Das Textilportal Magazin

Wie funktioniert eigentlich Funktionskleidung? (Podcast #020)

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Aktualisiert am 18. Mai 2024.

Für die heutige Podcastfolge habe ich mit einem ausgebildeten Textilingenieur gesprochen, der bei einem faserproduzierenden Betrieb in Deutschland arbeitet. Weil er nicht namentlich genannt werden möchte, habe ich unser Gespräch zusammengefasst, mit Recherchen ergänzt, und noch einmal solo eingesprochen.

Mich haben die Frage beschäftigt: Wie funktioniert eigentlich so genannte “Funktionskleidung”, also zum Beispiel Laufshirts oder Regenjacken? Was bedeutet “schnelltrocknend” und wann ist ein Kleidungsstück “atmungsaktiv”? Diese Fragen betrachte ich exemplarisch am Beispiel zweier Kleidungsstücke, gehe auf die Vorteile aber auch auf die Problematiken ein, die solche Funktionskleidung mit sich bringt.

  • 00:01:01 Die Vorgeschichte
  • 00:04:18 Erstes Beispiel: Das Laufshirt
  • 00:09:58 Problematik: Mikroplastik
  • 00:13:40 Zweites Beispiel: Die Segeljacke
  • 00:19:22 Problematik: PFAS
  • 00:21:24 Alternativen aus Naturfasern?
  • 00:24:10 Schlussfolgerung
  • 00:27:20 Nachspann

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Die Vorgeschichte

Letzten Juni habe ich – gemeinsam mit einer Freundin – zu laufen begonnen. Ich, die ich mich jahrzehntelang für unsportlich gehalten hatte! Aber mit langsamem Aufbau haben wir das gut hinbekommen. Im Sommer habe ich einfach irgendein Baumwoll-T-Shirt und eine Leggings angezogen, die ich zu Hause hatte. Aber dann wurde es Herbst, und ich stand ich vor dem Problem, dass mir in meiner feuchten Baumwollkleidung unglaublich kalt wurde, vor allem, wenn ein bisschen Wind dazukam.

Ich ging also in ein großes Sportgeschäft hier in Graz, um mir Laufkleidung zu besorgen, mit der ich auch im Herbst und Winter weiterlaufen konnte. Und da stand ich also, zwischen unzähligen Kleidungsstücken in modischen Farben: atmungsaktiv, wind- und wasserdicht und was nicht alles, und auch gar nicht billig. So genannte “Funktionskleidung” zum Sporteln, alles erdölbasierte Fasern.

Es ist mir schon bewusst, dass bei dem Durchsatz, den die Kleidungsindustrie hat, niemals alle Kleidungsstücke aus nachwachsenden und möglichst naturbelassenen Rohstoffen hergestellt werden können. So viele Fasern könnte man gar nicht anbauen bzw. von Tieren abscheren oder auskämmen, wie die Überproduktion einer Fast Fashion, mit ständig wechselnden Schnitten, Farben, und Mustern benötigt. Und ich weiß auch, dass es zum Beispiel Skiunterwäsche aus Merino oder Alpaka gibt – damit werde ich mich dann im Herbst, wenn es wieder kühler wird, in einer anderen Folge näher beschäftigen. Im Jahresbericht der Lenzing AG, die für ihr auf Holz basierendes Produkt Tencel bekannt ist, wird der Anteil der synthetischen Fasern an der weltweiten Faserproduktion auf 68 % geschätzt! Mehr als zwei Drittel! Irgendwo muss ja diese ganze Kleidung in den Geschäften hängen.

Jedenfalls stand ich zwischen den Regalen und Ständern, in einem Meer von Plastikkleidung und dachte: Das darf doch wohl nicht wahr sein! Da propagiere ich am Textilportal andauernd möglichst bio, fair und regional in Europa hergestellte Fasern und Textilien. Aber wenn ich morgen und in den nächsten Tagen laufen gehen will, muss ich JETZT etwas kaufen. Zähneknirschend nahm ich ein Hoodie-Shirt und eine teil-wattierte, relativ dünne und „atmungsaktive“ Jacke mit. Aber gleichzeitig beschloss ich, alternative Quellen für Sportkleidung zu recherchieren. Und auch Stoffquellen, damit ich mir selbst hochwertige, passende Laufkleidung nähen kann. Weil ich es kann.

