Was bedeutet Nachhaltigkeit bei Textilien? (Podcast #002)

Aktualisiert am 13. Juli 2023.

Im Podcast wird es in den nächsten Monaten regelmäßig um textile Materialien aus wirtschaftlichem und kulturgeschichtlichem Blickwinkel gehen. In dieser Folge befassen wir uns zunächst mit einer übergreifenden Fragestellung: Was versteht man unter nachhaltigen Textilien?

Gabriele Brandhuber vom Textilportal spricht mit Constanze Derham von „Texte und Textilien“ darüber, wie umfassend der Begriff „Nachhaltigkeit“ bei Textilien betrachtet werden muss. Die Wege der Textilien sind verschlungen, bis sie bei uns in den Geschäften landen. Wo kannst du nachschauen, was verschiedene textile Gütesiegel bedeuten? Ist ein Polyesterbeutel am Ende nachhaltiger als ein Baumwollbeutel? Und wie steht es um die „textile Nahversorgung“?

Nachhaltig produziert? Es ist kompliziert.

Allgemein gesprochen bedeutet eine nachhaltige Produktion, dass im Produktionsprozess nicht mehr Ressourcen verbraucht werden, als nachwachsen oder sich in einem überschaubaren Zeitraum regenerieren können.

Dieses scheinbar so einfache Kriterium ist in Bezug auf Textilien aber nicht so leicht zu überprüfen: Bis aus einer Handvoll Baumwollsamen ein T-Shirt geworden ist, sind sehr viele unterschiedliche Schritte nötig, die heutzutage zum Teil auf verschiedenen Kontinenten stattfinden.

Um eine Textilie als wirklich nachhaltig zu qualifizieren, müssen alle Etappen – vom Anbau der Faser, über die Ernte und Aufbereitung der Rohfaser, über das Spinnen und Weben, das Färben und Nachbehandeln des Stoffs, das Zuschneiden, Nähen bis hin zum Verpacken der fertigen Ware, dem Transport und der Entsorgung – betrachtet werden.

Dazu kommen die verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit: Es geht nicht nur um Umweltverschmutzung, den Verbrauch von Ressourcen wie Wasser, Luft und Boden, sondern auch um die Arbeitsbedingungen der dabei beschäftigten Menschen und die Lebensbedingungen von Tieren, und nicht zuletzt um die Gesundheitsverträglichkeit der Produkte.

Nachhaltigkeit ist also ein Merkmal, das sich aus vielen Faktoren speist, die von Konsument:innen nur sehr eingeschränkt überprüft werden können. Zertifikate, Label und Siegel können eine gewisse Orientierung geben, dass bestimmte Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden, aber auch hier muss man sehr genau hinsehen, auf welche Teile der Produktion und auf welche Kriterien sich das Siegel bezieht: Wird nur der Rohstoffanbau betrachtet, oder die gesamte Produktionskette? Werden soziale Kriterien – Arbeitsbedingungen, fairer Lohn, Verbot von Kinderarbeit – in die Bewertung mit einbezogen? Gibt es bereits feste Standards, die erreicht werden müssen, oder reicht für eine Zertifizierung zunächst das Bekenntnis aus, Produktionsprozesse in einem bestimmten Zeitrahmen ökologisch oder sozial verträglicher gestalten zu wollen?

Im Podcast sprechen wir außerdem über verschiedene konkrete Nachhaltigkeitssiegel wie GOTS (Global Organic Textile Standard) und den Grünen Knopf (Staatliches Siegel in Deutschland, seit 2020) und empfehlen zur Orientierung die Webseite siegelklarheit.de (auch als App), auf der man sich einen Überblick über Nachhaltigkeitssiegel verschaffen kann.

Shownotes aufklappen

Transkript aufklappen

Gabriele

Herzlich willkommen zu einer weiteren Folge des Textilportal Podcasts. Ich habe heute zu Gast Constanze Derham vom Verlag „Texte und Textilien“. Einige von euch kennen Constanze vielleicht von ihrem Blog „Nahtzugabe“, den sie seit zwölf Jahren schreibt. Eine Textilbloggerin ursprünglich, die dann einen eigenen Verlag gegründet hat und mit ihrem Buch „Stoff und Faden“, ein Materiallexikon, einen Bestseller gelandet hat. Das ist ein sehr schönes kleines Buch, wo man sich informieren kann über verschiedenste Fasern und Stoffe und ihre Herstellung. Deswegen habe ich Constanze eingeladen und sie sich bereit erklärt, mit mir eine kleine Serie hier im Podcast zu machen, wo wir uns Fasern anschauen, die in Europa angebaut worden sind, früher. Und auch heute noch angebaut werden, zum Teil. So ein bisschen aus wirtschaftsgeschichtlicher, kulturhistorischer Sicht das beleuchten werden. Und wir starten heute mit einer Folge über die Frage: „Was bedeutet eigentlich nachhaltige Fasern in der Textilproduktion?“ Herzlich willkommen, Constanze.

Constanze

Hallo. Danke für die Einladung.

Gabriele

Ja, ich freue mich unglaublich, dass wir das gemeinsam machen. Das wird extrem spannend. Du hast ja jetzt einiges recherchiert bzw. nein: Du hast schon in den letzten Jahren immer wieder Artikel dort und da auch in Zeitschriften publiziert, wo es um Nachhaltigkeit bei Fasern gegangen ist. Erzähl uns doch mal: Was bedeutet Nachhaltigkeit bei Fasern? Oder welche nachhaltigen Fasern gibt es? Worauf kann man da achten?

