Zum Beispiel in diesem „Troja“ Film. Da haben sie massenweise afrikanische Stoffe reingebuttert, die eigentlich gar nichts damit zu tun haben. Das passiert halt ständig!  dass da irgendwelche… Oder urige handgewebte Seidenstoffe, die sollen halt irgendwie urig aussehen. Also dass das in den seltensten Fällen. Es gibt aber auch ganz geniale, also unglaublich tolle Kostüme. Es gibt so eine Italienerin, Gabriella [Pescucci], also die hat auch schon mehrere Oscars dafür gekriegt. Da sind manchmal Kostüme, gerade in italienischen Filmen, „Tudors“ oder „Die Borgias“ oder so. Da legt man sich einfach nieder, wenn man die Kostüme sieht. Das ist so unglaublich, das ist so un-vor-stellbar gut, dass man sich nicht erklären kann, wie die das zustandegebracht hat. Also das ist schon ein ganz spannendes Kapitel.

Gabriele Brandhuber

Ja, voll schön. Jetzt sind wir ein bisschen abgedriftet, in Richtung Filmkunde.

Sie haben anfangs gesagt, Sie hoffen, dass Sie alle wichtigen Sachen/ dass Sie ein paar Sachen sagen wollen, die Ihnen sehr wichtig sind. Haben Sie dann alles untergebracht?

Wie bekommt man ein bisschen Qualitätsbewusstsein? In sich reinhorchen: Welcher Stoff passt zu mir? Welcher Stoff tut mir gut.

Anita Pavani

Aber garantiert sind da noch ganz viele Dinge offen. [blättert in ihren Unterlagen] Also diese Qualitätsgeschichte, wollte ich noch mal so ein bisschen draufkommen. Dass wir halt, wie Sie auch gesagt haben, diese Analphabeten und so: Wie kriegt man ein bisschen Qualitätsbewusstsein? Also mir geht es so, wenn ich mir mal was Fertiges kaufen will, und gehe dann in den Laden, guckt den Stoff an und denke: „Oh ja, der kostet nicht mehr als zweifuffzig, und für die Hose soll ich jetzt 126 € bezahlen.“ Geht dann gar nicht. Ich lasse mir so gut wie alles eigentlich nähen, aus meinen Stoffen. Und was ist ein Qualitätskriterium für einen Stoff? Das hat natürlich viel mit Übung zu tun. Auch viel mit „nach innen Fühlen“. Was spricht dieser Stoff in mir an? Also was ist seine Eigenschaft? Was gefällt mir da dran? Ist es, weil der Stoff vorgestern in irgendeiner Zeitung angepriesen wurde? Und der hier jetzt so ähnlich aussieht? Oder ist es wirklich was, was mich beeindruckt? Viele Qualitätskriterien kann man einfach auch gar nicht sehen? Also bei Jerseys, ich kaufe zum Beispiel immer so italienische Feinjerseys ein, die fühlen sich an wie Seide auf der Haut. Also die sind so fein! Also je feiner ein Garten ist, umso hochwertiger ist auch ein Stoff, umso hochwertiger muss die Faser sein, die überhaupt so fein ausgesponnen werden kann. Jetzt mal ganz abgesehen von Bio oder nicht Bio. Es gibt natürlich auch tolle Sachen, zum Beispiel diese „Fox Fiber“, die war in den 80er-, 90er-Jahren mal sehr en vogue. Das war rückgezüchtete Baumwolle aus farbigen Baumwollsorten. Die waren dann braun oder grün. Und dann haben auch so große Firmen wie Basetti daraus Jaquards gemacht und Handtücher, also wunder-wunderschön! Und dann gab es Firmen, die haben Samt draus gemacht, Cordsamt aus naturgrüner Baumwolle, ein Traum! Und andere haben einen Baumwollplüsch gemacht, aus naturbrauner oder grüner Baumwolle. Das ist völlig verschwunden! Und das ist sehr, sehr schade, weil der Ausrüstungsprozess ist halt schon eine arge Chemie-Geschichte. Inzwischen ist ja alles jetzt Bio, weitgehend. [sarkastisch] Aber letzten Endes ist es doch halt Petrochemie. Das muss man sich immer wieder vor Augen halten: Je weniger Färbung drauf ist, umso natürlicher ist natürlich ein Stoff. Und es geht halt auch darum: Wer bin ich? Nichts ist mir ein Leben lang so nah, wie das Zeug, was ich auf der Haut habe. Und damit signalisiere ich ja auch mein Wesen, mein „Ich“ nach außen. Und ich kann mir überlegen: Was will ich vermitteln? Wer bin ich? Wie will ich auf andere Leute wirken? Natürlich werde ich von außen bewertet, beurteilt, gesehen, wie ich mich kleide. Das ist ein ganz großer Aspekt. Und da sollten wir einfach lernen, bewusster damit umzugehen. Also ein Stoff: Wie fühlt er sich an? Wie riecht er? Wie wirkt er auf mich? Habe ich das Gefühl, es tut mir gut, wenn ich ihn anfasse, oder anhabe. Und es gibt halt auch, wie gesagt, diese besagten italienischen Baumwollen: Die sind so unglaublich fein und so unglaublich angenehm. Die sind natürlich teurer. Ich kaufe die von großen Manipulanten, die halt dann von diesen riesigen Modehäusern, die müssen eben auch immer Mengen produzieren lassen. Es gibt eben Garne, die in großen Mengen verkauft werden. Und wenn ich diesen Jersey in der und der Farbe will, dann muss ich mindestens so und so viele Meter nehmen, weil die zu kaufende Menge für den Wirker einfach die und die Menge ist, und so viel Meter ergibt. Basta. Und dann können die halt nicht alles verkaufen. Und das kommt dann eben in so… wird relativ billig weiterverkauft. Und so was kaufe ich dann zum Beispiel ein, um den Kunden wirklich ganz ganz hochwertige – die sind meistens abseits von Bio, aber es sind meistens sehr hochwertige, sehr besondere, sehr schöne Stoffe, die ich eigentlich auch wichtig finde. Also Schönheit hat für mich mindestens so einen wichtigen Aspekt wie ein ökologisches Zertifikat. Das möchte ich einfach mal dazusagen. Und ein Wert von einem Textil definiert sich für mich jetzt nicht nur durch das GOTS-Zertifikat, sondern auch durch den Wert des Designs, oder eine fantasievolle Webstruktur, oder eine interessante Garnkombination. Oder da gibt es ja unglaubliche Vielfalt, was da reinkommen kann. Allein die Kombination von Crêpe-Garnen und glatten Garnen, oder ein Seersucker. Da gibt es unendliche Möglichkeiten. Und dazwischen hängt halt auch oft ein Designer, der eine ganz tolle Arbeit gemacht hat, die ich einfach genauso wertschätzen kann, als jetzt irgendein wasweißichwas Zertifikat. Oder vielleicht einfach noch höher. Ich finde, Schönheit ist es auch, was mangelt in dieser Welt. Und Wertschätzung von was Besonderem und Schönem und Eigenem. Das ist für mich auch ein sehr, sehr wichtiges Kriterium. Was ist schön? Was springt mich an? Was fühlt sich gut an? Also es gibt so tolle/ Druckstoffe sind so’n Ding. Also da die Nadel im Heuhaufen zu finden. Wenn Sie meine Druckstoffe in den Designerstoffen angucken, dann wissen Sie, was ich meine. Das ist so, so…