Aber zuerst einmal war ich wirklich auch neugierig: Wie funktioniert eigentlich “Funktionskleidung”? Was bedeutet “atmungsaktiv” und welche geheimen Mechanismen transportieren die Feuchtigkeit da von innen nach außen, während von außen nach innen kein Regen hineinkommt?

Über diese Fragen haben ich mit einem Textilingenieur gesprochen, der anonym bleiben will. Nennen wir ihn Stefan. Unser Gespräch hat bereits im März stattgefunden, und dann habe ich diesen Artikel und Podcastfolge in Etappen geschrieben. Dass ich in die Tiefen der Problematiken rund um Mikroplastik und PFAS abgetaucht bin, hat die Veröffentlichung dieser Folge verzögert, aber auch dazu geführt, dass der Beitrag besser recherchiert und ausführlicher geworden ist…

Erstes Beispiel: Das Laufshirt

Das Laufshirt, das ich gekauft habe (siehe Titelbild), wurde von der Verkäuferin als “schnelltrocknend” bezeichnet. Es besteht laut Etikett aus 91 % Polyester und 9 % Spandex, also Lycra, das ist dieser im Gestrick eingearbeitete, dünne Gummifaden, der den Stoff elastischer macht. Was bedeutet “schnelltrocknend” bei so einem Textil?

Der Textilingenieur Stefan meinte: In den meisten Fällen bedeutet “schnelltrocknend”, dass die Textilfaser die Feuchtigkeit nicht aufnimmt. Es gibt nämlich verschiedene Mechanismen der Feuchtigkeitsaufnahme: Entweder die Feuchtigkeit wird IN den Fasern gespeichert, wie es zum Beispiel bei hochwertiger Baumwolle, oder auch bei Wolle der Fall ist. Oder die Fasern an sich nehmen keine Feuchtigkeit auf, sondern sie wird ZWISCHEN den Fasern gespeichert. Bei erdölbasierten Fasern ist das meist der Fall. Wenn die Feuchtigkeit nur zwischen den Fasern gespeichert wird, kann sie auch rascher wieder verdunsten. Eigentlich müsste man vorausschicken, dass so ein Textil nicht nur schnell trocknet, sondern auch vorher schneller nass wird, wenn man schwitzt.

Eine Sonderstellung nimmt die unbehandelte Wollfaser ein, die Feuchtigkeit sowohl IN der Faser als auch ZWISCHEN den Fasern einlagert. Ich möchte an dieser Stelle meiner Freundin Sabine Kainz danken, die mich kurzfristig telefonisch aufgeschlaut hat. Wenn du mehr über die wunderbaren Eigenschaften der Wollfaser erfahren möchtest, hör dir unbedingt Sabines drei Podcastfolgen über die Anatomie der Wolle an (2), in denen sie chemisch und physikalisch in die Tiefe geht. Hier und heute nur kurz zusammengefasst von mir:

Wollfasern sind in drei Schichten aufgebaut, wobei sich in der innersten Schicht eine wasserliebende kristalline Struktur befindet, die Matrix genannt wird. Beim Schwitzen gehen Wassermoleküle in Dampfform durch die äußerste Schuppenschicht der Wolle durch und können sich an der Matrix anlagern. Auf diese Weise kann Wolle einerseits bis zu 30% ihres Eigengewichtes an Wasser aufnehmen, bis sie anfängt sich, feucht anzufühlen. Und andererseits wird bei dieser Anbindung Wärme freigesetzt. [Die Anlagerung ist eine so genannte “exotherme” chemische Reaktion.] Das heißt: Es dauert lange, bis sich die Wolle feucht anfühlt, und gleichzeitig wärmt das Woll-Kleidungsstück mich in dieser Zeit! Funktionswäsche aus erdölbasierten Fasern hat diese Eigenschaft nicht: Wenn sie nass wird, wird mir kalt.

Stefan sagte, dass bei hochwertiger – also auch hochpreisiger – Funktionskleidung der textile Aufbau aber zusätzlich oft so gestaltet ist, dass die Feuchtigkeit nach außen abgeleitet wird. Meist sind solche richtig guten Funktionsklamotten Flachstrickwaren. Und die werden dann entsprechend 3D-gestrickt, sodass die Struktur einen Effekt macht. Das heißt, ich habe am Körper dann eher eine dichtere Fläche, und nach außen hin wird die Fläche lockererer, also mit größerer Oberfläche. Je größer die Oberfläche, desto größer ist auch die Verdunstung. Also am Ende nutzt man tatsächlich rein physikalische Prozesse, um die Feuchtigkeit vom Körper nach außen abzuleiten.