Constanze

Ja, im Grunde ist es so, dass Nachhaltigkeit an sich ein relativ schwammiger Begriff ist. Und das ist eben auch relativ komplex. Dass es nicht nur um Umweltstandards geht, sondern auch um Sozialstandards, um Gesundheitsstandards und man dann bei der Faserproduktion und auch bei textilen Produkten dann letztendlich auch die ganze – wie man immer so schön sagt – „textile Kette“, also die gesamte Produktionskette von der Faser, vom Anbau oder vom Scheren eines Tieres, bis zum fertigen Produkt betrachten muss. Und in jeder Zwischenstufe müsste es, um wirklich nachhaltig zu sein, das heißt also mit hohen Umweltstandards, Sozialstandards, müssten dann wirklich in jeder Stufe diese Standards beachtet werden.

Gabriele

Und dann kommt ja auch noch der Transport dazu, weil es ist ja ein Unterschied, ob eine Faser in Indien angebaut und dort gefärbt wurde und dann nach Europa gebracht wird. Vielleicht um hier verarbeitet zu werden, oder ob man vor Ort anbaut und kurze Wege hat.

Constanze

Ja genau. Und das ist auch alles gar nicht so leicht nachzuvollziehen und zu berechnen. Eine beliebte Frage ist ja immer: Ist denn eine Kunstfaser – also sagen wir Polyester – ist das nicht eigentlich nachhaltiger als Baumwolle? In einem bestimmten Produkt? Und das lässt sich im Grunde gar nicht so leicht berechnen. Die richtig guten Textilsiegel, die es gibt, die Nachhaltigkeit zertifizieren, die sind wirklich so ausgefeilt, dass da wirklich jeder einzelne Unterpunkt beachtet wird. Also zum Beispiel auch solche Fragen wie Transport, was du gerade angesprochen hast, und sogar die Verpackung. Die Einrichtung der Läden. Im Grunde darf man, wenn man nach höchsten Standards arbeitet, in einem Geschäft noch nicht mal zertifizierte Stoffe neben irgendwelchen un-zertifizierten Stoffen, die keinem Nachhaltigkeitlabel unterliegen, nebeneinander lagern. Wenn man es ganz streng nimmt.

Gabriele

Dass ist ja auch ein Grund, warum viele Stoffe dann einfach NICHT zertifiziert sind. Oder viele Betriebe sich NICHT zertifizieren lassen, weil das ein unglaublicher Aufwand ist, und auch relativ teuer, das zu machen.

Constanze

Ja, das kenne ich auch. Das kennt man ja auch aus dem Lebensmittelbereich schon öfter, dass so die kleinen Gemüsebauern, die Sachen auf dem Markt verkaufen oder bestimmte Bäcker, gar keine Bio-Zertifizierung haben, weil das für die gar nicht zu machen wäre, das dann auch alles sicherzustellen. Man muss alles dokumentieren. Die Zertifizierung kostet sehr viel Geld. Und letztendlich muss man auch immer im Hinterkopf behalten, dass eine Zertifizierung trotz allem auch immer nur eine Momentaufnahme ist. Also auch wenn das von unabhängigen Stellen überprüft wird, wird es nur relativ selten überprüft. Die Kontrollen werden meistens angekündigt, sodass man dann größere Verstöße bis dahin beseitigen kann, vielleicht. Wenn man es drauf anlegt. Und ist es tatsächlich auch so, dass die ganzen Bio-Umwelt-Sozial-Label, die es gibt, sehr unterschiedliche Spannweiten haben. Manche sind halt eben nur… Bei zertifizierter Biobaumwolle zum Beispiel geht es nur um den Anbau der Faser. Und was dann später damit passiert, ob die dann giftig gefärbt wird, oder ob die Leute, die das dann verspinnen, einen vernünftigen Lohn bekommen, das spielt dann gar keine Rolle mehr. Klingt aber natürlich gut: „Ein Bio-Baumwoll-T-Shirt.“

Gabriele

Bah! Ich kriege gerade ein Vogel! Ich merke, wie es in meinem Hirn zu rattern beginnt und ich fast ein bisschen Kopfweh kriege vor lauter: Boah, was da alles dahintersteckt! Wie kann ich denn als Konsumentin… Wie soll ich da durchblicken? Wie kann ich mir sicher sein, dass, wenn ich jetzt eine Biobaumwolle kaufe oder von dem Label, das sich auf die Fahnen schreibt: Bio und Öko und Sozial und Fairtrade und was weiß ich. Wie kann ich mir sicher sein, dass das wirklich stimmt, und dass ich als Konsumentin mein Geld da wirklich sinnvoll investiere?

Constanze

Also, es gibt ein paar recht vertrauenswürdige Labels, die alle diese Aspekte abdecken. Also wo praktisch kontrolliert wird, dass im Endprodukt keine Schadstoffe mehr sind. Dass bei der Produktion keine schädlichen Chemikalien verwendet wurden. Dass die Leute, die mit der Faser zu tun haben, die Arbeit fair bezahlt wird und eben Arbeitsstandards eingehalten werden, keine Kinderarbeit. Dass der Anbau biologisch war. Dass das Tierwohl beachtet wurde. Da gibt es ein paar Labels, zum Beispiel dieses GOTS Label: Global Organic Textile Standard. Das ist eigentlich das beste Label, das am meisten Kriterien beinhaltet. Und es gibt noch eine ganz hilfreiche Webseite namens siegelklarheit.de. Da kann man diese ganzen Label, die vielleicht an Textilien dran sind, nachschauen. Und da wird dann bewertet, welche Kriterien dem zugrunde liegen und wie streng die kontrolliert werden. Und es gibt dann so eine Abschlussbewertung. Das ist eigentlich ganz übersichtlich. Da sind auch Label für Papier und Nahrungsmittel drauf.