Gabriele Brandhuber

Das klingt so, als ob das Ihre Passion wäre, so etwas aufzuspüren und sowas zu finden.

Anita Pavani

Ja, genau, so ist es auch. Also ich bin eh eine Waage, und von daher, die haben ja immer so ein venusgesteuertes Ich. Und von daher ist mir das einfach auch wichtig, so was wie Schönheit reinzubringen. Und ich finde, da gibt es manchmal, halt meist italienische Firmen, die haben einfach ein anderes Händchen für Farben und für Designs.

Gabriele Brandhuber

Ja, Sie haben jetzt auch was gesagt: das Anfassen und das Anhaben, dass das wichtig ist. Das ist bei mir auch ganz wichtig. Ich bestelle so gut wie nie online. Außer eben jetzt, ich wollte unbedingt diesen Wollstrick haben, und den hatten nur Sie. Deswegen wollte ich den jetzt auch mal ausprobieren. Was ich bei Ihnen ganz toll fand – oder finde – ist, dass man von allen Stoffen auch Stoffproben sich kommen lassen kann. Und ich mache das jetzt so, dass ich bei jeder Bestellung quasi dann noch Stoffproben von was Anderem dazu nehme. Zum Beispiel die Hanfstoffe, einfach mal um eben zu sehen: Was hat das für eine Haptik? Wie fällt das? Natürlich sind das jetzt keine riesengroßen Teile, aber zumindest das mal in der Hand gehabt zu haben, dieses Haptische ist für mich beim Nähen und auch beim/ Weil ich es halt auf der Haut trage, ist sowas Wichtiges….

Anita Pavani

Genau! Ich finde es auch sehr sehr wichtig.

Gabriele Brandhuber

… dass ich eigentlich lieber in wirklichen Stoffgeschäften vor Ort einkaufen gehe, grundsätzlich. Wobei wir hier in Graz halt jetzt gerade gar nichts mehr haben von wegen Bio. Es gab ein Geschäft, das sich auf Biostoffe spezialisiert hatte, die hat aber zugesperrt. Und die anderen sind mehr so ein riesen Stofflager. Das hat fünf Gänge a 50 Meter, wo 4 Meter in die Höhe Stoffe links und rechts gestapelt sind. Da gehe ich rein, wenn ich was ganz Bestimmtes brauche. Und dann gehe ich ganz schnell wieder raus, weil ich völlig überfordert von diesen Massen an Plastikstoffen.

Anita Pavani

Kann ich gut verstehen!

Gabriele Brandhuber

Aber ich habe ja auch Ihr Geschäft aufs Textilportal aufgenommen, und dann hat eine Kundin von ihnen so nett dazugeschrieben, also erstens: total individuelle Betreuung, total nette Verkäuferinnen. Und ums Eck gibt es einen Badesee, wo das mit einem Ausflug verbinden kann.