Oder es werden innen und außen verschiedene Materialien verwendet: als innere Schicht eine, die die Feuchtigkeit abstößt (der griechische Begriff dafür lautet “hygrophob”), und als äußere Schicht eine, die die Feuchtigkeit anzieht (“hygrophil”), also nach außen “lockt”.

Das Shirt, das ich gekauft habe, war nicht hoch- sondern eher mittelpreisig und eher nicht 3D-gestrickt: Wenn ich eine Stunde laufen gehe, wird mein Polyester-Laufshirt durchaus nass, einfach weil zwischen den Fasern gar nicht so viel Feuchtigkeit gespeichert werden kann, wie mein Körper abgibt. Aber das Shirt, das ich gekauft habe, ist innen mit einer aufgerauten Schicht in Streifen ausgestattet, die eine kleine Distanz zwischen dem Stoff und meiner Haut erzeugen. Es fühlt sich von innen nicht feucht an, und mit einer zusätzlichen winddichten Schicht drüber, hat es auch bei Temperaturen um den Gefrierpunkt noch funktioniert, dass mir mit diesem Polyestershirt nicht kalt wurde.

Denn darum geht es im Grunde bei all dieser Funktionskleidung: Dass der Körper nicht durch Verdunstung oder Wind auskühlt.

Faszinierend bei Chemiefasern fand ich auch, als Stefan erwähnte, dass die Fasern auf den jeweiligen Anwendungsfall angepasst werden können: Textilingenieure können in der Produktion die Faserfeinheit (den so genannten “Titer”), die Faserlänge und den Faserquerschnitt synthetischer Fasern flexibel einstellen und somit der Faser, und damit auch dem Gewebe oder Gestrick, gewisse Eigenschaften mitgeben. Textiltechnik ist nicht trivial. Da gibt es viele Sachen, die tatsächlich nicht einfach so gemacht sind, sondern da steckt zum Teil viel Chemie, Physik, Mathematik dahinter. Ich kann die Faszination dieser Technologie nachvollziehen, die ganz viele neue Möglichkeiten eröffnet, wenn man – vor allem in der Hochtechnologie – die Eigenschaften der Fasern so steuern kann.

Einen interessanten Stoff – einen Wollstrick ohne Plastik nämlich – habe ich dann für mein zweites, nachhaltigeres Laufshirt bei Anita Pavani gefunden, woraus sich dann auch die Podcastfolge mit ihr (3) ergeben hat. Das Laufshirt habe ich inzwischen genäht und verbloggt, auf meinem Handarbeitsblog “made with Blümchen” (4).

Problematik: Plastik läutet das Erdzeitalter “Homozän” ein

Die ganz große Problematik bei Kleidung aus erdölbasierten Fasern wie Polyester ist aber weniger, dass uns schön langsam das Erdöl für die Produktion ausgeht. Das größte Problem ist das Mikroplastik, das bei jeder Wäsche ins Abwasser abgegeben wird. Und weil Sportkleidung aus Plastik schneller “riecht”, wird sie öfter gewaschen, und gibt es daher noch mehr Gelegenheit, dass Mikroplastikpartikel abgerieben werden.

Eigentlich lässt sich reines Polyester super recyceln, können also neue Polyesterfasern daraus gemacht werden. Aber einerseits stellte das Regierungspräsidium Tübingen letztes Jahr (2022) fest, dass rund 40% aller Textilien gar nicht richtig gekennzeichnet sind. (5) Und recyceltes Polyester gibt ja genauso Mikroplastik ab wie frisch hergestelltes, da ist also für die Umwelt gar nichts gewonnen. Die Mikroplastikteilchen gehen dann über das Abwasser in die Kläranlagen, wo nicht alles herausgefiltert werden kann, dann weiter in die Flüsse und ins Meer, und wieder zurück zu uns, in Fischen und Meeresfrüchten. Aber auch ins Grundwasser und in unserem Trinkwasser sind Mikroplastikpartikel zu finden.