Gabriele

Sehr gut. Das werden auf jeden Fall verlinken in den Shownotes, damit man da auch nachschlagen kann und nachschauen kann, welche Labels.

Constanze

Das ist wirklich zu empfehlen. Weil es gibt eben auch viele Labels, die einfach nur von Textilproduzenten gesetzt werden, die dann mehr oder weniger ihr eigenes Ding machen und das auch gar nicht immer transparent ist, was sie sich da als Standard angelegt haben.

Gabriele

Ich könnte mir vorstellen, dass das vielleicht ein paar größere Konzerne sind, die sich ihr eigenes Label kreieren und sich ein bisschen ein grünes Mäntelchen umhängen. Biobaumwolle draufschreiben, ein paar Prozent ihrer Produktion als „bio“ labeln und der Rest ist konventionell produziert und bringt dann eigentlich den Umsatz. Kann das sein? Grünes Mäntelchen?

Constanze

Es gibt von C&A und Otto solche Textillabel. Bei der C& A Biobaumwolle, die ja mal sehr stark beworben wurde, ist es zum Beispiel so, dass tatsächlich der Anbau der Baumwolle, um die es geht, wirklich bio ist. Aber was damit nachher ist, in der ganzen Produktion? Die Produktion der T-Shirts ist so wie bei einem konventionellen T-Shirt, weil dieses Label das nicht umfasst.  Da geht es nur um die Faser selbst.

Gabriele

Okay. Das heißt, auf siegelklarheit.de kann ich mal nachschauen: Welches Label macht prinzipiell was, oder welches Label ist vertrauenswürdig? Das ist mal EIN Schritt. Dann gibt es ja auch so große… Also ich sage jetzt mal Armed Angels, oder solche Labels, die von vornherein sagen: Wir sind Bio und produzieren nach Sozialstandards. Kann man denen vertrauen? Oder kann ich auch da nachschauen?

Constanze

Ja, das kommt darauf an. Wenn Sie so ein zertifiziertes Label haben, das eben von einer staatlichen Organisation oder von einem Verein, Verband so, der das herausgibt, kontrolliert wird, dann sicherlich schon. Bei dem einzelnen kleineren Unternehmen weiß ich nicht, ob das nicht teilweise dann auch eher in diese firmeneigene Labelkategorie fällt. Dass man sagt: Wir haben unsere eigene kleine Fabrik in was-weiß-ich, die wir unterstützen, wo die Sachen für uns genäht werden. Und letztendlich ist es aber nicht transparent, weil das eben nicht unabhängig überprüft wird, was da wirklich passiert. Es ist wirklich unglaublich viel Aufwand für Konsument:innen, das nachzuvollziehen und zu bewerten. Weil man ja vielleicht auch gar nicht im Kopf hat, worüber man überhaupt alles nachdenken muss. Jetzt bei der Recherche für dieses Treffen war für mich zum Beispiel auch eine neue Erkenntnis, dass tatsächlich auch die Verpackung der Produkte eine Rolle spielt. Ist ja klar. Im Grunde ist es logisch, habe ich aber bisher noch nie dran gedacht, dass man das eigentlich auch beachten müsste.

Gabriele

Ob das jetzt in Plastik eingeschweißt ist, oder ob die Teile einzeln, ohne irgendwelche Verpackung, einfach in größeren Gebinden angeliefert werden.

Constanze

Ja genau. Oder ob sie für den Transport noch mit Chemikalien behandelt werden. Zum Beispiel. Im Container.

Gabriele

Ja, klar, wenn das einen Monat oder zwei irgendwo über die Weltmeere geschippert wird, irgendwohin. Können sich ja grundsätzlich Insekten und Schädlinge da drinnen festsetzen. Was vor allem bei Wolle blöd wäre. Ich glaube, die Motten haben dann relativ viel Zeit, sich da drinnen wohlzufühlen und auszubreiten, und dann kommt alles ganz löchrig an, das wäre [doof].

Ja, wobei ich mir jetzt gerade denke, was wäre denn, wenn man diesen Transport weglässt? Also wenn man quasi schaut vor Ort, hier in Europa. Ich habe jetzt nicht extra recherchiert, aber mir sind in den letzten Jahren einige Organisationen über den Weg gelaufen, die sich an verschiedenen Stellen dieser Lieferkette oder dieser Produktionskette einklinken. Da gibt es ja einerseits die Clean Clothes Kampagne schon seit Jahren. Ich glaube vor 25 Jahren hat es das schon gegeben, die sich für bessere Arbeitsbedingungen in den Ländern des Südens einsetzen. Und es gibt auch eine amerikanische Organisation, die heißen re/make. Und da gibt es diesen Hashtag #whomademyclothes, der gerade in den letzten Monaten auf Instagram wieder sehr geboomt hat.

Constanze

Ja, die machen das immer zu diesem Aktionstag. Die Aktion heißt #whomademyclothes, und man postet dann sich selbst mit so einem Schild, wo das draufsteht, oder auch [ein Shirt] mit dem Etikett nach außen [angezogen]. Und das soll erinnern an dieses Unglück in der Textilfabrik im Rana Plaza in Bangladesch.

Gabriele

Das war’s. Ja genau, ich glaube acht Jahre ist das jetzt schon her.

Constanze

Genau. Was ja das Lieferkettengesetz, zumindest in Deutschland, in Gang gebracht hat.

Gabriele

„Fashion Revolution Day“, so heißt das. Und „Fashion Revolution Week“.  Das war jetzt gerade, Ende April.