Anita Pavani

Ja, hier gibt es jede Menge Badeseen.

Gabriele Brandhuber

Das wollte ich noch einmal erwähnt haben, für Menschen, die bei Ihnen in der Umgebung sind, oder dort in der Nähe wohnen. Das Sie nicht nur einen Versand haben, sondern man eben auch hingehen kann, und die Stoffe anfassen, und mal drapieren, oder schauen wie fällt das uns so. Das ist für mich ganz zentral beim Stoffekaufen. Dass ich das ausprobieren kann.

Anita Pavani

Ja, ist es auch, finde ich auch. Geht mir auch selber so: Wenn mir ein Stoff gefällt, dass ich ihn dann mal anhalte, vor dem Spiegel. Inzwischen bin ich alt genug, dass ich weiß was was mir gut tut und was mir steht. Aber es ist doch toll, wenn man das dann einfach mal so sehen kann. Ja, nee, Mittelhessen- also kann ich jetzt mal Ihre Werbung weiterführen – ist eigentlich wunderschön hier. Gibt es ganz nette Städtchen, wie zum Beispiel dieses wunderschöne Fachwerkstädtchen Marburg ist direkt nur 20 Kilometer entfernt. Wetzlar hat auch eine wunderschöne Altstadt. Oder Braunfels, und das Lahntal, und der Taunus ist in der Nähe, der Vogelsberg. Also es ist wirklich eine schöne Gegend hier. Und Seen gibt es hier jede Menge.

Gabriele Brandhuber

Ja, wunderbar.

Anita Pavani

Ja, ich denke, dann haben wir es, oder?

Gabriele Brandhuber

Ja. Kommen wir zum Schluss, schön langsam.

Anita Pavani

Ja, ich denke auch: Einfach in sich rein lauschen, und ein Feeling… Also wir sind einfach so sehr von außen gesteuert. Und das ist oft das Problem, dass wir kein Vertrauen haben in unser eigenes Fühlen und Denken, sondern immer warten, von außen dafür eine Anleitung zu bekommen. In den Pflanzenfarben habe ich mal einen Wollstoff, einen Wollcrêpe, den habe ich mit Birkenrinde gefärbt. Und der bekam so ein eigentlich wunderschönes Altrosa. Aber kein Mensch hat ihn gekauft. Niemand hat ihn gekauft! Keiner wollte diesen wunderschönen altrosafarbenen Wollcrêpe. Also wir hatten ihn bestimmt fünf Jahre geschleppt, geschleift, irgendwann habe ich ihn auf 5 € runter, also fünf D-Mark. Ich weiß, es war noch in der D-Mark Zeit. Runter, und ach! Und er ging und ging einfach nicht. Irgendwann war er dann endlich ausverkauft. Und danach war irgendwie in der – ich weiß nicht mehr, ob Brigitte oder Burda, in irgend so einer großen Zeitschrift – war dann der absolute Hit Altrosa. Und plötzlich wollte jeder diesen Stoff. Natürlich war er inzwischen weg. Aber so kann’s halt gehen, dass wir uns einfach viel zu sehr von außen beeinflussen lassen, weil wir uns selber nichts zutrauen. Aber ich denke, die Hauptinstanz ist wirklich in uns selbst. Ob sich was gut anfühlt. Ob es so was ist, was mich erfreut. Und das spüren wir nur, wenn wir in uns reinhorchen. Und nicht gucken, was jetzt das Neuste in der und der Zeitung ist oder so.

Gabriele Brandhuber

Das finde ich ein total schönes Schlusswort. Damit möchte ich jetzt auch enden. Ich finde es toll, dass es Ihr Geschäft gibt, und ich wünsche Ihnen noch eine wunderbare lange Firmengeschichte. Und auch Ihnen persönlich, wenn Sie jetzt auch nicht mehr so involviert sind im Geschäft, trotzdem alles Gute, gute Gesundheit. Und genau, dann werde ich jetzt mal meinen Ausflug nach Mittelhessen planen.

Anita Pavani

Ja, das wäre schön! Sagen Sie mir Bescheid, dass ich dann auch da bin. Wäre doch sehr schön.

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4 Kommentare zu „Harry Potter trägt Pavani (Podcast #019)“

  1. Wunderbar hast du/habt ihr das Gespräch geführt, über die Barbara Baum Ausstellung mit den Stoffproben bin ich auf den Laden aufmerksam geworden, sehr interessante Frau, toll, melde dich gerne auf deiner Reise nach Mittelhessen, lieben Gruß aus Frankfurt, Anja

  2. Großartige Folge! So ein interessantes, witziges und gedankenreiches Gespräch – ich brauch jetzt sicher eine Woche um das alles setzen zu lassen. So viele spannende Themen!

    1. Avatar-Foto
      Gabriele Brandhuber

      Über deine Rückmeldung freue ich mich SEHR, liebe Kathi! Danke dafür. Das ist tatsächlich auch eine meiner Lieblingsfolgen. Liebe Grüße, Gabi

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