In unseren Körpern – im Blut und im Darm – kann jedenfalls Mikroplastik nachgewiesen werden. Noch ist nicht ganz klar, wie das die menschliche Gesundheit beeinflusst, dazu wird gerade geforscht. (6) Aber Mikroplastik, das von Kleidung stammt, ist nur ein Teil eines riesengroßen, weltweiten Plastik-Problems. (7)

Die Verschmutzung der Erde mit Plastik ist inzwischen so stark, dass Geologen ein neues Erdzeitalter ausgerufen haben: Das “Homozän”, das Erdzeitalter des Menschen. Geologinnen machen den Übergang von einem zum nächsten Erdzeitalter anhand deutlich unterscheidbarer Grenzen in Gesteins-Ablagerungen fest. Und es liegt inzwischen so viel großer und kleiner Plastikmüll am Meeresgrund, dass in ein paar Millionen Jahren eine deutliche neue Schicht aus Plastik im Gestein erkennbar sein wird. (8)

Dem steht man ja einigermaßen hilflos gegenüber. Was wir selber allerdings tun können, ist unsere bereits vorhandenen Wäsche in einem Waschbeutel zu waschen, der zumindest einen Teil des abgegebenen Mikroplastiks aus dem Abwasser herausfiltert. Die Firma Guppyfriend (9) bietet solche Waschbeutel und auch Filtersysteme für Waschmaschinen an. Auf ihrer Webseite findest du auch einen Wasch-Guide und 10 Tipps gegen Mikroplastik. Das ist eine wärmste Empfehlung von mir; Ich habe mir selbst solche Waschbeutel selbst gekauft.

Auf stopmicrowaste.com (10) findest du weitere Anregungen, wie du Mikroplastik vermeiden kannst. Das Mikroplastik herauszufiltern ist jedenfalls besser als es nicht zu tun. Noch besser wäre es allerdings, auf Plastiktextilien zu verzichten, bzw. – noch eine Stufe vor unserem Kauf – wenn gar nicht erst so übermäßig viele Textilien aus synthetischen Fasern hergestellt werden würde. Da müsste sich in der Textilindustrie vieles ändern.

Wieder stehe ich leicht ratlos und auch etwas hilflos vor einem globalen Problem. Wir als Konsumentinnen können nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden, aber jede für sich kann etwas tun. Und wenn es nur ist, um mich nicht so hilflos zu fühlen.

Also zur Selbstermächtigung: Kaufe weniger, und achte auf gute Qualität. Über Leinen, und Hanf, Wolle und Baumwolle haben Constanze und ich ja inzwischen in mehreren Faser-Folgen hier im Podcast berichtet. Das hochwertige Leinen- oder Hanf-Shirt ist jedenfalls dem billigen Polyesterfetzen vorzuziehen.

Zweites Beispiel: Die Segeljacke

Mein Mann und ich, wir sind Segler. Wir haben beide Segelscheine für den Fahrtenbereich 3, wir haben kein eigenes Boot, aber zumindest den großen Sommerurlaub verbringen wir jedenfalls auf einem gecharterten Schiff. Und eine der schönen Sachen am Segeln ist: Wir sind eigentlich jeden Tag den ganzen Tag an der frischen Luft. Manchmal nicht ganz freiwillig, zum Beispiel wenn wir bei Starkwind und Regen noch unterwegs sind, wenn wir eine Nachtfahrt machen, wenn einer Ankerwache hält.

Das sind Extremsituationen, die wir in unserem Alltag so nicht haben, und in denen ich sehr froh bin um meine wind- und wasserdichte Latzhose und Regenjacke. Ich schaue nach, woraus mein so genanntes “Ölzeug” einer bekannten Marke für Segelbekleidung besteht: Die “Shell”, also die äußere Schicht, aus 70 % Polyamid und 30 % Polyurethan (PU). Das Futter aus 100% Polyamid. Mit Sicherheit ist meine Jacke außen zusätzlich wasserabweisend beschichtet, aber diese “Ausrüstung” ist nicht im Detail angegeben.

Stefan, der Textilingenieur, erklärt, dass solche wind- und wetterfesten Jacken – auch zum Wandern oder Radfahren – meist aus zwei bis drei Schichten aufgebaut sind.