Constanze

Genau.

Gabriele

Das hat was in Gang gesetzt? Sag noch einmal.

Constanze

In Deutschland das Lieferkettengesetz. Das bedeutet, dass ein Produzent in Deutschland, wenn er eine größere Firma ist, dafür verantwortlich ist, was seine Subunternehmer in anderen Ländern für Standards haben. Und auch dort Arbeitsrechtverstöße theoretisch zumindest haftbar sein soll oder rechtlich verantwortlich. Das ist natürlich im Moment so eine deutsche Geschichte mit langen Übergangsfristen. Ich glaube, bis 2023 ist es aber auch geplant, dass das auf Europa ausgeweitet wird. Aber es ist natürlich immer so eine Sache.  Weil „Subunternehmer“, die Definition müsste man sich dann auch noch mal angucken. Wie direkt müssten die Verhältnisse dann sein zwischen Unternehmer und Subunternehmer. Und wenn man halt irgendwo Rohstoffe oder Halbfertigprodukte aufkauft, dann gilt das wahrscheinlich schon wieder nicht. Also wenn man niemanden direkt beauftragt, einen Stoff zu weben, sondern einfach fertig gewebten Stoff kauft, dann ist dieser Lieferant ein Lieferant und kein Subunternehmer mehr. Insofern weiß ich nicht, was für eine praktische Relevanz das tatsächlich haben wird.

Gabriele

Das finde ich sehr spannend, weil im Zuge der Datenschutzgrundverordnung, der viel gehassten, die ja 2018 in Kraft getreten ist: Auch da gibt es so eine Regelung, dass man als Unternehmer mitverantwortlich ist für die ganze Subunternehmerkette. Also wenn ich meine Belege nach Laos schicke, damit die dort eingelesen und gebucht werden, und dann die Lohnverrechnung in Portugal passiert, und dann wieder zurückkommt nach Deutschland. Dann ist im Endeffekt der deutsche Unternehmer dafür mitverantwortlich, wenn irgendwo auf diesem Weg Datenklau passiert. So wie du jetzt gerade gesagt hast: Wie das dann umgesetzt wird, oder ob man das überhaupt kontrollieren kann, wer da wo welche Subunternehmer hat, weiß ich nicht. Aber grundsätzlich wäre es so, dass europäische Betriebe sich auch darum kümmern müssen, auch im Datenschutz: An wen gebe ich diese Daten weiter? Das finde ich sehr spannend, das scheint so ein Prinzip zu sein, das sich jetzt in mehreren Bereichen durchsetzt. Dass man Mitverantwortung trägt für das wem man Aufträge gibt, wen man beauftragt, wo man Dinge kauft.

Constanze

Das ist auch eigentlich ganz richtig so. Und ich finde das im Business-to-Business-Bereich auch erheblich sinnvoller angelegt, als Verbraucher:innen zu sagen, sie sollen Bioprodukte kaufen oder auf Labels achten. Also dass das Problem im Grunde an den 08/15 Verbraucher weitergereicht wird, ist ja auch nicht so ganz fair. weil man sich eben wirklich schwer orientieren kann.

Gabriele

Wir beide haben ja schon öfter diesen Vergleich ins Spiel gebracht von Bio-Lebensmittel und Bio-Kleidung. Du hast mal gesagt, und ich finde das richtig: Wir stehen jetzt bei Kleidung da, wo wir bei Lebensmitteln vor 25-30 Jahren gestanden sind, als Bio-Lebensmittel begonnen haben aufzukommen, und noch ein bisschen so Nischenprodukt waren und noch so ein bisschen belächelt wurden. Also unter den Produzenten, unter den Bauern zum Beispiel. Aber inzwischen das eigentlich sehr üblich ist, zumindest in meinem Bekanntenkreis. Wenn ich jemand frage: Was isst du? Oder: Wo kaufst du deine Lebensmittel? Und wie wurden die produziert? Dann können ganz viele in meinem Bekanntenkreis genau sagen, wo sie die Milch kaufen, wo sie die Eier kaufen, das Fleisch nur von den glücklichen Schweinen, vom Biobauernhof dort und da. Also bei Lebensmitteln, zumindest in einer gewissen Gesellschaftsschicht, oder zumindest in meinem Bekanntenkreis ist es völlig üblich, dass die Leute zum großen Teil jetzt auch vegetarisch leben und sich ganz bewusst damit beschäftigen.

Und bei Kleidung, wenn ich frage: Was hast du denn da an, wo wurde das produziert? Dann herrscht manchmal Schweigen, betretenes. Oder ein paar haben natürlich schon Bio-Fairtrade-Labels, die sie kaufen. Gerade bei Schuhen fällt es mir auch auf in letzter Zeit, dass ganz viele ein Bewusstsein haben dafür, dass Schuhe einfach unglaublich schlecht und umweltschädlich oft produziert werden. Aber es ist trotzdem ein großer Aufholbedarf, gerade bei Kleidung. Aus meiner Sicht.

Und eben Lebensmittel: Da kann ich mich am Biobauernmarkt inzwischen ziemlich gut versorgen, am Wochenmarkt. Also zumindest bei uns in Graz ist das toll! Weil ich habe meinen Bauernmarkt, da gehe ich jeden Samstag hin und wir kaufen dort gut 80 bis 90% der Lebensmittel für die Woche. Bei Kleidung tue ich mir schwer, mich regional zu versorgen.