Die dreilagige High-End Variante hat innen einen Futterstoff und außen einen Außenstoff, beide meist aus Polyester. Ihre Aufgabe ist es, die empfindliche Membran dazwischen zu schützen. Die Zwischenschicht im Sandwich besteht bei der Firma Gore (die Goretex herstellt) aus Polytetrafluorethylen, kurz PTFE. Andere Hersteller, wie bei meiner Jacke, verwenden für die Zwischenschicht Polyurethan, kurz PU. Diese gibt es unter der Bezeichnung Sympatex und vielen Eigenmarken. Diese Membranen haben die besondere Eigenschaft, dass die Poren so klein sind, dass Feuchtigkeit von draußen nicht reinkommt, aber der Wasserdampf, der ja kleiner ist, nach außen dringen kann. Der Fachbegriff dafür lautet “semipermeabel”, also halb-durchlässig, und umgangssprachlich eben “atmungsaktiv.”

Diese drei Schichten des Sandwiches werden miteinander verschweißt. Das ist quasi eins, das ist nicht mehr trennbar. Es sei denn, es delaminiert sich, dann ist es kaputt.

Es gibt auch eine zweieinhalblagige Variante, da ist das Innenfutter nicht mit verschweißt, sondern nur eingehängt. Bei zweilagig fehlt das Innenfutter, man trägt also die Membran direkt auf der Haut, und außen ist der Außenstoff. Und es gibt auch noch einlagige Varianten, das ist dann nur die Membran, die sehr empfindlich ist. Aber das sollte z.B. nicht unter Rucksäcken getragen werden, weil es an den Reibungsstellen – zum Beispiel an den Schultern – sehr schnell kaputt geht.

Eine kleine Geschichte:

Wir liegen in der Einfahrt zu einer Bucht in Kroatien vor Anker und Landfeste. Kein guter Ankergrund hier, sagen Seekarte und das Handbuch “888 Buchten”, und eng ist die Einfahrt auch. Aber die Bojen in der Bucht waren gestern schon alle belegt, als wir spät eingelaufen sind, und wir waren zu müde, um es noch in anderen Buchten zu versuchen. Dieser Ankerplatz ist ein Kompromiss.

Es wird gerade hell, als der vorhergesagte Sturm losbricht. Neben uns haben gestern Abend noch vier junge Männer festgemacht: Anker rein, Landfeste raus, fertig! Ihr Anker rutscht jetzt. War ja klar, sie haben ihn “huschhusch” nicht gut genug eingegraben. Sie werden vom starken Wind gefährlich nah an die steilen Felsen am Ufer geblasen. Zwei der Jungs stürmen halbnackt an Deck, kappen ihre Landfeste, fahren weg.

Wir – Gerhard, Uschi und ich – springen in unser Ölzeug, stürmen ebenfalls an Deck, starten schon mal den Motor und beobachten die Lage, während Matthias unten Kaffee für uns braut. Unser Anker hält. Wir haben gestern Abend auch eine gefühlte halbe Stunde mehrere Anläufe hingelegt, bis wir das Gefühl hatten, dass unser Anker auch wirklich gut hält. Wir drei stehen also rund 20 Minuten in strömendem Regen und heulendem Wind, bis der der Sturm wieder abklingt. Nach ein paar Minuten merke ich, wie meine Schultern feucht werden und kleine Rinnsale kalten Regenwassers sich ihren Weg in mein T-Shirt darunter bahnen. Na gut: Nach 20 Jahren darf so ein Ölzeug auch einmal kaputt gehen…

Regenjacken werden undicht, wenn das Material delaminiert, sich also die Schichten voneinander lösen. Oder wenn sich der Kleber, mit dem die Nähte wasserdicht verklebt wurden, auflöst. Der wird nämlich durch Schweiß aber auch durch Salzwasser angegriffen, weshalb man solche Jacken relativ häufig waschen sollte, lieber einmal zu oft als zu wenig, sagte Stefan. Und zwar ruhig in der Waschmaschine (was ich mich vorher nicht getraut hatte), aber am besten mit einem Flüssigwaschmittel! Verwende lieber kein Pulverwaschmittel, da sind nämlich Partikel drinnen, die am Material reiben, und auch keinen Weichspüler. Das Laminat hält das Waschen gut aus, nur Schleudern sollte man es nicht. (11)

Und – wie bereits erwähnt – stecke deine Kleidung am besten in Waschbeutel, die das Mikroplastik auffangen.

Wenn so eine Jacke kaputt ist, kann man sie dadurch, dass sie aus mehreren miteinander verschweißten Lagen unterschiedlicher Materialien besteht, so gut wie nicht mehr recyceln. Also zumindest nicht industriell. Ich habe eine Bekannte, die eine alte, wasserdichte Gendarmerie-Jacke zu einer Umhängetasche umgearbeitet hat. Das sah ziemlich cool aus. Aus diesem Grund liegt die alte Ölzeugjacke, die innen schon zerbröselt ist, in meinem Stoffregal und wartet auf ihren neuen Auftritt als Collegetasche. 🙂 Das wäre ein Upcycling-Möglichkeit.

Problematik bei solchen Jacken: per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS.

Die Problematik bei solchen Jacken liegt einerseits darin, dass sie nicht gut recycelt werden können, und andererseits, dass sie oft von außen mit so genannten per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, kurz PFAS, beschichtet werden.

In einem Artikel aus National Geographic steht zu lesen: “PFAS sind wasser-, fett- und schmutzabweisend und thermisch stabil. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie seit ihrer Entdeckung in den Vierzigerjahren in unzähligen Gegenständen des täglichen Gebrauchs verarbeitet: vom Kochgeschirr über Textilien und Kosmetika bis hin zu Verpackungen, Pflanzenschutz- und Feuerlöschmitteln.” (12)

Weil sie nur unter extrem hohen Temperaturen, also in der Natur normalerweise so gut wie nicht abbaubar sind, reichern sie sich überall an. Die Verschmutzung reicht so weit, dass PFAS auch bereits in abgelegenen Gebieten wie der Antarktis nachgewiesen wurden, man Regenwasser aufgrund der hohen Belastung nicht mehr trinken sollte, und auch Süßwasserfische Mengen von PFAS in ihrem Körper haben, die weit über den Richtwerten liegen. Nach heutigem Stand der Forschung können PFAS mit einer ganzen Reihe von schwerwiegenden Gesundheitsproblemen, darunter Krebs und Diabetes, in Zusammenhang gebracht werden. (12)

Verboten sind in der EU zurzeit nur solche PFAS, deren negative Auswirkungen auf Umwelt und menschliche Gesundheit klar bewiesen werden konnten. Meist dauert es Jahre, bis so ein Verbot in Kraft tritt, und weil die Firmen zahlreiche PFAS zur Auswahl haben, können sie derzeit noch relativ leicht auf andere Varianten ausweichen. Oder sie weichen aus in Länder des Südens, wo die Produktion ja häufig stattfindet, und wo es viel geringere Umweltauflagen gibt.

Das klingt alles wieder einmal ganz furchtbar.

Alternativen aus Naturfasern?

Da stellt man sich die Frage, ob es nicht doch auch weniger umweltschädliche Alternativen aus Naturfasern gibt? Was haben denn die Leute früher gemacht?

Wenn Wolle zum Beispiel gewebt und mit einer Richtung gefilzt ist, rinnt Wasser bis zu einem gewissen Grad einfach ab. Ich habe so ein Bild vor Augen von einem Schäfer mit Hut und Stab und einem klassischen Lodenumhang um die Schultern. Ein Nachfetten mit Lanolin kann die Regenbeständigkeit erhöhen, aber das hat seine Grenzen. Denn wenn die Wolle dann nass wird – das hatten wir oben schon – kann sie bis zu einem Drittel ihres Gewichtes an Feuchtigkeit IN die Fasern aufnehmen. Das heißt, wenn es lange regnet, und Wasser unvermeidlich doch eindringt, wird das richtig schwer und braucht auch lange zum Trocknen. Für weniger extreme Wettersituationen kann aber eine hochwertige Lodenjacke oder ein Lodencape schon gute Dienste leisten.

In verschiedenen Weltregionen wurden früher Umhänge aus dachziegelartig angeordneten Stängeln verwendet. Ein bekanntes Bild, eine gestellte Studio-Fotografie vom Ende des 19. Jahrhunderts, zeigt eine Frau mit einer Kanne und einen japanischen Bauern mit einem Umhang aus Reisstroh (13). Ein weiteres Beispiel ist die Figurine des so bezeichneten “Südsteirischen Hirte in Urtracht” im Grazer Volkskundemuseum. Er hat einen Umhang aus Lindenbast um die Schultern, wie er in der Steiermark noch um 1900 getragen worden sein soll (14).