Constanze

Ja, genau. Und das ist nämlich der Punkt, was du vorhin auch meintest mit den Transporten. Diese regionale Versorgung ist ja bei Textilien einfach nicht gegeben. Und ich glaube, das ist aber auch was, das sich bei Lebensmitteln seit den 1980er-Jahren wieder neu herausbilden musste. Dass man das anfing wieder zu schätzen, dass man regionale Sachen kauft, die dann Saison haben. Und es war einfach erst mal auch so die schöne bunte Welt – das weiß ich noch – der Tiefkühlprodukte und Fertigprodukte. Daran erinnere ich mich noch aus meiner Kindheit. Und dass man das Regionale schätzt, und dass keine langen Wege zurückgelegt hat und eher was Frischeres ist, das ist wirklich eine relativ neue Entwicklung. Und bei Textilien sind wir halt davon noch sehr weit entfernt.

Gabriele

Ja. Oh, ich erinnere mich: Ich habe ja auch mal Volkskunde studiert, Europäische Ethnologie. Und da gab es in einem Seminar eine Arbeit über Convenience Produkte. Also über diese Halbfertig- und Fertigprodukte, die so nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 50er- und 60er-Jahren aufgetaucht sind, und die eine unglaubliche Erleichterung waren für die Hausfrauen. Also Fertigsuppen, „Knorr Goldaugen Rindssuppenwürfel“ und so was. Was unglaublich gerne verwendet wurde, weil es einfach ganz viel Arbeit gespart hat. Und erst später dann wieder hinterfragt wurde, was eigentlich alles verloren geht, wenn man diese Convenienceprodukte verwendet. Die zwar einerseits Arbeit erleichtern, aber andererseits auch industriell produziert sind. Wo man nicht ganz genau weiß, was da jetzt… Ich mein, inzwischen weiß man eh ganz gut, was drinnen ist. Es ist auch schwieriger geworden, irgendwelche komischen Stoffe da drinnen zu verstecken. Aber ja, ich habe schon den Eindruck, es gibt so einen allgemeinen Trend, vielleicht noch nicht in allen Bevölkerungsschichten, aber zumindest unter Leuten, die sich grundsätzlich Gedanken machen darüber, was sie konsumieren und wo sie ihr Geld ausgeben und wen sie damit fördern.

Gabriele

Es gibt schon so einen Trend hin zu frische Produkte, regionale Produkte, saisonal. Und wenn es „Nahversorgung heißt… In der Landwirtschaft oder auch bei Lebensmitteln, da gibt es ja diesen Begriff der Nahversorgung. Für Lebensmittel ganz normal, aber wenn ich jetzt an „textile Nahversorgung“ denke, dann ist es eher [schwierig]. Dann wüsste ich jetzt gar nicht, wo ich anfangen soll.

Constanze

Hm, ja, genau. Mir fiele da vielleicht noch ein Alpakahof in Brandenburg ein. Das wäre dann so 30-40 Kilometer [entfernt]. Wo man dann mit Glück ein bisschen Strickwolle, kaufen könnte. Aber dann hört es eigentlich schon auf.

Gabriele

Ja, Leinen, Nesselfasern,… Also die Themen, mit denen wir uns in den nächsten Folgen dann auch beschäftigen, das wäre dann erstmal herauszufinden. Nein, ganz so stimmt es nicht, weil ich habe ja im Blog schon zwei Berichte: Einen über Alpakahof und einen über „Sabine und die steirische Wolle“. Also eine Bekannte von mir, die steirische Wolle verarbeitet, die sie von den Bauern hier kauft. Also ich wüsste schon zwei Betriebe, wo ich mich hinwenden kann, wenn ich beginnen wollen würde, meine Kleidung auch aus regionalen Fasern selbst zu machen.

Du hast vorher gemeint, es kommen dann so Fragen auf, wie: „Ist Polyester nachhaltiger als Baumwolle?“ Erklär mir das doch noch mal genauer. Für mich klingt es ein bisschen absurd, weil ich finde, dass Polyester NIEMALS nachhaltiger sein kann als Baumwolle. Aber vielleicht gibt es da ein gutes Argument dafür, warum das so sein könnte.

Constanze

Ja, das ist tatsächlich gar nicht so weit hergeholt, wie man denkt. Weil Polyester zum Beispiel, wenn es in reiner Form vorhanden ist, also nicht mit irgendwelchen anderen Fasern gemischt wird, sehr gut recycelbar ist. Also auch größtenteils ohne Qualitätsverlust. Man kann wieder neues Garn daraus machen, was ja zum Beispiel bei Baumwolle nicht so ohne Weiteres der Fall ist.

Gabriele

Es ist bei Baumwolle schwieriger, weil es ja gehäckselt werden muss und dann nur mehr kurze Fasern hat und dann die Qualität nicht mehr so groß ist.

Constanze

Ja, genau, das wäre dann für sich nicht mehr zu verspinnen. Man könnte das dann vielleicht zu Viskose oder Tencel verarbeiten, wo es dann auch wieder darauf ankommt, wie ist der Prozess. Also das braucht dann wieder einen aufwändigen Prozess, in dem neue Fasern hergestellt werden, mit sehr viel Wasser und Chemikalien.

Und es gibt tatsächlich Gegenüberstellungen, wo verglichen wurde, was denn eigentlich ökologischer wäre: Die Papier-Tragetasche, so ein Stoffbeutel aus Baumwolle, ein Stoffbeutel aus Polyester oder eine Plastiktüte. Auch dann, wenn man die Nutzungsdauer über mehrere Jahre mit einrechnet. Und da kam tatsächlich dabei heraus, dass eine dünne Tasche aus Polyesterstoff das Beste wäre zum Einkaufen. Also was am wenigsten Ressourcen verbraucht und dann zum Schluss auch tatsächlich recycelt werden kann. Aber da ist es natürlich auch eine breite Spannbreite: Wie dieses Polyester hergestellt wird; unter welchen Umständen; wie die Leute bezahlt werden, die das machen; wie weit es transportiert wird.

Und an diesen ganzen einzelnen Faktoren, die in einen Textilprodukt reinfließen, kann man sehr gut sehen, dass das eben wirklich unglaublich komplex ist. Zu sagen: Ist diese Faser nachhaltig oder ist sie nicht so nachhaltig? Es ist einfach immer so ein Bündel an Faktoren, die man beachten muss. Und für den einzelnen Menschen, also ohne irgendein Label zu bemühen, ist das überhaupt nicht machbar, oder nicht abschätzbar.

Gabriele

Ist das gar nicht durchschaubar? Außer ich baue mir meine eigenen Brennnesseln im Garten an, verarbeite die dann zu Fasern, spinne daraus ein Garn, verwebe das und schneidere mir mein eigenes Gewand. Also quasi ich nehme alles in meine eigene Hand und mache das alles selbst, dann kann ich mir sicher sein, es wird niemand ausgebeutet. Außer ich beute mich selbst aus.

Constanze

Allerdings ist es ja tatsächlich so, dass durch die Faserproduktion in Europa viele Faktoren dann schon mal ausgeschlossen sind. Also einmal dieser Transport, was wir gerade hatten. Dann kann man davon ausgehen, dass in der Europäischen Union gewisse arbeitsrechtliche und Gesundheits-Standards einfach gelten, und Umweltstandards. Dass sie auch schon sehr etabliert sind, weil sie eben schon sehr lange hier gelten. Das sind zwei Faktoren. Man ist natürlich in der Auswahl der Fasern ein bisschen eingeschränkter.

Gabriele

Auswahl der Fasern. Irgendwo habe ich gelesen, dass jetzt Fasern aus Bananen gerade am Vormarsch sind, zumindest in der Textilindustrie in größerem Maßstab. Wie ist denn das? Bananen wachsen ja in Ländern des Südens, in tropischen Regionen. Ist das sinnvoll, Bananenfasern einzusetzen oder was zu kaufen, was aus Bananenfaser hergestellt ist?

Constanze

Meines Wissens gibt es da zwei Möglichkeiten. Es gibt einmal so eine richtige Textil-Banane, die wegen der Fasern angebaut wird. Die wird allerdings nicht in sehr großem Maßstab angebaut und wird vor allem in den Ländern verarbeitet, wo sie wächst. Und es gibt eine Schweizer Firma, die so eine Art Taschenstoff, eine Art Canvas herstellt aus Bananenfasern. Das wird aber über ein Papiergarn als Zwischenstufe gemacht. Also es sind nicht direkt die Bananenfasern, sondern aus den Bananenfasern wird Zellstoff gemacht und ein Papiergarn, und das wird verwoben. Aber das ist so ein ganz kleines exklusives Label. Das sind so die zwei Möglichkeiten, aus Bananen was zu machen, was aber eigentlich wirklich eine ganz kleine wirtschaftliche Bedeutung hat.

Und dann gibt es auf der anderen Seite noch Projekte, die versuchen, ob man nicht aus den abgeernteten Bananenstauden von den Essbananen noch Fasern gewinnen könnte, oder zumindest Zellulose als Grundstoff für Viskose. Aber das sind auch alles relativ begrenzte Initiativen.

Also ich glaube auch, dass die Handelswege historisch – da werden wir vielleicht auch noch mal drauf kommen – und diese ganzen Verarbeitungs-Zwischenstufen, das ist ja weltweit angeordnet. Und so historisch gewachsen, dass die Faser an dem einen Ort wächst, woanders gereinigt wird, woanders wieder versponnen wird. Also diese ganzen Transportwege und Kapazitäten, das ist so eingefahren, dass es viel Zeit bräuchte, da umzuschwenken. Allein schon, dass man ja irgendwie organisieren müsste, dass diese abgeernteten Stauden von den Bananenplantagen eingesammelt werden und dann verschifft werden, irgendwo anders hin, wo man sie weiterverarbeiten kann.

Gabriele

Außer man macht diese Faser Produktionen vor Ort, in der Nähe dieser Plantagen.

Constanze

Wenn man abgeerntete Bananenstauden noch weiter verwerten könnte, wäre das wahrscheinlich gar nicht so schlecht. Weil das eigentlich Material ist, das sowieso da ist. Es sei denn es bedeutet, dass dann die Bananenplantagen wieder Kunstdünger kaufen müssen. Weil meines Wissens nach die Stauden bisher kompostiert werden und dann quasi wieder aufs Feld kommen. Also es ist wirklich irre komplex. Alles was man als Entscheidung macht, hat dann wieder woanders eine Auswirkung.

Gabriele

Ja, was mir gerade noch eingefallen ist: Bambus. Es gibt ja Bambusstoffe, die für mich wie Viskose sich anfühlen. Und das wird wahrscheinlich auch so ähnlich erzeugt werden?

Constanze:

Ja, das ist Viskose.

Gabriele

Als ich zum Ersten Mal so einen [Bambusstoff] in der Hand hatte, den fand ich ganz toll, der war so fließend. Aber im Endeffekt ist halt das Rohmaterial, die Zellulose aus dem Bambus und wird dann zu Viskose verarbeitet.