Von Frau Pavani habe ich noch die folgenden Informationen erhalten, die es nicht mehr in die Podcastfolge mit ihr geschafft haben.:

“Baumwolle kann so dicht gewebt werden, dass sie kaum Wind durchlässt, und in Zeiten vor den modernen Synthetiks wurden Baumwollanoraks mit essigsauerer Tonerde imprägniert, was halt öfters wiederholt werden muss. Mit (Lein)Öl behandelte (Leinen-)Stoffe waren in der Schifffahrt gebräuchlich, das sogenannte Ölzeug, was entsprechend schwer war.”  

Später wurden Stoffe mit Kautschuk beschichtet, aber wie wir das von Gummiringerl kennen: Kautschuk wird mit der Zeit erst weich und klebrig, dann brüchig. Die Beschichtung hält also nicht ewig. Danach kam PVC, was sich als dauerhafter erwiesen hat und vor allem viel leichter war. Ich denke an die knallgelben Regenmäntel und Regenhüte, die ich als Kind in den 1970ern getragen habe, die waren wahrscheinlich aus PVC. Von außen blieb ich damit trocken, aber zum Beispiel im Sommer, bei einem Sommerregen, entwickelte sich so eine Regenjacke schnell zur Sauna, weil halt auch keine Körperfeuchtigkeit nach außen kommen konnte.

Moderne, atmungsaktive Funktionskleidung, die tatsächlich dicht ist und dabei leicht, wo der Dampf nach außen dringen kann, aber kein Regen hereinkommt, hat den früheren Alternativen gegenüber einfach schon sehr viele Vorteile.

Schlussfolgerung

Auch bei diesem Thema möchte ich einen goldenen Mittelweg vorschlagen: Ich sehe mich nicht wirklich in einem Umhang aus Rindenbast im Sturm auf dem Segelschiff stehen, deshalb besitze ich EINE wasserdichte und atmungsaktive Regen- bzw. Segeljacke. Die ziehe ich aber nur an, wenn es wirklich nötig ist, also beim Segeln, aber zum Beispiel auch, wenn ich unbedingt in strömendem Regen mit dem Rad fahren muss, was tatsächlich teilweise vorkommt. Weil ich es selten trage, schone ich dieses Kleidungsstück. Auch beim Wandern oder bei anderen Outdoor-Aktivitäten sind solche Funktionsjacken einfach Gold wert, um trocken und warm zu bleiben, und nicht kiloweise Gepäck mitschleppen zu müssen.

Buy less, choose well, make it last.

Vivienne Westwood

Für das, was du also bereits im Kleiderschrank hängen hast, gilt nach dem berühmten Zitat der Modedesignerin Vivienne Westwood: “Make it last” – nutze es so lange wie möglich. Wenn du alles Polyesterbasierte – wie unter anderem auch wärmende Fleece-Jacken oder Sportkleidung – jetzt sofort wegwirfst, vergrößerst du nur die Müllberge. Steck diese Polyesterkleidung, die du schon besitzt, in Waschbeutel wie den Guppyfriend. Flicke oder klebe Löcher. Trage die Sachen einfach so lang wie möglich.

Wenn du etwas Neues kaufen musst (oder dir selbst nähen kannst, du Glücklicke!) dann gilt: “Buy less, choose well.”

Beim Kaufen, kannst du gut auswählen, wenn du – anders als ich am Beginn dieser Episode im Sportgeschäft – dich VORAB über die Firmen und ihre Produkte informierst.

Die Zeit, die du in diese Recherche steckst, lohnt sich aus meiner Sicht vor allem auch deshalb, weil solche spezialisierte Funktionskleidung ja immer auch eine finanzielle Investition bedeutet, die ich zumindest nur alle paar Jahre bereit bin zu machen.

Wenn eine Marke auf ihrer Webseite GAR NICHTS zum Thema Produktionsbedingungen und Umweltschutz schreibt, solltest du lieber die Finger von ihren Produkten lassen. Wer nämlich etwas zum Thema Umweltschutz macht, gibt das heutzutage auch bekannt.

Wenn ich mir die Zeit nehme, finde ich es für mich als Konsument:in trotzdem unheimlich schwierig, hinter diesen ganzen Wald an Marken und Labels zu schauen, und “Greenwashing” zu durchblicken. Große Firmen hängen sich teils “grüne” Mäntelchen um, und produzieren trotzdem 98% konventionell, das heißt: Schädlich für Umwelt und Arbeiter:innen, viel zu viel Ware, mit viel zu schlechter Qualität. Und manche Hersteller lügen einfach ganz frech. Man könnte fast ein bisschen verzweifeln.