Constanze

Und das ist dann eben auch so ein bisschen in Richtung Verbraucherbeeinflussung, würde ich mal sagen. Dass da ganz groß BAMBUS drauf steht, weil Bambus irgendwie ein positives Bild vermittelt. Weil man denkt: „Ach ja, das wächst ja wie Unkraut!“ Und toll nachwachsend und super ökologisch. Und eigentlich ist dann der Viskose-Prozess, im Grunde so eine Chemiefaser letztendlich, die man dann trägt. Also das hat mit Bambus an sich dann nicht mehr so viel zu tun, das ist nur der Zellulose-Lieferant.

Gabriele

Ich finde das ein bisschen ernüchternd. Weil ich das Gefühl habe: Wo ich reinschaue, mit welchem Thema ich mich auch ein bisschen näher beschäftige, was großindustriell betrifft, irgendwie steckt überall ein schmutziges Geschäft dahinter. Ich weiß nicht, inwiefern diese Geschichten stimmen, dass dann irgendwo Indonesien die Flüsse blau sind, weil halt gerade Modefarbe blau ist, weil die Abwässer nicht gereinigt werden.

Das verunsichert mich als Konsumentin auch, weil ich einfach nicht das Gefühl habe, das irgendwie unter Kontrolle zu haben, oder einen Einfluss drauf zu haben. Wahrscheinlich stimmt das gar nicht. Und es gibt ja eh schon genügend Organisationen, die sich darum bemühen, Arbeitsbedingungen, Umweltschutz auch in Ländern des Südens zu verbessern. Trotzdem habe ich schon das Gefühl, ich würde das gerne ein bisschen mehr unter Kontrolle haben. Oder ein bisschen für mich nachvollziehbarer, was denn da passiert und wofür ich mein Geld ausgebe, wenn ich Kleidung kaufe.

Auch wenn ich, so wie du, wir sind ja beide Selbermacherinnen und Selberschneiderinnen. Auch wenn ich meine Kleidung selber mache, ist es ja damit noch nicht getan, dass ich sage: Okay, ich kaufe den Stoff selber. Weil dann muss ich halt nachschauen: Und wo kommt jetzt [dieser Stoff her]? Was ist das für ein Stoff, und wie wurde der produziert? Und dann komme ich auf die nächste Stufe. Und WER hat das gemacht und WO wurde das hergestellt? Dann komme ich vom Hundersten ins Tausendste und verirre mich ein bisschen in diesen weltweit globalisierten Warenströmen.

Constanze

Ja, es ist leider so. Man kann manchmal ein bisschen resignieren. Es ist halt zweischneidig. Diese Industrialisierung hat halt dazu geführt, dass wir uns alle neue Kleidung leisten können. Und Kleidung auch nicht mehr so ein Distinktionsmerkmal ist wie noch Anfang des 20. Jahrhunderts, wo ärmere Leute halt nur ihre Sonntagssachen hatten und man ganz genau sehen konnte, wo jemand herkam. Und ich fürchte auch, wir können es nicht zurückdrehen. Weil so schön diese regionale Faserproduktion auch ist, und diese Initiativen sind wirklich sehr löblich. Bloß, um die Masse an Leuten mit Textilien zu versorgen, wird wahrscheinlich so eine Art Manufakturwesen nicht mehr ausreichen.

Gabriele

Ich denke, es sind immer die beiden Faktoren Qualität und Quantität. Weil wenn ich auf eine gute Qualität Wert lege: In dieser guten Qualität, werde ich nicht für die große Masse sechs Kollektionen im Jahr herstellen können. Ich kann keine sechs Kollektionen im Jahr herstellen mit Biobaumwolle, es geht sich rein vom Anbau her nicht aus. Da ist aber dann halt die Frage: Brauche ich sechs Kollektionen im Jahr? Und muss ich sechsmal im Jahr mir neue Kleidung kaufen?  Oder ist es nach diesem: „Was Billiges kann ich mir nicht leisten“, dass ich in gute Qualität und dafür ein bisschen weniger [Kleidungsstücke] investiere.

Constanze

Darauf läuft es ja letztlich hinaus. Der Kapitalismus sagt natürlich ganz klar: „Ja!  Du brauchst unbedingt sechs Kollektionen und alle zwei Monate was Neues.“ Aber wenn man selber näht, ist man ja in der Produktion sowieso etwas langsamer. Und vielleicht sollte man sich auch sagen: Ich brauche auch gar nicht so viel neuen Stoff. Sondern ich schaue vielleicht auch mal nach gebrauchten Stoffen. Das ist ja auch immer eine Möglichkeit. Irgendwas, was schon ein Rest ist oder schon produziert wurde.

Gabriele

Wo finde ich denn solche gebrauchten Stoffe? Hast du eine Idee für eine Quelle?  Ich war gerade letztens wieder bei der Caritas, Sozialkaufhaus heißt es bei euch glaub ich. Die auch aus Nachlässen oft Bestände übernehmen. Und da gibt es immer so eine Ecke für Handarbeiten mit 10.000 Stricknadeln. Meistens decke ich mich da ein mit Stickgarnen. Da gibt es immer so Reste von Stickgarnen in allen möglichen Farben, das mag ich gerne. So richtig Stoffe zum Nähen allerdings nicht. Vorhänge ja, Vorhangstoffe. Bettwäsche ja. Aber jetzt Stoffreste? Oder gebrauchte Stoffe? Da muss man schon Glück haben und mit einem Schneider verwandt gewesen sein, oder mit einer Schneiderin.

Constanze

Ja, die gibt es selten in Sozialkaufhäusern. Das habe ich auch festgestellt. Wahrscheinlich wird das dann doch entsorgt. Oder in die Altkleidersammlung getan, weil gedacht wird, damit kann keiner was anfangen. Es gibt allerdings ein paar Händler, habe ich zumindest auf Instagram gesehen, die sich auf Fabrikreste spezialisiert haben. Da weiß man natürlich dann auch wieder nicht: Wie waren die Produktionsbedingungen des Stoffes? Und im Zweifelsfall wird das alles noch undurchsichtiger, weil es eben noch durch weitere Stationen gegangen ist. Aber zumindest wird da gesagt, dass es Stoffe sind, die bei der Produktion oder bei der Mustererstellung übrig geblieben sind.

Gabriele

Ja, und dann kann ich zumindest sagen: Ich verwende es jetzt und gebe ihm noch ein weiteres Leben, bevor es jetzt einfach gleich weggeschmissen wird. Das zumindest dann. Da gibt es ja auch einige Labels, die so Upcycling betreiben, oder Reste von großen Produktionen verwenden, bevor die weggeworfen werden, was ja auch wieder Sinn macht.

Gut! Wir haben gesprochen über Zertifizierungen, über Labels, über die Möglichkeiten, vielleicht die Stoffproduktion auch ein bisschen wieder europäisch zu fördern. Dass es durchaus Sinn machen würde, weil zumindest Transport wegfällt. Und man davon ausgehen kann, dass in Europa zumindest ein bisschen besser auf Sozial und Umweltstandards geachtet wird.

Constanze

Das Fazit für mich ist einfach: Es ist unfassbar komplex, und man muss sehr genau hinschauen und sich sehr genau informieren, wenn man irgendein Label sieht, was das wirklich bedeutet. Es bleibt einem leider nichts anderes übrig. Es gibt da keine Patentlösung. Und bei manchen Labels, die nicht so einen großen Umfang haben, und die nur so einen Teil der Produktionskette umfassen, kann man ja auch sagen: So ein Label ist immer noch besser als gar kein Label oder gar keine Zertifizierung. Und letztendlich kann sich jeder nur bemühen, nach seinen Möglichkeiten sich möglichst nachhaltig einzukleiden. Wenn das ein Kriterium ist. Ich glaube, es ist unmöglich, alles richtig und gut und perfekt zu machen als Konsument.

Gabriele

Nur so gut ich kann. und vielleicht gut genug.

Constanze

Ja, genau. Gut genug. Muss in diesem Fall leider reichen.

Gabriele

Zumindest für die nächsten Jahre. Bis die große Fashion Revolution dann durchgeschlagen hat, irgendwann.

Ja, wunderbar! Das ist doch ein schönes Abschlusswort für heute. Wir machen dann beim nächsten Mal weiter. Wir haben uns das Thema Wolle vorgenommen fürs nächste Mal. Auf das freue ich mich schon sehr. Da bin ich sehr gespannt.

Constanze

Ja, wunderbar. Ich freue mich auch.

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2 Kommentare zu „Was bedeutet Nachhaltigkeit bei Textilien? (Podcast #002)“

  1. Ich kaufe so gut wie gar nichts neues, weil ich ziemlich viel an Kleidung habe. Ich habe kaum jemals etwas Gutes, nur weil es mir nicht mehr gepasst hat, weggegeben. Habe nie extrem modisches gekauft, ich bin mehr so der „Basics-Typ“. In meiner weiblichen Verwandtschaft hatten etliche Tanten und Gross-und Urgrossmütter grosse Freude am Selberschneidern v.a. für die Kinder. Dementsprechend wurden viele Stoffe gekauft, verschenkt und getauscht. Kompliziertere Kleidung wie Herrnanzüge oder Wintermäntel wurden beim Schneider in Auftrag gegeben. Ich spreche da von den 60er und 70er Jahren. Zu meiner Freude als Kind hatten wir immer die „Fleckerlkiste“ mit den Stoffresten. Zur Matura bekam ich eine eigene Nähmascine, die immer noch gut funktioniert. Obwohl sich bei mir die (zum Teil ererbten Stoffe) türmen, ertappe ich mich immer wieder, dass ich mir doch noch hie und da „Nähfutter“ nachhause schaffe. Unlängst aus dem Second-hand einen XL Lamamantel (Lamaschurwolle eingewebt!! also ohne Leder und Tod), den ich mir zu einer einfachen warmen Jacke umnähen werde. Öfters schaue ich auch nach Leinen. Das krieg ich von gebrauchten Trachtenkleidern mit weiten gezogenen Röcken. Allerdings ist es manchmal etwas schwierig zu beurteilen, ob es reines Leinen ist.
    Alte Handtücher, untragbare löchrige T-Shirts usw. zerschneide ich zu Putzfetzen, ..äh -lappen. Die Geschirrwasch-/Küchenwettex kommen in die Waschmaschine und können bei mir ziemlich lange leben 🙂

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      Gabriele Brandhuber

      Vorbildlich! 🙂 Und danke auch für die Erzählung, wie es in deiner Familie früher war. Da merke ich wieder, dass dieser Fast Fashion Wahnsinn noch gar nicht so lange grassiert. Ich persönlich vernähe auch viel gebrauchte Stoffe. In den letzten Jahren bekomme ich auch regelmäßig Stoffreste von Bekannten geschenkt, die sie nicht mehr vernähen wollen (ich für diverse Patchworksachen aber gut brauchen kann), oder wir tauschen Stoffe innerhalb unserer Nährunde hier in Graz. Es gibt viele Möglichkeiten. Aber manchmal darf es auch ein neuer Stoff sein. Wobei ich zunehmend darauf achte, woher die Stoffe stammen, die ich kaufe, und unter welchen Umständen sie produziert wurden. Liebe Grüße, Gabi

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