Zum Glück gibt es unabhängige Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Modemarken zu durchleuchten und zu bewerten. Drei Links dazu:

Da kannst du einmal deine Lieblingsmarke eingeben und nachsehen, wie sie bewertet wird. Und dann eine gute Entscheidung treffen.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Frischluft-Tanken und Sporteln in nachhaltiger Kleidung!

Treibst du Sport? Welche Kleidung ziehst du dazu an? Wo kaufst du sie, oder nähst du auch selbst?
Ich bin gespannt auf deine Geschichten, schreibe sie mir gerne in die Kommentare.

Diese Artikel gehören zusammen


Kommentare

6 Antworten zu „Wie funktioniert eigentlich Funktionskleidung? (Podcast #020)“
  1. Liebe Gabriele, vielen Dank für diese interessante Folge.
    Ich möchte dich gern auf Nordwolle aufmerksam machen. Diese Marke Bieter leichte Outdoor-Kleidung an, welche mit der Wolle vom Steinschaf (ist vom aussterben bedroht) gefüttert. So spart man eine Schicht aus Plastik.
    LG deine Claudia

    1. Gabriele Brandhuber

      Danke für den Tipp, liebe Claudia! Nordwolle kannte ich schon, ich mag auch den Youtube-Kanal von denen sehr. Aber jetzt nehme ich sie auch gleich auf die Liste für den Blogpost/Podcastfolge im Herbst, wenn es um Winter-Sport-Bekleidung geht. Liebe Grüße, Gabi

  2. Deine Erklärungen sind sehr spannend geschrieben. Ich wusste zum Beispiel gar nicht, dass Sportkleidung nicht die Feuchtigkeit aufnimmt, sondern dass es zwischen den Fasern gespeichert wird. Das erklärt auch das Tragegefühl von vielen Sport-T-Shirts! Kann man solche T-Shirt, wenn sie kaputtgehen, trotzdem in de Schneiderei bringen?

    1. Gabriele Brandhuber

      Hallo Mira, dankeschön. Ich wusste vorher auch nicht, was es bedeutet, dass “schnelltrocknend” sind. Was meinst du damit, ob man die Shirts in die Schneiderei bringen kann? Zum Reparieren, wenn eine Naht aufgeht? Ich denke schon, dass eine Änderungsschneiderei das reparieren würde. Das Problem mit Kleidung aus Kunststoffen ist ja einerseits die Abgabe von Mikroplastik beim Waschen, und andererseits dass sie nicht wirklich recyclet werden sondern auf dem Müll landen. Habe ich deine Frage beantwortet? Liebe Grüße, Gabi

  3. Alex Finsterbusch

    Ich, als umweltbewusste Konsumentin, erinnere mich an die Zeit, als ich vor einigen Jahren meine gesamte Sportkleidung aussortiert habe, ohne wirklich über die Umweltauswirkungen nachzudenken. Die Idee, meine vorhandene Polyesterkleidung zu reparieren und länger zu tragen, war ein echter Augenöffner. Es war ermutigend zu erfahren, wie kleine Schritte wie das Tragen von Guppyfriend-Waschbeuteln und das Recherchieren von Marken, die sich für Umweltschutz und faire Produktionsbedingungen einsetzen, einen großen Unterschied machen können.

    Es ist wahr, dass es manchmal überwältigend sein kann, die Flut von Marken und Informationen zu durchforsten, aber der Artikel weist auf die Bedeutung von unabhängigen Organisationen hin, die diese Aufgabe übernehmen. Als Konsumentin ist es beruhigend zu wissen, dass es Bewertungen und Bewertungssysteme gibt, die es mir erleichtern, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.

    Der Rat, “Buy less, choose well”, hat meine Einstellung zum Einkaufen wirklich verändert. Ich habe gelernt, bewusster und nachhaltiger zu kaufen, indem ich die Qualität über die Menge stelle. Ich hoffe, dass immer mehr Menschen diese Botschaft hören und umsetzen, um gemeinsam einen positiven Beitrag zur Umwelt und zur Bekämpfung von “Greenwashing” zu leisten.

    1. Gabriele Brandhuber

      Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar! Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. ☺️ Viel Freude weiterhin beim nachhaltig Kleidung genießen! Liebe Grüße, Gabi

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